«The One – Finde dein perfektes Match»: 100 Prozent Trefferquote
Eine Leiche, die ein Taucher in der Themse entdeckt, passt nicht zum makellosen Image des Unternehmens.
STAB
SHOWRUNNER & AUTOR: Howard Overman
REGIE: Jeremy Lovering, Catherine Morshead, Brady Hood
PRODUZENT: Adam Knopf
MUSIK: Ian Arber, Dave Rowntree
KAMERA: Ruarí O'Brien, Anna Patarakina, Daniel Atherton
SCHNITT: Justin Krish, Ben Whitehead, Anna Dick
PRODUKTIONSDESIGN: Julian Fullalove
DARSTELLER: Hannah Ware, Dimitri Leonidas, Diarmaid Murtaugh, Zoë Tapper, Lois Chimimba, Eric Kofi-Abrefa, Jana Pérez, Albano Jerónimo, Amir El-Masry
Vorweg: «The One» sieht aus wie eine BBC-Serie. «The One» fühlt sich an wie eine BBC-Serie. Nur ist «The One» eine echte Netflix-Eigenproduktion. Frei basierend auf dem 2019 in Deutschland erschienenen Roman „The One – Finde dein perfektes Match“ von John Marrs erzählt die Serie die Geschichte der Rebbeca Webb, einer Biochemikerin- und Ingenieurin, die eine atemberaubende Entdeckung vermarktet.
Am Anfang steht ein humorvolles Gespräch mit ihrem (platonischen) Freund und Kollegen James, der Rebecca erklärt, wie das Pheromonmuster einer ganz bestimmten Ameisengattung dafür sorgt, dass jede Ameise ihres Ameisenvolkes den perfekten Partner findet und mit diesem eine Symbiose eingeht. Die Natur hat dies so eingerichtet, damit diese Ameisen nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch aufeinander aufpassen. Was James aus einer Weinlaune heraus erzählt, um ein bisschen mit unnützem Wissen zu protzen, lässt Rebecca nicht mehr los. Was, wenn es solch ein Pheromonmuster auch beim Menschen gäbe? Irgendwo versteckt in der DNA? Ist James von der Idee zunächst eher amüsiert, bietet ihm Rebecca doch einige Anhaltspunkte, die ihn nachdenklich werden lassen. Tatsächlich entdeckt James eines Tages ein Muster, das darauf hindeutet, dass Rebeccas Idee gar nicht so abwegig ist, wie er zunächst angenommen hat. Aber um seine Theorie zu überprüfen, bräuchten sie Zugriff auf eine DNA-Datenbank mit Millionen von DNA-Proben. Die sie aber nicht haben. Es sei denn... Rebecca teilt sich ihre kleine Wohnung in London mit Ben, einem Software-Ingenieur, der für ein Unternehmen arbeitet, das in der Gesundheitsbranche tätig ist. Rebecca hintergeht Ben, mit dem sie freundschaftlich ebenso eng verbunden ist wie mit James, und stiehlt ihm sein Notebook – inklusive dessen Zugriff auf eine DNA-Datenbank.
Als Versuchskaninchen fungiert sie selbst. Mit Hilfe eines von James entwickelten Programms gleicht sie ihre DNA mit denen in der Datenbank gespeicherten Mustern ab – und findet einen „Match“. Natürlich nicht direkt vor ihrer Haustür. Die Datenbank verlinkt sie vielmehr mit einem Mann in Spanien. Rebecca setzt sich in einen Flieger, reist auf die Iberische Halbinsel und trifft Matheus, einem blondierten Surflehrer, Strandbarbesitzer, Sonnyboy, der so gar nichts mit der promovierten Wissenschaftlerin gemeinsam zu haben scheint. Ihr erstes Zusammentreffen aber ist der Moment der Momente. Matheus fragt, ob sie sich schon einmal begegnet seien? Und auch Rebecca empfindet direkt Zuneigung zu diesem Mann. Mehr noch als das: Wenn es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt – ist es genau das, was diesen beiden Menschen in dem Augenblick widerfährt. Was folgt ist nicht nur eine leidenschaftliche Urlaubsaffäre. Matheus wäre für Rebecca bereit, alles sofort aufzugeben und mit ihr nach London zu ziehen. Die Sache mit dem Match – funktioniert.
Die Frage, die man sich als Zuschauer allerdings stellt: Warum ist Matheus nicht der Mann an ihrer Seite im Prolog der Serie, einem Prolog, der zeitlich einige Jahre nach den Geschehnissen in Spanien spielt. Und wer ist diese eiskalte, perfektionistische Geschäftsfrau und Visionärin? Das kann nicht die gleiche Frau wie jene sein, die an einem Strand in Spanien das Leben genießt und am ehesten jener Typ von Mensch ist, den man gemeinhin einen „Kumpel“ nennen würde.
Ist das wirklich die gleiche Frau?
Und was es mit der eingangs erwähnten Leiche auf sich hat? Ja, die wird in der Themse gefunden, um genau zu sein in einem künstlichen, nicht mehr genutzten Hafenbecken, in das sie vor Jahren schon die Strömung gespült hat. Hier blieb sie an einem unterirdischen Stahlgerüst hängen und irgendwann ist nur ein Skelett von ihr übrig geblieben. Die Identität der Leiche ist – dank DNA-Test – schnell geklärt. Der Tote ist Ben, der Mann, den Rebecca hintergangen hat.
Warum diese Enthüllung an dieser Stelle gespoilert wird? Weil all das, was die Inhaltsangabe über die Handlung der Serie zusammenfasst, in den ersten dreißig Minuten der ersten Episode geschieht. Die Entdeckung, der Datendiebstahl, der Leichenfund samt Identifizierung, der Trip nach Spanien, der Vergleich der Rebecca der Gegenwart mit der Rebecca der Vergangenheit: Nichts davon sind schockierende Enthüllungen, die sich nach und nach den Zuschauern offenbaren. All das ist die Eröffnung der achtteiligen britischen Serie, die ihre Geschichte auf zwei Ebenen erzählt. Auf der einen Seite steht die Vergangenheit, die viele Fragen aufwirft. Wie hat sich diese Frau, Rebecca Webb, so verändern können, wie sie sich augenscheinlich verändert hat? Warum pflegen sie und James, die sich einst doch so nahe standen, eine eher distanzierte Beziehung, obschon James dank Rebeccas Idee in sehr kurzer Zeit ein sehr reicher Mann geworden ist. Hat dies mit Bens Tod zu tun? Oder ist alles ganz anders, als man denkt? Die Inszenierung nicht unbedingt chronologisch vor. Die Vergangenheit ist ein Puzzle, das aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt werden muss, die nicht zwingend einer bestimmten Reihenfolge entsprechen müssen. Ganz anders sieht dies mit der zweiten, gegenwärtigen Ebene der Erzählung aus, die vollkommen stringent dem Weg der Rebecca Webb folgt, einer Frau, die möglicherweise eines der wertvollsten Unternehmen aller Zeiten gegründet hat, wenn es denn an die Börse geht. Wer solch ein Unternehmen gründet, hat natürlich auch Begehrlichkeiten entgegenzutreten. Begehrlichkeiten in Person des Investors Damien Brown, der aufgrund einer naturwissenschaftlichen Ausbildung der einzige Finanzmogul gewesen ist, der James' und Rebeccas Entdeckung tatsächlich verstanden und in ihr Unternehmen massiv investiert hat. Ein Mann, der selbst nicht gerade Skrupel besitzt, wenn es darum geht, Konkurrenten wegzubeißen - und der Rebecca als Naturwissenschaftlerin nicht zutraut, solch ein Unternehmen zu führen. Auch, da er viel mehr mit The One verdienen kann, wenn er der mächtige Strippenzieher bleibt, wissend, dass Rebecca genau das nicht will. The One ist ihr Kind. Und sie hat nicht vor, dieses Kind mit jemanden zu teilen.
Nun ist da jedoch der Leichenfund, der die Polizistin Kate Saunders auf den Plan ruft, die sich schnell auf Rebecca Webb als mögliche Täterin einschießt. Ben ist keines natürlichen Todes gestorben. Und Kate Saunders hat keine Angst vor einer mächtigen Frau wie Rebecca Webb, die längst nicht mehr nur als Firmengründerin durchaus Bekanntheit erlangt hat: Wer Millionen von DNA-Daten besitzt, die von Kunden freiwillig eingereicht worden sind und Menschen sogar namentlich zugeordnet werden können – besitzt einen Schatz (und damit Macht), gegen den der Datenschaft von Facebook direkt bescheiden ausfällt. Diese Kate Saunders aber ist selbst Kundin des Unternehmens und hat auf diesem Weg eine Frau aus Spanien kennengelernt, die ihr Match sein soll. Was interessant ist, da Kate bisexuell ist und sich persönlich auch eine Beziehung mit einem Mann vorstellen könnte. Dass Kates erste Begegnung mit dieser Frau eine unerwartete Kette von Geschehnissen in Gang setzt, mag auf den ersten Blick wie eine von der Geschichte der Rebecca Webb losgelösten Story wirken. Schließlich sind acht Episoden mit Handlung zu füllen und jede der handelnden Figuren braucht eine Geschichte. So einfach macht es sich die Serie aber nicht und daher ist die Geschichte der Kate Saunders enger mit der der Rebecca Webb verknüpft, als man dies zu Beginn erahnt.
Eine nicht ganz freiwillige Beziehung pflegt derweil der Journalist Mark Bailey zu Rebecca Webb. Mark ist ein freier Journalist, der einen sehr kritischen, wenig schmeichelhaften Artikel über Rebecca Webb und ihre Macht geschrieben hat. Womit er perfekt für sie ist, ihn mit Infos aus ihrem geschäftlichen Umfeld zu versorgen, die definitiv nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, von denen sie aber will, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen. Niemand würde schließlich vermuten, dass sie Marks Quelle in ihrem Hause ist. Eine kleine Erpressung und Mark arbeitet für sie. Zumindest indirekt, da sie ihn mit Informationen füttert, die ihm seine Abnehmer aus der Hand reißen und ordentlich bezahlen. Mark selbst lebt in einer glücklichen Ehe mit Hannah, die jedoch fürchterliche Panik davor hat, nicht sein Match zu sein. Er ist der Mann ihres Lebens. Aber was, wenn sie nicht die Frau seines Lebens ist? Aus ihrer vollkommen absurden Angst heraus schickt sie eine Haarprobe Marks an The One – und prompt wird diesem ein Match zugeordnet: Megan, eine Australiern, die zurzeit jedoch nicht nur in London lebt, sondern tatsächlich nur wenige Straßen entfernt. In ihrer Panik, dass Mark Megan zufällig über den Weg laufen könnte, setzt sie eine Reihe von Ereignissen in gang, die sich eher suboptimal auf ihre Beziehung auswirken.
«The One» ist eine Serie, die, wenn man sich auf die Story einlässt, einen Suchtfaktor entwickelt, da die Story immer wieder Pirouetten dreht, die so nicht vorhersehbar sind, die aber nie künstlich oder gewollt wirken. Alle Figuren und Handlungsstränge stehen in direkten Verbindungen zueinander, keine Geschichte kennt einen Stillstand, kunstvoll verzahnen sich die Geschehnisse aus der Vergangenheit mit denen der Gegenwart. Die alles umfassende Klammer ist, und da bewegt sich «The One» eindeutig auf BBC-Terrain, der Tod von Ben, der Stachel im Fleisch der Rebecca Webb. Sie hat ihn, einen guten und treuen Freund, hintergangen. Aber ist sie deswegen auch eine Mörderin?
Eine Frage, die man sich als deutscher Zuschauer stellt, beantwortet diese Serie allerdings nicht: Wo gedeihen in Großbritannien Schauspielerinnen wie Hannah Ware? Gibt es da Gewächshäuser und lassen sich diese auf den Kontinent importieren? Kaum mehr als ein Dutzend Produktionen umfasst das Portfolio der Enddreißigerin bislang, dazu gehören eine kleine Rolle in der US-Version von «Oldboy» sowie eine Hauptrolle in der Mars-Serie «The First», die in Deutschland auf Magenta TV zu sehen war. Sie ist nun nicht nur Hauptdarstellerin von «The One»: Sie ist die Serie. Sie ist Rebecca Webb. Und sie ist Rebecca Webb. Sie ist die nette Wissenschaftlerin, die gerne mit ihren Freunden abhängt, die ihren Job liebt (der allerdings gerne etwas besser bezahlt werden dürfte), sie ist eine zwar nicht unauffällige, aber doch eher normale Erscheinung, eine Frau, die in der Masse untergeht, wenn man sie nicht direkt im Blick hat. Vielleicht ist sie ein bisschen intelligenter als andere Menschen, aber sie kokettiert damit nicht. Das Leben ist, wie es ist.
Und sie ist Rebecca Webb, eine kühle Strategin der Macht, eine Person, die in dem Moment, in dem sie einen Raum betritt, alle Blick auf sich zieht. Sie ist faszinierend, keine Frage. Aber unterschwellig geht von ihr eine Gefahr aus, die nur darauf wartet, entfesselt zu werden. Bis auf einige Momente, in denen sie alleine ist und für einen Moment eine Eigenschaft offenbaren darf, die sie vor den Augen der Welt angreifbar machen würde: Zerbrechlichkeit. Hannah Ware spielt schlicht beeindruckend auf der Klaviatur menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen und trägt die Inszenierung durch ihr Spiel auch über ihre Schwächen hinweg. Die große Schwäche der achtteiligen Reihe ist die die Inszenierung der Geschichte von Mark und seiner Ehefrau Hannah, die keine wirkliche Linie findet. Gerade die überdrehte Darstellung Hannahs würde man eher in einer Beziehungskomödie erwarten als in einer doch recht dramatischen Serie wie dieser. Vor allem ist diese überdrehte Darstellung in erster Linie nervend und weder humorvoll noch dazu geeignet, wirklich Dramatik aufkommen zu lassen. Sie verpasst es jener Geschichte Tiefe zu verleihen, die eigentlich hinter Hannahs und Marks Beziehung eine der ganz großen Fragen der Serie thematisiert: Wie Menschen tatsächlich damit umgehen würden, gäbe es so etwas wie The One in der Realität und sie feststellen müssten, dass es dort draußen nicht nur einen Partner gibt, den man liebt, sondern der schlichtweg perfekt wäre. Ein Partner ohne jene Ecken und Kanten, die in Wahrheit vielleicht erst eine echte Liebe ausmachen. Eine Liebe mit Geist und Seele und keine Beziehung, die von irgendwelchen Pheromonmustern getrieben wird.
Obschon diese erste Staffel fast alle Fragen, die im Rahmen der acht Episoden aufgeworfen werden, am Ende klärt, bleibt ein Cliffhanger bestehen. Die gute Nachricht: Während die BBC gerne und oft richtig gute, ja großartige Serien nach einer Staffel auch schon wieder einstellt – hat Netflix bereits eine zweite Staffel geordert.
Die Serie ist im Stream auf Netflix verfügbar.
Dieser Artikel ist in ähnlicher Form schon bei Quotenmeter erschienen.
31.03.2024 00:01 Uhr
• Christian Lukas
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