«Ein ganzer Kerl»-Kritik: Kein zweites «Succession»

Trotz großer Namen können Showrunner David E. Kelley und sein Hauptdarsteller Jeff Daniels den Charme von Tom Wolfes Romanvorlage nicht greifbar machen.

Das Potential, mit Tom Wolfes 1998 erschienenem Roman «A Man in Full» auf den Erfolgszug von HBOs «Succession» aufzuspringen, wäre durchaus gegeben gewesen. Die Synopsis, um einen steinreichen Immobilienmogul namens Charlie Croker, um Geld und Macht kämpfend, während der Zuschauer diesem Unsympathen dabei zuschaut, klingt durchaus vertraut. Hochwertig in Szene gesetzt gibt Daniels genau den Charakter, den man nach der Personenbeschreibung auch erwartet hätte. Ein reicher älterer Herr, der ein Leben im Überfluss führt und es gewohnt ist, stets seinen Willen zu bekommen. Sobald allerdings nicht alles und jeder Nach Charlies Pfeife tanzt, kommt schnell die aufbrausende, laute Seite des Protagonisten zum Vorschein.

Was hier allerdings fehlt ist klar der satirische Faktor, der lediglich in ganz kleinen Dosen eingestreut dafür sorgt, dass die Geschehnisse rund um Charlie Croker allzu ernst genommen werden müssen. Doch ohne den satirischen Biss eines «Succession» bleibt Croker nun einmal ein recht unsympathischer, aufbrausender Multimillionär, dessen Versuch seinen eigenen Untergang zu vermeiden, nicht übermäßig viel Sympathien mit sich bringt. David E. Kelley hat sich zwar offensichtlich alle Mühe gegeben im Kampf Charlie Croker gegen den Rest der Welt, die Sympathien irgendwie bei Croker zuzuordnen, indem er seinem Protagonisten auch einige gute Charaktereigenschaften zugeschrieben hat, doch will der Funke, der ihn zu einer Art unterstützenswerten Antihelden machen würde, nie so richtig überspringen. Zudem wirkt die Nebenhandlung um den für einen Angriff auf einen Polizeibeamten angeklagten schwarzen Ehemann von Crokers Sekretärin stets etwas anorganisch und fügt sich nur schwerlich in die Erzählung ein.

Von der schauspielerischen Seite aus betrachtet, bleibt zudem keine andere Schlussfolgerung als die Schwächen von «Ein ganzer Kerl», dem Skript zuzuschreiben, denn das, was sowohl Daniels als auch insbesondere seine Gegenspieler, Bill Camp als Harry Zale und Tom Pelphrey als Raymond Peepgrass abliefern, ist absolut sehenswert. Doch den Fokus nicht vollumfänglich auf diese Rivalität zu richten und stattdessen zu viele Nebencharaktere und Handlungsstränge einzuführen, deren Relevanz bestenfalls fragwürdig ist, bricht der Serie, aufgrund der daraus resultierenden Oberflächlichkeit Figuren und Plot betreffend, unterhaltungstechnisch letztlich das Genick.

«Ein ganzer Kerl» vermag es nicht die Stärken des hervorragenden Casts und der gelungenen Buchvorlage entsprechend zu nutzen, womit die Produktion weit unter ihrem eigentlichen Potential im Mittelmaß versinkt. Aufgrund der Kurzweiligkeit der lediglich sechs Folgen, mag die Miniserie trotz ihrer Schwächen für Fans von David E. Kelley oder des hochkarätigen Casts allerdings durchaus einen Blick wert sein.



«Ein ganzer Kerl» kann seit dem 2. Mai 2024 bei Netflix gestreamt werden.
05.05.2024 11:30 Uhr  •  Marc Schneider Kurz-URL: qmde.de/151281