Schwerpunkt: «Schmetterlinge im Bauch»

Mit der Telenovela «Schmetterlinge im Bauch» startet Sat.1 im August das neunte Format dieses Genres. Begonnen hatte der Siegeszug der „TV-Groschenromane“, wie die Süddeutsche Zeitung sie einst nannte, am 1. November 2004. Damals nahm das ZDF die Serie «Bianca – Wege zum Glück» ins Programm. In der ersten deutschen Telenovela drehte sich alles um Bianca Berger, eine Frau, die aus dem Gefängnis entlassen wurde. Sie wurde beschuldigt, die Firma ihres Vaters in Brand gesetzt und ihn dabei getötet zu haben. Auf Grund des überwältigenden Erfolgs – der Marktanteil belief sich auf über 20 Prozent – wurde die Serie sogar verlängert, letztlich aber im Frühherbst 2005 beendet.



Die Telenovela ist allerdings keine deutsche Erfindung, sondern hat eine weite Reise hinter sich gebracht, ehe sie in der Bundesrepublik ankam. Sie kommt ursprünglich aus dem vorrevolutionären Kuba. Dort wurden den Arbeiterinnen in Zigarrenmanufakturen Romane vorgelesen. Jeden Tag gab es eine erneute Fortsetzung der Geschichte. Auch heute werden in den Fabriken zum Teil noch solche Romanzen erzählt.



Erst in den 50er-Jahren wurden diese Romane fürs Fernsehen umgeschrieben. Am erfolgreichsten laufen Serien dieses Genres nach wie vor in Mexiko und Brasilien, wo die einzelnen Kapitel zur Primetime gesendet werden. Dafür unterscheiden sie sich auch deutlich zu den Produktionen in Europa: Sie werden qualitativ hochwertiger und mit höherem finanziellen Aufwand hergestellt. In Südamerika verlaufen die meisten dieser Serien nach dem Schema F: Die Geschichte handelt von einem hübschen, aber armen Mädchen, dass sich in einen reichen Mann verliebt. Möglicherweise erwidert er diese Liebe sogar, in jedem Fall ist seine Familie aber gegen eine Liaison. In Deutschland liefen in den 80ern erstmals Telenovelas. 2001 wurde zum Beispiel das Format «Salomé» ausgestrahlt.



Auch in Deutschland gewannen die Formate mit garantiertem Happy-End schnell zahlreiche Fans. Die beliebteste Serie dieses Genres, «Verliebt in Berlin» (Bild), wurde aus diesem Grund sogar statt ursprünglich geplanten 225 Folgen auf vorerst 365 Episoden erweitert. Selbst nach diesen 365 Kapiteln geht die Geschichte rund um eine Modefirma in Berlin weiter: Für Alexandra Neldel übernimmt Tim Sander die Hauptrolle. Er verkörpert Lisas Halbbruder Bruno, der ein Hochstapler ist. Auch die Telenovelas drei und vier, «Sturm der Liebe» und «Julia» fanden Anklang bei den Zuschauern. Ab der fünften Reihe ist allerdings ein deutlicher Schnitt zu erkennen. Fortan kamen Neustarts nicht mehr wirklich gut beim Publikum an. «Sophie – Braut wider Willen» war schnell wieder verschwunden, «Tessa – Leben für die Liebe» wurde drastisch verkürzt und im Nachtprogramm versendet und «Lotta in love» tut sich nach wie vor schwer – Marktanteile über dem Senderschnitt sind eine Seltenheit. Mit der Nummer neun soll – so hofft es Sat.1 – nun wieder alles besser werden: Ab 21. August schickt der Berliner Sender «Schmetterlinge im Bauch» auf Sendung – werktäglich um 18.45 Uhr. In den Hauptrollen sind Alissa Jung («In aller Freundschaft») und Raphael Vogt («Gute Zeiten, schlechte Zeiten») zu sehen.



Die Nummer neun der Telenovelageschichte in Deutschland, «Schmetterlinge im Bauch», wird das interessanteste Projekt im Fernsehjahr 2006/2007 von Sat.1. Denn die Telenovela muss unter Beweis stellen, dass der Markt noch nicht gesättigt ist, wie jüngste Flops deutlich gemacht haben und das ZDF mehrfach behauptete. Sat.1 Fiction-Chefin Alicia Remirez, die spanischer Herkunft ist, hob hervor, dass die „Delenovela“ (Originalaussprache des Wortes) „extrem tolle Schauspieler“ hat. Die Hauptcharaktere sind Alissa Jung als Nelly Heldmann und Raphael Vogt als Nils Heyden, beide verstehen ihren Beruf, wobei Alissa die Zuschauer richtig verzaubert. So eine sympathische Figur gab es seit dem Start von «Verliebt in Berlin» nicht mehr.



Just Married? Wohl nicht…

Es sollte der schönste Tag im Leben von Nelly Heldmann (Alissa Jung) werden. Nur noch wenige Minuten, dann wäre sie die Frau von Jens (Sascha Tschorn) geworden. Wäre – denn fünf Minuten vor der Trauung ertappte Nelly ihren Bräutigam dabei, wie er sich mit ihrer besten Freundin vergnügte. Nelly erlebt ihre Flucht vor dem Hochzeitsdesaster wie in Trance - schockiert, enttäuscht und wütend zugleich sitzt sie im Hochzeitsauto und rast irgendwohin, nur weg von Jens und ihrer Heimat Bielefeld – auf nach Berlin! Zufällig entdeckt sie eine Annonce der Fluglinie „Star Line“ und fühlt sich direkt angesprochen, so dass sie sich umgehend in einem Vorstellungsgespräch wieder findet.



Familiengründung mal anders

Nils Heyden (Raphael Vogt) hatte einen Traum: Er will seine Freundin Melanie (Anna Luisa Kiss) fragen, ob sie seine Frau werden will, doch plötzlich stehen seine Schwestern vor der Tür. Diese sind heimlich von Tante Inge (Gertie Honeck) abgehauen, die sich seit dem Tod der Eltern um die zwei pubertierenden Teenager kümmert.



Alissa und Nils sind Nachbarn und werden zu guten Freunden. Zunächst merkt keiner von beiden, dass sich zwischen dem Tischler und der Airline-Angestellten etwas Ernsteres entwickeln könnte.



Ob Sat.1 das Experiment mit zwei Hauptdarstellern gelingt? Bislang drehte sich in Telenovelas stets alles um eine Hauptperson. Die Zutaten scheinen zu stimmen: Zwei junge, attraktive Schauspieler, so dass sowohl das weibliche Publikum als auch das männliche einen Grund zum Einschalten hat. Für die 14- bis 25-Jährigen hat der Sender Sonja Gerhardt (links) und Sandra Schreiber (rechts) unter Vertrag genommen. Die zwei hübschen Blondchen werden sich spätestens Anfang September beim Berliner Sender Körbe voller Fanpost abholen können. Produzent Christian Popp lächelte beim Pressetermin: „Kinder, wie wir sie alle kennen“. Sendersprecherin Faßler betonte, dass beide die Schule für ein Jahr unterbrechen – erst im nächsten Jahr werden sie die 13. Klasse besuchen und ihr Abitur schreiben. Sonja Gerhardt tanzt im Übrigen bereits seit elf Jahren im Friedrichstadtpalast.



Alissa Jungs Serienmutter, die von April Hailer gespielt wird, ist eine „leicht überdrehte Person. Nelly ist manchmal gestraft mit ihrer Mutter“. Ihr zur Seite steht der Bioladen-Inhaber Bernd E. Jäger van Boxen, der wohl das Zielpublikum für die etwas älteren Damen darstellen soll. Sein Telenovela-Sohn Simon „Zack“ Rudolph, der von Paco-Luca Nitsche (Bild) verkörpert wird, ist der Magnet für die jüngeren Mädchen. „Wir schauen, dass er eine von den Mädels bekommt“, verkündete Popp, scherzte aber auch, dass er ebenso beide bekommen könnte. Weiterhin sagte er, dass Hauptdarsteller Raphael Vogt sich „charakterlich outen“ werde. Wie das zu verstehen sein soll, bleibe allerdings geheim.



Damit die Telenovela nicht zu einer Serie á la «Die Waltons» und «Eine himmlische Familie» verfällt, wurde der Cast weiter verfeinert: Maria Munz „ist jetzt als Gegnerin von Nelly aufgestellt und bleibt es auch“, so der Produzent von Producers At Work. Die Rothaarige ist Mitinhaberin der Luxusfluglinie Starline, Matthias Paul spielt den Chef Konstantin Eppinger, der Serienheldin Nelly sofort freundlich gegenüber eingestellt ist. Er gibt ihr eine Chance im Unternehmen. Er sei „einer der Typen, mit denen Nelly zu tun haben wird“. Sein Bruder Mark (Jannek Petri) ist Pilot, Frauenschwarm und stiller Teilhaber der Fluglinie - „der Traum bzw. Alptraum jeder Frau“, erklärte Christian Popp in seiner Präsentation weiter.



Diese und die vielen anderen weiteren Charaktere zeigen deutlich, dass Sat.1 ein möglichst großes Publikum ansprechen möchte. Zielgruppenfernsehen scheint es in Berlin nicht zu geben, sonst hätte «Verliebt in Berlin» sicherlich keinen Erfolg gehabt.



Das Nelly-Gewissen

Um die Telenovela noch aufzuwerten, wurde sozusagen das „Nelly-Gewissen“ geschaffen. Im Praktischen erscheint eine zweite Nelly, die das Gewissen widerspiegelt und sie anspornt und motiviert, aber auch mal falsche Ratschläge gibt. Produzent Popp: „Engel und Teufel in einer Person“. Bei den Dreharbeiten zu diesen Sequenzen muss sich Alissa Jung in einer Greenbox mit einem grünen Ball, der von der Decke hängt, unterhalten. In der Serie ist der Spezialeffekt gelungen und hebt sich deutlich von anderen Serien ab.



Sat.1 möchte mit «Schmetterlinge im Bauch» eine völlig neue Serie schaffen und hat sich «Verliebt in Berlin» nicht zum Beispiel genommen, auch wenn es das erfolgreichste Format des Genres ist. Die Telenovela benutzt den alltäglichen Sprachgebrauch „Wenn du ihm das verzeihen würdest, würde ich es dir nie verziehen“ und baut sprachliche Fehler ein, die ein jeder von uns in Alltagssituationen macht. Die Locations wirken zuweilen recht eng, wobei häufig aus der Totalen gefilmt wird - auch Krankameras kommen zum Einsatz.



Da Nelly keinen Fettnapf auslässt, geht nicht alles rund, wodurch viel Situationskomik (Sitcom) entsteht, aber auch sonst werden versteckte Gags eingebaut. Provozieren soll «Schmetterlinge im Bauch», denn es werden Gerichtsshows von Sat.1 und RTL als überdreht und unglaubwürdig dargestellt.



Kommen allerdings Diskussionen oder Streitsituationen auf, wechselt die Serie teils zu schnell den Spielort. Statt einer gut inszenierten Auseinandersetzung bekommen die Zuschauer eine neue Geschichte aufgesetzt – dies hat Sat.1 bei «Unter den Linden» besser hinbekommen. Die Quotenmeter.de-Kritiker nehmen übrigens demnächst auch diese Serie unter die Lupe.
30.06.2006 12:31 Uhr  •  Fabian Riedner, Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/15241