Herr Raue reist nach Absurdistan

RTL strahlt derzeit die zweite Staffel von «Raue – Der Restaurantretter» aus. Im Vergleich zur ersten Staffel hat das Niveau der Herausforderungen signifikant abgenommen.

Vor zwei Jahren begannen die Produktionsarbeiten an der Neuauflage von «Rach – Der Restauranttester», der RTL Mitte der 2000er Jahre fantastische Einschaltquoten bescherte. Das Format ging 2014 mit Steffen Henssler weiter, doch bei «Grill den Henssler» fühlt sich der Entertainer und Koch wohler. Bereits vor etlichen Jahren bekam Raue einen „Guide Michelin“-Stern, die Netflix-Serie «Chef’s Table» begleitete den aus Berlin stammenden Koch. Zwischenzeitlich war Raue auch Küchenchef in der Villa Kellermann in Potsdam, das TV-Moderator Günther Jauch gehört.

Der Küchenmeister ist begabt, aber die im vergangenen Jahr aufgelegte RTL-Sendung «Raue – Der Restaurantretter», die von Warner Bros. produziert wird, führt ihn immer wieder in absurde Situationen.In der ersten Staffel wurde er mit der Aufgabe betraut, ein Restaurant zu retten, das sich in einer desolaten finanziellen Lage befand. Die Inhaberin hatte es versäumt, die Sozialbeiträge für ihre Mitarbeiterinnen zu entrichten. Das könnte die Angestellten ins Teufel Küche bringen, während sie dort nicht schon gelandet. Die Teilnehmerinnen waren so dermaßen fehlplatziert, dass dieses Vorhaben scheitern musste. Es folgte der Gang zu Arne nach Berlin-Charlottenburg, der sich unbedingt einen Stern erkochen wollte. Auch diese Mission ging schief, die Bilanz im ersten Jahr war traurig.

Als die Produktion sich mit Tim Raue und seiner Geschäftspartnerin und Ehefrau Katharina zusammensetzte, wollte man wohl tiefer stapeln, damit die Projekte unbedingt ein Erfolg werden. Es folgte der Gang hinter den Kölner Dom, wo das „Hollwigger Bistrorant“ täglich seine Pforten öffnet. Bereits bei Tim Raues Eintreffen saßen nur ein paar Gäste und tranken gemütlich Bier, zwei Service-Kräfte, Vanessa und Angelika, kümmerten sich um Jörgs Laden. Die nächste Hiobsbotschaft: Der nigerianische Koch Ade hatte seinen Flug verpasst, weshalb er erst zwei Tage später eintreffen wird.

Bereits in den ersten Minuten stellt sich heraus, dass Besitzer Jörg zwar gelernter Koch ist, aber lieber beim Bier zapfen mit seinen Gästen schnackt. Beim Inspizieren der Küche stellt Raue schnell fest, dass Jörg, – das bestätigten auch die Stammgäste – spöttisch gesagt, ne kleine Drecksau, ist. Alte Soßen stehen rum, in den Fächern sind mehr Krümel als unter einem herkömmlichen Sitz eines Autos und der Chef leidet dazu noch unter Betriebsblindheit. „Ich habe schon Schlimmeres gesehen, aber ich habe hier auch schon Schlimmes gesehen“, fasst der Profikoch zusammen. Man kann sogar den Laden betreten und findet Jörgs angebliches Büro vor, für Raue war das eher ein Schweinestall. Raue stellt fest, dass Jörg die Sache über den Kopf gewachsen ist. Seit Beginn der ersten Minute verlangt Geschäftsmann Raue die monatliche betriebswirtschaftliche Auflistung, die Jörg bis zum Ende der Folge nicht liefern kann.

Bereits nach zehn Minuten fällt die Boulette in den Topf: Jörg möchte in seinem Bistrorant, eine Wortschöpfung aus Bistro und Restaurant, keine Speisen wie Bouletten verkaufen. Noch nicht einmal, wenn der Laden brummt, weil Bundesliga in der Sportsbar übertragen wird. Jörg hat zwar Pommes für 5,50 Euro auf der Karte, aber lässt sich diese Arbeit fürstlich bezahlen. Wirklich ertragreich ist das Frittieren der Erdapfel für ihn nicht, aber Bouletten, Bratwürste und Pommes bei einem Fußballspiel nicht zu verkaufen, ist mehr als eine verpasste Chance.

Egal: Gegen Ende der Episode wird man mit dem nigerianischen Koch Ade unter anderem ein diverses fettiges Speiseangebot aufstellen, das prima zum Fußball-Durstlöscher passt. Die Preise wurden angehoben und es wurde mit Raue eine Handschrift entwickelt. Neben Metthäppchen für den kleinen Hunger gibt es Spießbraten, Blutwurst auf Pumpernickel, Haxe und eine spezielle Pfanne. Für diese Erkenntnis braucht man allerdings keinen Zwei-Sterne-Koch wie Raue, zum Teil wirkte die Sendung sehr gestreckt. Tim, Ade und Jörg wurden beispielsweise bei einem „Inspirationsmittagessen“ begleitet, bei dem sie teilweise Speisen verzehrten, die sie selbst schon anboten.

Am 23. Juli 2024 sendet RTL die Folge über das französische Bistro „Chez Emil“ in Berlin, das ein Teenager mit Hobby-Leidenschaft eröffnete. Doch die Sauberkeit ist zum Davonlaufen, die Verkabelung im gesamten Laden lebensgefährlich. Dem inzwischen 20-jährigen Emil wurde von seinen Eltern ein Gewerbeobjekt gekauft, für das er monatlich 1.000 Euro Miete aufbringen muss. Aus bisheriger Sicht läuft es für die Eltern/Investoren prima, doch im Laden herrscht oft Leere. Warum? Weil Emil keine Ausbildung als Koch hat – und das merkt man. Es ist eigentlich fahrlässig, dass Raue und sein Team schlussendlich nur die Bude entrümpeln, die Elektrik neu anpassen und noch ein paar Koch-Skills dalassen. Emil hat mit seinem kleinen französischen Restaurant vor vier Jahren angefangen und hätte, statt den Betrieb weiterzuführen, lieber von Raue in sein Team aufgenommen werden und eine Ausbildung erhalten sollen, In manchen Fällen ist es durchaus besser, erst von den Profis zu lernen, ehe ungelernt auf die Nase zu fallen.

Ein weiterer Fall des Kopfschüttelns: Tim Raue entrümpelt mit Emil das Lokal. Es ist fraglich, warum man – wie bei der Elektronik – nicht einfach Profis kommen lässt, damit die zwei Köche an Rezepten arbeiten können. Im Supermarkt macht Emil große Augen, wenn der Zwei-Sterne-Restaurantleiter den Unterschied des Plattfisches mit einem anderen Meeresbewohner erklärt. Für den Restaurantbetreiber hat es allerdings durchaus Vorteile, dass «Raue – Der Restaurentretter» bei RTL mit enttäuschenden Werten läuft: So bekommen nicht so viele Menschen mit, wie wenig Ahnung ihr Koch hat.

Zwischenzeitlich wird ein bisschen Drama vermittelt, denn die neu verlegte Elektrik muss von einem Meister abgenommen werden. Sollte das nicht klappen, so sagt der Erzähler, würde die Neueröffnung ins Wasser fallen. Doch schließlich gibt es Entwarnung. Im Privatleben von Emil gibt es noch Aufregung: Der Restaurantbetreiber hat seine Freundin aus dem Ausland, die bei ihm aktuell wohnt, geschwängert. Die Produktion verschweigt, ob seine Freundin überhaupt bezahlt wird und wo man noch überall wegschaut. Nach den aktuellen Google-Bewertungen scheint das „Chez Emil“ ganz gut zu laufen, wenngleich das Unterfangen mit dem jungen Mann eine wirklich riskante Situation war und eigentlich auch nicht wirklich unterstützt werden sollte. Er hat immerhin seine Schule abgebrochen, mit 17 Jahren ein Lokal übernommen und ist nun Hals über Kopf Familienvater geworden. Vielleicht wäre es besser, man würde maue bis mittelmäßige Gaststätten zum Erfolg verhelfen und nicht solchen kulinarischen und privaten Voll-Katastrophen.
23.07.2024 12:02 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/153352