Buchclub: ‚Das vermessene Volk‘

Mit der Rolle der Staatsangehörigkeitsstatistik in Deutschland befasst sich der Autor Philipp Kröger.

Das Buch "Das vermessene Volk" von Philipp Kröger ist eine Analyse der Nationalitätenstatistik und Bevölkerungspolitik in den östlichen Grenzgebieten Deutschlands im Zeitraum von 1860 bis 1945. Die Arbeit gehört in den Bereich "Historische Wissensforschung" und ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der deutschen Nationalismusgeschichte.

Philipp Kröger beschäftigt sich in seinem Buch mit der Rolle der Nationalitätenstatistik in Deutschland, insbesondere in den östlichen Grenzregionen. Diese Gebiete, die heute teilweise in Polen und Litauen liegen, waren in der deutschen Geschichte von zentraler Bedeutung für die nationalistische Politik. Kröger zeigt auf, wie die Nationalitätenstatistik ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Instrument zur Erfassung ethnischer Zugehörigkeiten wurde und damit die Grundlage für nationalistische und bevölkerungspolitische Maßnahmen bildete. Die Statistik diente zur Erfassung von Daten und wurde als Werkzeug zur Durchsetzung politischer und ideologischer Ziele genutzt. Im Kontext des Nationalismus kamen Zahlen und Daten zum Einsatz, um ethnische Zugehörigkeiten und nationale Identitäten zu definieren und zu kategorisieren. Kröger beschreibt, wie diese Techniken im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verfeinert und schließlich in den 1930er- und 1940er-Jahren zu einem Instrument der Bevölkerungsplanung und -politik wurden. Die Nationalitätenstatistik machte es leicht, ethnische Gruppen zu identifizieren, zu kartieren und schließlich im Rahmen der nationalsozialistischen Politik zu vertreiben oder gar zu vernichten.

Der Autor untersucht die Entwicklung der Nationalitätenstatistik über einen Zeitraum von etwa 80 Jahren. Dabei analysiert er, wie statistische Methoden und ethnopolitische Kategorien wie "Volk", "Nation" und "Rasse" im Laufe der Zeit in konkrete politische Maßnahmen übersetzt wurden. Besonders eindrucksvoll zeigt er, wie die ursprünglich wissenschaftliche Praxis der Datenerhebung und -auswertung in den Dienst einer zunehmend radikalisierten politischen Agenda gestellt wurde. Ein zentraler Aspekt von Krögers Arbeit ist die Frage, wie sich das Verständnis von Nation und Volk im Laufe der Zeit durch die Nutzung von Statistik und Kartierungstechniken verändert hat. Dabei betont er, dass die Nationalitätenstatistik nicht nur ein Instrument zur Beschreibung bestehender ethnischer Realitäten war, sondern auch zur Schaffung neuer ethnischer Kategorien beitrug. Indem ethnische Zugehörigkeiten in Zahlen gefasst und auf Karten dargestellt wurden, wurde das Nationale zu einer verwaltbaren Tatsache, die in staatliche Planungen und politische Entscheidungen einfloss.

Krögers Werk ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Rolle von Wissenschaft und Statistik in der politischen Geschichte Deutschlands. Die Nationalitätenstatistik war nicht nur ein technisches Hilfsmittel, sondern spielte eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung nationaler und ethnopolitischer Ziele. In diesem Kontext zeigt Kröger, wie eng die Verflechtung von Wissenschaft und Politik im deutschen Nationalismus war. Die Bedeutung von Krögers Arbeit liegt auch darin, dass sie zeigt, wie wissenschaftliche Methoden zur Legitimation von politischen Entscheidungen verwendet werden können. In der Geschichte der Nationalitätenstatistik wird deutlich, dass die Erhebung und Darstellung von Daten nicht neutral ist, sondern immer auch von politischen und ideologischen Interessen geprägt ist.
13.08.2024 12:14 Uhr  •  Sebastian Schmitt Kurz-URL: qmde.de/153873