In einer zweistündigen Dokumentation wollte ProSieben die Demokratie mit künstlicher Intelligenz besser machen. Herausgekommen ist eine Produktion, deren inhaltlicher Wert gen Null geht.
Linda Zervakis, die frühere «Tagesschau»-Sprecherin und ehemalige Moderatorin des Magazins «Zervakis & Odenhövel. Live.», hat eine Dokumentation für ProSieben produziert. „2024 ist das Superwahljahr für die Hälfte der Weltbevölkerung“, so das theatralische Opening von
«ProSieben. Thema. Kann KI die Demokratie retten?». „Auch bei uns in Deutschland stehen ab dem 1. September wichtige Landtagswahlen an. Sie gelten als Stimmungstest für die Bundestagswahl im nächsten Jahr“, kommentiert Zervakis im Opening, in dem eine dramatische Musik eingespielt wird und die Wahlplakate aus der Europawahl hängen. Ganz dominant: Die Grünen mit „Mach Nazis ein Kreuz durch die Rechnung“. Zervakis fragt, es sei doch eine gute Zeit für die Demokratie. Nun erscheint Olaf Scholz in einem Einspieler – Rechtsextremisten würden unsere Demokratie angreifen.
ProSieben versucht mit dem Thema Künstliche Intelligenz und Wahlen eine gemeinsame Brücke zu schlagen, aber das geht gehörig schief. In den ersten Minuten wird von Linda Zervakis ein Avatar erstellt, der lediglich zur optischen Demonstration angelegt wird. Eine doppelte Zervakis, unnötig. Genauso wie die eingangs zahlreichen oberflächlichen Statements aller Parteien in Berlin. Diese sind zum Teil richtig begeistert von den neuen Möglichkeiten, aber die Probleme, diese Anwendungen zu benutzen, werden nicht erwähnt. Man merkt der Moderatorin schnell an, dass sie weder über das Thema belesen noch eine gute Reporterin zu sein scheint.
Die Bildsprache der Sendung ist hingegen hervorragend, oftmals werden Straßenzüge gefilmt und dort mit Hilfe von Animationen, aber auch künstlicher Intelligenz, die Fragen in den Raum geworfen. Die Moderatorin Linda Zervakis trägt durchgehend eine Jeans bis zum Bauchnabel, eine weiße Bluse und eine dunkelgrüne Jacke. Das ist leider das einzig verbindende Element, dieser Dokumentation, die zahlreiche Fragen aufwirft, aber keine nur ansatzweise beantwortet.
Bereits in den ersten 18 Minuten spricht Zervakis mit der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt über ernste Probleme, dass sich die Vergabe von Kindergartenplätze mit ideologischen Punkten kreuzt. Göring-Eckardt versucht sogar ein KI-Programm zu fordern, das weder über Aussehen noch Herkunft urteilt. Doch selbst im großen Berlin gibt es makroökonomische Räume und Gegenden, in denen Besserverdiener leben. Ist also eine gleichmäßige Verteilung wichtiger als einen Kindergartenplatz in unmittelbarer Wohnnähe? Keine Nachfrage, das Thema „Kinder“ klingt sowieso immer gut. Das ändert aber weiter nichts an der Tatsache, dass die Berliner Behörden völlig überlaufen sind – und wie eine «Fakt»-Dokumentation vor Kurzem zeigte – auch noch Verwaltungsmaschinen in Papierform sind.
Norbert Kleinwächter, für die Alternative für Deutschland (AfD) Mitglied im Bundestag, darf ebenfalls zu Wort kommen. Er argumentiert, er arbeitete viel mit KI zusammen und erstelle vor allem auch computergenerierte Bilder. Als Zervakis ihn dazu befragt, ob seine Partei mit gefakten Bildern im Netz arbeite, weicht Kleinwächter zunächst aus. Er selbst habe Bilder zur bloßen Übertreibung erstellt, aber auch daraus gelernt, dass man diese kennzeichnen müsse. Man zeigt ihm ein von ihm erstelltes Foto „Nein zu noch mehr Flüchtlingen“, das für ihn lediglich eine „Illustration“ sei. Entlarven kann Zeravkis diesen Mann allerdings nicht.
Das Themenhopping geht munter weiter. Als nächstes befindet sich der Zuschauer an der europäischen Außengrenze, wo ein Testsystem Flüchtlingen Fragen stellte. Schließlich geht es weiter zu einer Sitzung des deutschen Digitalausschusses, damit Konzerne wie Meta und Alphabet nicht zu mächtig werden und reist schließlich noch nach Bad Saarow zu Bürgermeister Christian Schroeder (CDU), der seine Reden mit Hilfe von ChatGPT schreiben lässt. Damit es nicht zu trocken wird, geht die Moderatorin mit mehreren Personen in eine lokale Bar und lässt dort Fragen beantworten. Zwischendurch dürfen immer wieder Experten wie Sascha Lobo seine Einschätzungen mitteilen.
Schließlich reist Linda Zervakis in die Erfurter Innenstadt und bereits nach wenigen Informationen wird klar, dass das Thema Wohnen viele Menschen bewegt. Schließlich sei das auch der Punkt, durch den die Alternative für Deutschland (AfD) wegen der Flüchtlingswelle einen extremen Aufschub bekam. Der eine oder andere Passant fasst das in der Straßenumfrage auch gut zusammen: Die Parteien sollten sich „endlich“ um die Probleme kümmern, statt immer nur den rechten Rand zu beklagen. Tatsächlich ist Mietsteigerung ein großes Thema, wie dann auch die Bilanz einer Software zeigt. Doch für diese Themenbefragung hat es sicherlich keine Künstliche Intelligenz gebraucht. Die deutsche Bürokratie ist hoffnungslos überlastet, der Anforderungskatalog im Bereich Bauen völlig überreguliert und der Markt der Wohnungen viel zu klein. Wohnen ist
das zentrale Thema, schließlich entscheidet die Miethöhe, welchen Betrag die Menschen sonst noch zum Leben übrighaben.
Kann KI die Demokratie retten? Nein, natürlich nicht. «ProSieben. Thema. Kann KI die Demokratie retten?» schafft es auch nicht, dass dieses Thema vernünftig vermittelt wird. Hier werden zu viele Themen angerissen, die nicht abgearbeitet werden. Stattdessen präsentiert ProSieben-Verantwortlicher Stefan Vaupel ein Potpourri an verschiedenen KI-Themen, wovon nicht ein Handlungsstrang vernünftig abgearbeitet wird.
«ProSieben. Thema. Kann KI die Demokratie retten?» ist bei Joyn abrufbar.