Warum Pinar Atalay die logische Kloeppel-Nachfolgerin gewesen wäre

«RTL Aktuell» aus Berlin mit Pinar Atalay – das klingt doch eigentlich nach einem perfekten Match. RTL sah dies wohl anders und hat damit eine ideale Gelegenheit zur Erneuerung liegengelassen, kommentiert Mario Thunert.

Als Peter Kloeppel und Ulrike von der Groeben im März bekanntgaben, dass sie ihren Vertrag nicht verlängern und damit die Moderation von «RTL Aktuell» nach 32 Jahren abgeben werden, schoss zwangsläufig die Frage nach der Nachfolge ins Kraut. Wer hat das Format des Anchormans, der die Souveränität besaß, bei den Anschlägen vom 11. September kurzfristig durch eine Sondersendung zu leiten, in der erst nach und nach erste Informationen eintrafen? Wer besitzt eine vergleichbare Autorität, Glaubwürdigkeit, journalistische Kompetenz und körperliche wie stimmliche Präsenz, die dem das Wasser reichen kann?

Hätten Sie mich gefragt, auf wen diese Kriterien im Sender am ehesten zutreffen, hätte ich sofort, ohne zu zögern, Pinar Atalay geantwortet. Seit 2021 führt die 46-Jährige Journalistin bei RTL durch das neu erschaffene News-Journal «RTL Direkt» am späten Abend, nachdem sie zuvor sieben Jahre lang eine vergleichbare Tätigkeit für die renommierten «Tagesthemen» im Ersten Deutschen Fernsehen ausübte. Dort konnte sie sich im Schatten von News-Größen wie Thomas Roth, Caren Miosga und Ingo Zamperoni einen derart guten Ruf erarbeiten, dass sie sich für mehr empfahl. Beim Kölner Privatsender sah man dies offensichtlich ähnlich und engagierte sie als ebenbürtige Hauptmoderatorin neben Jan Hofer für das neue Nachrichtenmagazin, wo sie deutlich mehr Einsätze erhalten sollte.

Für Atalay war es ein folgerichtiger Schritt auf ihrer Karriereleiter. Folgerichtig war dann auch die Entscheidung von der «RTL-News»-Redaktion, sie zusätzlich beim Flaggschiff «RTL Aktuell» ins Boot zu holen - am 3. September 2021 feierte sie ihre Premiere beim Nachrichten-Klassiker am Vorabend. Zu diesem Zeitpunkt beschlich mich bereits das Gefühl, dass Atalay langsam aber sicher als wichtigste journalistische Personalie im Sender nach Peter Kloeppel aufgebaut werden soll, um sie für seine Nachfolge zu einem späteren Zeitpunkt in der Zukunft in Stellung zu bringen. Unterstrichen wurde dieser Eindruck von der Tatsache, dass die Journalistin bereits im Vorfeld ausgewählt wurde, um zusammen mit Kloeppel das Triell zur Bundestagswahl als Interviewerin zu bestreiten, quasi eine Adelung, für die sie auch viele Lorbeeren einheimsen konnte

Skizziertes Ablöseszenario erschien dann in diesem Jahr, nachdem Peter Kloeppel seinen Rückzug verkündete, logisch und konsequent – der Person, der offenbar ja auch RTL selbst das größte Renommee neben dem langjährigen Anchor zuschreibt, würde die mit Abstand reichweitenstärkste und damit wichtigste Nachrichtensendung des Kanals anvertraut werden. Und doch kam alles - aus meiner Sicht überraschend - ganz anders. Anstatt die bereits zum Team gehörende und etablierte Atalay als starke Nachfolge-Gestalt zu benennen, holte man von außen ntv-Nachrichtensprecher Christopher Wittich sowie «Punkt 12»-Moderatorin Roberta Bieling, um mit ihnen zwei Teams zu bilden.

An dieser Stelle zeigt sich ein Gefälle, das einige Fragezeichen aufwirft. Ohne den beiden ihre Kompetenz und Fähigkeit absprechen zu wollen, die auch sie zweifelsfrei an ihren bisherigen Positionen eingebracht haben, so war es doch Atalay, die in der RTL-Riege für am stärksten gehalten wurde, um für das Triell aufgestellt zu werden – und eben nicht Bieling oder Wittich. Daraus erfolgt die Schlussfolgerung, dass nicht (mehr) die stärksten Moderatoren und Moderatorinnen das (quoten-)stärkste Nachrichtenformat des Senders führen werden (was bisher mit Peter Kloeppel vom Renommee her der Fall war). Im selben Atemzug bedeutet dies also eine Schwächung von «RTL Aktuell» in der Außendarstellung.

Jetzt kann man dieser Argumentation entgegenhalten, dass auch bei anderen Sendeanstalten wie ARD und ZDF nicht die journalistisch profundesten und inhaltlich versiertesten Moderatoren auch gleich die quotenstärksten Nachrichtenformate präsentieren. So moderieren/ moderierten im Ersten Größen wie Ulrich Wickert, Tom Buhrow, Anne Will, Caren Miosga, Jessy Wellmer und Ingo Zamperoni eben nicht die erfolgreichste News-Sendung «Tagesschau», sondern den am späteren Abend gesendeten Journal-Ableger «Tagesthemen», der eine größere journalistische Einbringung erfordert, aber auch geringere Einschaltquoten hat. Ähnlich beim ZDF, wo Granden wie Marietta Slomka, Claus Kleber und Steffen Seibert nicht am Vorabend, sondern in der Late-Prime einordnen wollen/wollten. Sie stellen zwar die Nachrichtensendung mit der aktuell wohl größten Reputation in Deutschland, die aber ungefähr so viele Zuschauende holt, wie die Hauptnachrichtensendung um 19:00 Uhr.

Eine Frage der Größenordnung: RTLs «Heute-Journal» ist «RTL Aktuell»

Vergleichen lassen sich diese Konstellationen allerdings nur bedingt. Schließlich weist RTL bei weitem nicht so eine lange «Journal»-Historie am späteren Abend auf, wie die beiden öffentlich-rechtlichen Kanäle. Stattdessen ist es momentan vielmehr noch so, dass im Programm des Deutzer Privatsenders das langläufige «RTL Aktuell» ein klar größeres Kaliber darstellt, als das «Heute-Journal»-Pendant «RTL Direkt» – sowohl was die Reichweite betrifft, als auch die Außenwirkung, die Jahrzehnte lang vom profiliertesten Nachrichtenmann des Senders geprägt wurde. Von der Größenordnung und senderinternen Hackordnung gesehen, ist also «RTL Aktuell» das «Heute Journal» der Kölner. Das von Pinar Atalay moderierte «RTL Direkt» liegt klar dahinter und es darf trotz teils solider Ergebnisse bezweifelt werden, dass sich diese Ordnung in den Köpfen der Zuschauenden je umkehren wird. Das zeigt sich auch an der Auszeichnung der Goldenen Kamera 2018, die neben «Tagesthemen» und «Heute-Journal» eben Peter Kloeppel mit «RTL Aktuell» erhielt.

«RTL Aktuell» ist als unumkehrbar bekannteste und stärkste News-Marke von RTL fest in den Köpfen der Leute verankert. Daraus folgt meiner Ansicht nach, dass diese Marke auch mit der stärksten News-Person im Sender besetzt zu werden hat: Pinar Atalay, die bereits seit zehn Jahren zur Riege der Top-Nachrichten-Journalistinnen/Journalisten des Landes zählt. Ihr Name ist dabei in der Reihe von Marietta Slomka, Caren Miosga, Peter Kloeppel, Ingo Zamperoni, Dunja Hayali und Christian Sievers zu nennen und stellt in dieser Logik fast schon zwangsweise die Person dar, die aufrückt, um das News-Resort von RTL anzuführen – und das geht in der Außenrepräsentation nur an der Spitze von «RTL Aktuell». Das lässt sich auch an dem Umstand ablesen, dass Neu-Anchor Wittich heute die Wahlsendungen moderieren darf.

Nun lässt sich zu guter Letzt ins Feld führen, dass Atalay dafür ihre Tätigkeit als inzwischen alleinige Hauptmoderatorin von «RTL Direkt» wohl vernachlässigen müsste, die ihrem journalistischen Wirken vielleicht eher entgegenkommt. Diesbezüglich böte sich doch die Chance einer moderaten Neujustierung von «RTL Aktuell», die unter anderem vorsehen könnte, dass die Sendung (zumindest teilweise) aus Berlin gesendet wird, womit Atalay an den jeweiligen Tagen beide Sendungen im Wechsel mit Vertretungs-Moderatoren präsentieren könnte. Darüber hinaus kann dieser Standortvorteil im politischen Zentrum (den die öffentlich-rechtlichen nicht haben) dazu genutzt werden, dem RTL-Nachrichten-Klassiker mehr Vertiefung durch Politikergespräche und (Kurz-)Interviews mit anderen Fachpersonen direkt im Studio zu verschaffen. Im Gegenzug ließe sich Service-Überschuss, der auch bei «Punkt12» laufen könnte, streichen. Oder braucht es in der Hauptnachrichtensendung wirklich Beiträge, wie man morgens beim Aufstehen merkt, ob es ein guter oder schlechter Tag wird? Stattdessen wäre eine längst fällige regelmäßige Klima-Rubrik sinnvoll, in der Atalay mit verschiedenen Akteuren spricht und dabei ihre ganze journalistische Klasse unter Beweis stellen kann. Wenn man dafür die Sendung nach hinten oder vorne raus um fünf Minuten verlängern muss - warum nicht?

Zum Sender gelotst wurde die «Tagesthemen»-Dritte Pinar Atalay, um sie in die erste Reihe zu holen. Nun macht es von außen allerdings wieder den Eindruck, als sei sie erneut übergangen worden. Sollte es nicht ihre eigene Entscheidung gewesen sein, auf die «RTL Aktuell»-Nachfolge zu verzichten (bspw. aus privaten Gründen oder weil sie sich lieber auf das Spätabend-Magazin fokussieren will), ist dies zu respektieren. Sollte dem nicht so sein, gibt RTL damit meiner Meinung nach schon ein merkwürdiges Bild ab.
01.09.2024 10:45 Uhr  •  Mario Thunert Kurz-URL: qmde.de/154423