Die Kritiker: «Wir für immer»

Am Mittwochabend zeigt Das Erste einen leisen Film über eine Mutter, die ihren Sohn erdrückt. Ein Fernsehereignis der Extraklasse!

Stab

Darsteller: Philip Günsch, Marie Leuenberger, Mina-Giselle Rüffer, Vincent Hahnen, Stefan Maaß, Maurizio Magno
Musik: Michael Heilrath
Kamera: Michael Bertl
Drehbuch: Johannes (auch Regie) und Thomas Schmid
«Wir für immer» – schon der Titel suggeriert eine Verheißung, eine unbedingte, alles überdauernde Liebe, die hier zur dramatischen Hauptfigur erhoben wird. Doch wer hier einen schnulzigen Liebesfilm erwartet, wird überrascht, vielleicht auch überrumpelt – im besten Sinne. Denn dieser Fernsehfilm ist weit mehr als das. Er ist ein feinsinniges Porträt einer dysfunktionalen Familie, ein stilles Drama über die Zerbrechlichkeit von Beziehungen und die Bürde der Verantwortung, die einem auferlegt wird, wenn man noch gar nicht bereit dafür ist.

Jann, wunderbar zartfühlend gespielt von Philip Günsch, ist 17 Jahre alt und jongliert mit einem Leben, das für sein Alter viel zu schwer wiegt. Seine Mutter Lina, großartig verkörpert von Marie Leuenberger, ist der strahlende und zugleich tragische Mittelpunkt dieses Lebens. Eine Frau voller Widersprüche: kreativ, spontan und lebenslustig, aber auch unberechenbar, depressiv und in ihren schwärzesten Momenten kaum erträglich. Linas Trauma – in Andeutungen skizziert – schwebt wie ein Damoklesschwert über dem familiären Alltag, macht Jann zum unfreiwilligen Kümmerer und belastet ihn mit einer Verantwortung, die für einen Jugendlichen einfach zu viel ist.

Es sind die kleinen, alltäglichen Szenen, in denen «Wir für immer» seine Kraft entfaltet, Bilder einer trügerischen Idylle, die im nächsten Moment kippen kann. Die Stimmung des Films changiert zwischen Leichtigkeit und tiefer, unausgesprochener Traurigkeit. Nichts wird laut ausbuchstabiert, vielmehr wird das Drama fast beiläufig erzählt, die emotionalen Explosionen finden oft im Verborgenen statt, unterdrückt, wie die Tränen, die Jann hinter geschlossenen Türen weint.

Johannes und Thomas Schmid haben mit «Wir für immer» einen Film geschaffen, der sich Zeit nimmt, seine Charaktere zu entwickeln, und dabei auf die Kraft der Bilder vertraut. Die Kamera von Michael Bertl fängt die Zerbrechlichkeit dieser Familie ein, die ständig zwischen Nähe und Distanz oszilliert. Es sind Bilder, die lange nachhallen – ein heiteres Familienfrühstück auf dem Dach, das Herantasten an Janns Jugendliebe Selma (Mina-Giselle Rüffer), die leeren Augenblicke, in denen Jann einfach nur schweigt, überfordert von der Last, die er trägt.

Letztlich ist es die Begegnung mit Selma, die eine neue Dimension in Janns Leben bringt – eine Liebe, die trägt und nicht erdrückt. Selma ist der Gegenpol zu Janns Mutter, eine Zuflucht in einem Alltag, der zunehmend unerträglich wird. Diese zarte, aufkeimende Beziehung stellt alles auf den Kopf, wirft Janns wohlgeordnetes Chaos aus der Bahn und zwingt ihn, Entscheidungen zu treffen, die eigentlich nicht seine sein sollten. Es ist ein langsames Erwachsenwerden, das der Film zeigt, ein Ringen um Selbstbestimmung und um die Frage, wie weit man gehen kann, um jemandem zu helfen, ohne sich dabei selbst zu verlieren.

«Wir für immer» ist ein leises, aber eindringliches Drama, das ohne große Gesten auskommt und genau darin seine Stärke findet, ein Film über die Liebe in all ihren Facetten – die zerstörerische, die selbstlose, die rettende. Und nicht zuletzt auch ein Film, der seine Zuschauer mit der Frage zurücklässt, wie viel Verantwortung Liebe tatsächlich tragen kann und wann es Zeit ist, loszulassen. Ein starkes Ensemble, eine einfühlsame Inszenierung und ein mutiges Drehbuch machen «Wir für immer» zu einem Film, der berührt, ohne sentimental zu werden, und der in seiner stillen Art lange nachwirkt.

Der Film «Wir für immer» wird am Mittwoch, den 11. September um 20.15 Uhr im Ersten gezeigt.
10.09.2024 11:20 Uhr  •  Oliver Alexander Kurz-URL: qmde.de/154644