«Concordia – Tödliche Utopie»: Unsere Gegenwart, nur ein bisschen anders

Ein Mord bringt die schwedische Stadt Concordia weltweit in die Schlagzeilen, denn ein solcher Fall scheint dort nach menschlichem Ermessen unmöglich. In Concordia wird jeder Schritt eines Menschen überwacht – 24 Stunden am Tag. Und doch liegt ein junger Mann tot in seinem Wagen. Was ist geschehen?

Concordia – Tödliche Utopie

  • D/F/Japan/VER 2023/24
  • Redaktion: Solveig Cornelisen, Laura Mae Harding, Caroline von Senden
  • BUCH: Nicolas Racz, Mike Walden, Isla van Tricht
  • KAMERA: Dominik Berg
  • MUSIK: Reinhold Heil
  • Besetzung: Christiane Paul, Nannna Blondell, Ruth Bradley, Steven Sowah, Ahd Kamel, Hugo Becker, Kento Nakajima, Jonas Nay, Joséphine Jobert
Das ZDF hat gemeinsam mit MBC (Dubai), France Télévisions und Hulu Japan eine ungewöhnliche Krimiserie erschaffen. «Concordia – Tödliche Utopie» spielt im Hier und Jetzt, doch nicht ganz in der Realität. Denn in dieser Serie gibt es die schwedische Stadt Concordia, die vor 20 Jahren auf den Überresten einer sterbenden Gemeinde errichtet wurde. Es war ein Drama: Eine Stadt verliert ihre Industrie, junge Menschen und Fachkräfte wandern ab, und die Stadt verfällt. Ein Amoklauf an einer Schule gab der Stadt schließlich den Todesstoß – und eröffnete Juliane Ericksen eine Chance. Die charismatische Geschäftsfrau hatte eine Vision: den Bau einer perfekten Stadt. Eine Stadt, in der alle Kinder eine Bildung erhalten, die individuell auf sie zugeschnitten ist. Wo die Straßen sauber sind, wo es für alle Arbeit gibt und eine perfekte Gesundheitsversorgung. Eine Stadt, die einzig den Bürgerinnen und Bürgern dient. Ein Utopia, in dem Politik zwar stattfindet, im Grunde jedoch überflüssig ist, weil die Stadt von sich aus perfekt funktioniert und die Notwendigkeit von Politik somit eliminiert.

Den Preis für diese Perfektion zahlen die Einwohner Concordias mit ihren Daten. Es gibt in Concordia keinen Ort, der nicht überwacht, vermessen oder berechnet würde. Keinen einzigen. Nicht einmal das Schlafzimmer oder die Toilette bieten Rückzugsräume. Die Überwachungsquote liegt bei 100 Prozent. Um eines klarzustellen: Niemand lebt in Concordia gegen seinen Willen. Im Gegenteil, die wenigen Plätze, die jedes Jahr neu dazukommen, sind heiß begehrt. Denn Concordia hat sein Versprechen gehalten: Wohlstand und Sicherheit sind garantiert. Bis jetzt ...

Ein Grenzfall


Der Tote heißt Oliver Miller. Ermordet wurde er fast genau an der Grenze Concordias, sodass er aus dem Überwachungsraster gefallen ist. Es gibt keine Videoaufzeichnungen, keine Tonaufnahmen, nichts, was Auskunft über die Ereignisse geben könnte. Für Concordia ist dies ein Super-GAU. Während die Öffentlichkeit den Mordfall verfolgt, stellen die Systemanalytiker Concordias fest, dass sie offenbar gehackt wurden. Concordias Server galten bis zu diesem Tag als uneinnehmbare Bastion für Hacker aus aller Welt. Niemandem war es jemals gelungen, Daten zu stehlen oder zu manipulieren. Der Zeitpunkt des Angriffs scheint kein Zufall zu sein, denn Oliver Miller arbeitete im sensibelsten Bereich Concordias. Da Concordia de facto über keine eigene Polizei verfügt (wozu auch?), übernimmt die Polizei in Göteborg die Ermittlungen. Gleichzeitig holt Juliane eine externe Analytikerin, die Britin Thea, die auf Krisenmanagement spezialisiert ist und im Grunde nur einen Job hat: möglichst viel von den Geschehnissen in Concordia zu vertuschen – oder sie der Öffentlichkeit so darzustellen, dass alles gar nicht so schlimm erscheint. Immerhin gibt es eine Spur zu den möglichen Mördern, die mit einem Mädchen aus Concordia zusammenhängt, das verschwunden ist.

Positiv an der sechsteiligen Serie ist, dass Concordia nicht die klischeebeladene Dystopie darstellt, die man vielleicht erwartet. Nicht, dass Concordia in der Realität ein erstrebenswerter Ort wäre. Doch die Inszenierung erlaubt sich, das Konzept Concordia neutral zu hinterfragen – ohne den erwartbaren, öffentlich-rechtlichen Betroffenheitsduktus. Statt das Konzept Concordia von einem akademisch-polierten, redaktionellen Standpunkt aus als per se verachtenswert darzustellen, als ein neo-kapitalistisches Sodom, das seinen Reichtum aus den Daten und der totalen Überwachung seiner Bewohner generiert, stellt die Geschichte immer wieder die Frage: Gibt es vielleicht Gründe, die für eine Stadt wie Concordia sprechen? Diese Frage personifiziert sich in Juliane Ericksen, der Gründerin der Stadt, gespielt von Christiane Paul. Sie verkörpert die Stadtgründerin mit einer Aura, die Respekt gebietet. Diese Aura wirkt stark und zielorientiert, aber nicht kühl oder gar verschlagen. Juliane hatte eine Idee, sie hat sie umgesetzt, und es gibt keine Hinweise darauf, dass sie es nicht ernst meinte mit ihrer Vision einer Stadt, die zwar ihren Preis einfordert – dafür aber auch liefert. Denn das ist der Punkt: Concordia ist nicht wie China, wo Menschen Sozialpunkte für ihr Verhalten bekommen. Es herrscht uneingeschränkte Meinungsfreiheit, es herrscht Wohlstand … nur die Sache mit den Daten trübt das schöne Bild. Ach ja, und der Mord natürlich.

Was die Spannung betrifft, tritt die Serie bedauerlicherweise nicht nur einmal auf der Stelle. In den ZDF-Pressenotizen heißt es beispielsweise, „eine atemlose Jagd beginnt“ auf Elodie. Elodie ist das Mädchen, das nach Oliver Millers Tod aus Concordia verschwindet. Concordia ist keine abgeschottete Gemeinde. Elodie hat die Stadt verlassen – um dann jedoch vollkommen unterzutauchen. Wenn nun von einer atemlosen Jagd die Rede ist, stellt man sich vor, wie Männer in schwarzen Anzügen Elodie hinterherjagen und sie immer wieder nur knapp ihren Häschern entkommt. Doch das ist nicht der Fall. Stattdessen sucht ein Computerhacker aus Italien (die Trentino Film Commission hat Geld in die Produktion investiert, also musste auch in Italien gedreht werden) nach Spuren von Elodie – digital. Der gute Mann sitzt also mal im Café oder vor einem Brunnen und sucht, stets bestens mit WLAN versorgt, online nach Spuren des Mädchens. Ein bisschen mehr Nähe zwischen der Verfolgten und ihrem Jäger hätte der Spannung nicht geschadet. Darüber hinaus ist Elodie mit einer jungen Frau auf der Flucht, von der wir sehr bald erfahren, dass sie wohl einer Gruppe von Aktivisten angehört, die sich The Faceless nennt. Diese Aktivisten sind nicht gut auf Concordia zu sprechen, auch weil Concordia eine Art Zweigstelle in Sachsen eröffnen will, eine Stadtgründung, die gegen den Willen vieler Bürger durchgesetzt wurde. Doch diese Aktivisten bleiben – blass. Sie wirken nie wirklich durchorganisiert, wie man es von einer Gruppe erwarten würde, die eine Frau wie Juliane Ericksen herausfordern will.

Mit sechs Episoden Laufzeit braucht «Concordia – Tödliche Utopie» immer wieder Füllmaterial, um die gesamte Zeit zu überbrücken. Der Mordfall, der eigentlich als verbindendes Element zwischen den verschiedenen Handlungssträngen dienen soll, gerät dabei immer wieder aus dem Fokus. Trotz der ambitionierten Prämisse und des spannenden Settings bleibt die Serie in vielen Aspekten hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Am Sonntag, 20. Oktober 2024, und am Montag, 21. Oktober 2024, ab 22.15 Uhr jeweils drei Folgen im ZDF / ab 14. September 2024 in der Mediathek
12.09.2024 12:38 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/154709