Andrej Sorin: Wir wollten ‚möglichst viel Reibungsfläche erzeugen‘

«Kanzlei Liebling Kreuzberg»-Drehbuchautor Sorin musste keine Videokassetten für die Fortsetzung besorgen, die Produktionsfirma Odeon Film hatte schon alle Bänder digitalisiert.

Wie sind Sie bei der Modernisierung des Serienklassikers vorgegangen? Gab es besondere Herausforderungen, den Geist des Originals zu bewahren, während Sie die Geschichte in die heutige Zeit transportiert haben?
Das Original hat von Manfred Krugs großartiger Performance gelebt, die ihm Drehbuchautor Jurek Becker auf den Leib geschrieben hat. Die größte Herausforderung war es, diesen Charme ins heute zu transportieren, aber gleichzeitig auch etwas Eigenes zu kreieren, das unabhängig von der Vorlage funktioniert. Recht früh kam dann die Idee mit der Enkelin und der Klausel, die Robert in den Vertrag eingebaut hat, damit die Kanzlei weiterhin in „Familienhand“ bleibt. Diese Klausel verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft.

Welche Elemente der Originalserie «Liebling Kreuzberg» waren Ihnen besonders wichtig, in der Neuinterpretation beizubehalten, und welche Aspekte haben Sie bewusst verändert?
Robert Liebling war der Anwalt der „kleinen Leute“. Uns war es wichtig, dieses Element beizubehalten und es durch seine Enkelin Lisa zu erzählen, die sich ihre Mandate direkt aus Kreuzberg holt. Auch Humor und Leichtigkeit spielt sowohl in der Vorlage als auch in unserem Film eine zentrale Rolle. Was sich ganz klar verändert hat, ist die Länge. Statt einer Serie mit 45 Minuten á Folge erzählen wir die Geschichte in einem Fernsehfilm mit 90 Minuten. Und auch die Perspektive ist eine andere: Zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen und Meinungen müssen sich nun die alte Kanzlei von Robert teilen. Und das nicht ganz konfliktfrei.

Der Film stellt starke, weibliche Hauptfiguren in den Mittelpunkt. Wie haben Sie deren Charaktere entwickelt, um sowohl den heutigen Zeitgeist als auch die Tradition der Serie zu reflektieren?
Wir wollten zwei Figuren entwickeln, die konträr zueinander stehen, um möglichst viel Reibungsfläche zu erzeugen. Dr. Talia Jahnka hat die Kanzlei von Robert übernommen und sie auf einen wirtschaftlichen Erfolgskurs gebracht. Sie steht für die „alte Welt“, während Lisa Liebling – frisch von der Uni - nun ihr Erbe antritt und mit ihrem Idealismus für ordentlich Chaos sorgt. Doch zwischen all der Reibung, lernen sie auch von einander und merken, dass sie zusammen besser sind.

Inwiefern beeinflusst die veränderte Kulisse von Kreuzberg, das sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat, die Erzählweise und die Themen des Films?
Es sind bestimmte Themen wie „Gentrifizierung“ und „Wohnungsnot“, die unmittelbar mit der Wandlung zusammenhängen und die wir auch im Film thematisieren. Zudem spiegelt sich das Spannungsfeld, in dem sich Kreuzberg befindet, auch in der Kanzlei wider. Wirtschaftlichkeit vs. Wohltätigkeit. Lukrative Mandate vs. „kleine Leute“. Aber damals wie heute ist Kreuzberg bunt und divers. Auch das haben wir versucht, authentisch darzustellen.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern der ursprünglichen Serie, insbesondere mit Anja Franke und Roswitha Schreiner, die in ihre alten Rollen zurückkehren?
Wir haben im Vorfeld für das Drehbuch positives Feedback sowohl von Anja Franke als auch von Roswitha Schreiner erhalten. Das war für uns alle ein gutes und wichtiges Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Perspektive der beiden Schauspielerinnen von damals war sehr wichtig, um den Kontakt zur Vorlage nicht zu verlieren.

Wie haben Sie es geschafft, das Erbe von Manfred Krug und seiner Darstellung von Robert Liebling in den neuen Film einzubeziehen, ohne ihn direkt zu ersetzen?
Hier kommen die Tonbänder seines Diktiergeräts ins Spiel, die Lisa auf dem Dachboden der Kanzlei findet. Auf den Bändern - alles Original-Zitate aus der Serie - philosophiert Robert Liebling in seiner gewohnten Lässigkeit über Recht und Gerechtigkeit. Für Lisa ist es heilsam und erhellend, die Stimme ihres Opas zu hören und die Fans der Serie freuen sich hoffentlich über diesen kleinen (auditiven) Gastauftritt von Manfred Krug.

Der Film thematisiert aktuelle gesellschaftliche Konflikte, wie den Generationenkonflikt und die Gentrifizierung. Was hat Sie dazu inspiriert, diese Themen in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen?
Die Prämisse der Neuauflage bringt den Generationenkonflikt schon mit sich: Eine junge Anwältin frisch von der Uni und eine gestandene Juristin prallen aufeinander. Darüber hinaus war es uns wichtig, Geschichten zu erzählen, die sich organisch aus Kreuzberg ergeben. Wie zum Beispiel das Thema Gentrifizierung.

Welche Rolle spielt der Humor in der Neuinterpretation von «Liebling Kreuzberg»? War es schwierig, den spezifischen Humor der Originalserie in die heutige Zeit zu übertragen? Gab es Denkverbote?
Humor ist für das Format entscheidend! Auch wenn ich denke, dass wir eine andere „Humorfarbe“ haben, als das Original. Neben den neuen Figuren ist das auch der Versuch, eine eigene Handschrift zu finden. Denkverbote gab es keine, aber es gab in «Liebling Kreuzberg» hin und wieder auch Witze, die man heute im Fernseher nicht machen würde.

Für ein solches Projekt muss man zunächst an das Originalmaterial kommen. Woher haben Sie die Serie bekommen? Lagerten Sie alte Kassetten im Keller und mussten Sie einen alten Videorecorder herauskramen?
Haha, nein es war zum Glück viel einfacher: Über die Produktionsfirma Odeon Fiction hatte ich digitalen Zugriff auf alle Folgen. Und dann habe ich die alte Serie gebinged, wie man heute sagen würde. Und bin sofort Fan geworden. Die Serie war unterhaltsam, originell und spannend.

Gab es Momente während des Schreibprozesses, in denen Sie sich besonders von den alten Folgen der Serie inspiriert gefühlt haben? Wenn ja, welche Szenen oder Dialoge haben Sie dabei besonders geprägt?
Ich war sehr von Jurek Beckers Wortgewandtheit fasziniert. Diese schlagfertigen, schnellen Dialoge, die Wortverspieltheit und der trockene Humor sind schon eine Klasse für sich. Das habe ich versucht, in den neuen Film zu übertragen. Einerseits natürlich direkt über die Tonbänder und darüberhinaus haben beide Protagonistinnen neben ihren ganz eigenen Charaktereigenschaften auch etwas von Roberts Schlagfertigkeit und Humor abbekommen.

Hoffen Sie, dass der Film auch eine neue Generation von Zuschauern anspricht?
Ein Generations-Clash ist nicht nur ein Konflikt, sondern auch eine Chance, zu wachsen. Und ja: Ziel war es immer etwas zu kreieren, dass sowohl den eingefleischten Fans gefällt, als auch neue Zuschauer für sich gewinnt. Ich bin sehr gespannt, ob uns das gelingen wird.

«Kanzlei Liebling Kreuzberg» ist am Freitag, 27. September 2024, um 20.15 Uhr im Ersten und ab 25. September in der ARD Mediathek zu sehen.
23.09.2024 12:51 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/154897