Tim Gehrke: ‚Karin Lossow hat den Verlust ihrer Kernfamilie weggesteckt‘

Der «Usedom-Krimi»-Produzent Tim Gehrke erklärt zum zehnjährigen Jubiläum den Erfolg der Reihe und welche Rolle Katrin Sass in dem Format spielt.

Der Usedom-Krimi» feiert nun schon seit zehn Jahren Erfolge. Was halten Sie für die Schlüsselfaktoren, die zur langfristigen Beliebtheit der Serie beigetragen haben?
Erst einmal spielen ja die Frauen die Hauptrollen. Und ein Anliegen der Reihe war immer, Wünsche von Frauen zumindest in der Fiktion zu erfüllen. Zweitens haben wir mit Usedom eine wirklich hübsche Bühne. Aber wir erzählen sie kontrastreich, Plattenbauten und Schrottplätze inklusive, wettergegerbt, schroff und winterlich – ich denke das mögen die Menschen, wenn sie die Küste sehen.

Und im Allgemeinen ist des Deutschen liebster Antrieb fürs Erzählen ja das Thema Schuld. Deshalb sind wir meiner Meinung nach so krimilastig im Fernsehen. Dass hier eine Ermittlerin im Mittelpunkt steht, die selbst viel Schuld auf sich geladen hat, indem sie ihren Ehemann umgebracht hat, aber sich nicht verschwiemelt weg duckt, sondern zu ihrer Schuld steht, ist sicherlich eine interessante Variante für den Zuschauer. Wenn sie am Ende einer Folge den Schuldigen stellt, dann teilt sie häufig Gefühle der Scham, der Reue und nicht zuletzt der Trauer, sehr starke Gefühle, die sie mit Täter und letztlich mit dem Zuschauer teilt. Insofern sind ihre Ermittlungen auch immer eine Ermittlung ihres Inneren.

Das kann – insbesondere, wenn’s von Katrin Sass gespielt wird – mit einer anderen Kraft daherkommen, als wenn man den Täter nachweist, dass er zwischen fünf und sieben am Tatort gewesen ist. Es sind immer Familiengeschichten und Beziehungsgeflechte, die unsere Episoden-Geschichten erzählen, so wie es eine Familiengeschichte um Karin Lossow ist, die den Grundton der Reihe vorgibt. Dass die Zuschauer dieses doppelte Familiendrama in allen Filmen bekommen – seit der Folge 1 – darauf können sie sich bei uns verlassen. Knarren, Blut und professionelle Bösewichte gibt es dafür weniger. Das ist bisher aufgegangen.

Wie entwickeln Sie die Geschichten und Charaktere im Laufe der Jahre weiter? Gibt es spezielle Aspekte oder Ziele, die Sie seit Beginn der Serie im Hinterkopf haben?
Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die eigentliche Kernfamilie ein bisschen länger gehalten hätte und die Tochter als Polizistin nicht in Folge 6 sterben musste. Ehrlich gesagt waren wir sehr zufrieden, dass die Protagonistin im wahrsten Sinne des Wortes so robust gebaut war – was selbstverständlich auch wieder mit Katrin Sass zu tun hat - dass die Reihe nicht gelitten hat, als wir ihr die „Ersatztochter“ Ellen Norgaard und später ihren Neffen Rainer Witt erfunden und ihr zur Seite gestellt haben. Karin Lossow hat den Verlust ihrer Kernfamilie weggesteckt, so scheint es jedenfalls. Aber wir werden in einer der Folgen, die jetzt ausgestrahlt werden, sehen, wie stark ihr dies noch nachgeht. Alte Wunden vom Tod ihrer Tochter werden aufreißen. Das wird sehr berührend und ist eine starke Geschichte geworden.

Wir haben uns seit der ersten Folge immer vorgenommen, vor allem den Figuren zu dienen und aus den Charakteren heraus zu erzählen. Ich habe mich so intensiv mit den Figuren beschäftigt, dass mir das gar nicht genug sein kann, aber der Zuschauer schaut eine Reihe immer mit einem Jahr Abstand, da hat das horizontale Erzählen seine Grenzen und der Krimi muss ja auch noch gebaut und erzählt werden.

Wie hat die Arbeit an diesem Krimi Ihre Perspektive auf die Produktion von Kriminalgeschichten verändert oder erweitert? Welche Lektionen haben Sie aus dieser Erfahrung mitgenommen?
Ich bin seit 30 Jahren mit Fernsehkrimis beschäftigt: «Wolffs Revier», «SK-Kölsch», «Flemming», die letzten zwölf Jahre «Usedom-Krimi» – inklusive Entwicklungszeit. Mal ehrlich: Die Kriminalfälle kommen und gehen, ähneln sich oder sind auch mal ganz besonders, aber eigentlich habe ich mich immer für die Ermittler interessiert. Ich habe es immer als großen Luxus empfunden, nicht nur ihre Perspektive teilen zu dürfen, sondern mit den Autoren, den Regisseuren, der Redaktion zusammen die spezielle Perspektive einer Ermittlerfigur und die Möglichkeiten und Stärken eines Schauspielers immer weiterzuentwickeln und erfinden zu dürfen. Samuel Finzis intellektueller Flemming hatte so gar nichts mit dem Straßenköter von Uwe Fellensiek in «SK Kölsch» zu tun. Jürgen Heinrichs Wolff hatte zwar auch ‚ne Tochter - und das war schon damals Teil des Erfolgs – aber ansonsten wenig gemein mit der Lossow-Figur von Katrin Sass.

Was also Kommissariate angeht, fühle ich mich wie einer, der viermal versetzt worden ist, sehr unterschiedliche Kollegen erlebt hat. Um im Bild zu bleiben: Von der Ermittlerin Katrin Sass zu lernen, ist gar nicht so einfach. Sie ist nicht so leicht zu durchschauen, sie holt ihren großen, emotionalen Verstand aus sich heraus und konstruiert nichts. Das macht ihr Spiel komplex. Insofern habe ich auch beim Usedom-Krimi gelernt, was sich beim Fernsehen machen für mich bewährt hat: Vertrau denen, mit denen du zusammenarbeitest, vor allem denen, die vor oder an der Kamera stehen – und auf ihre Qualitäten, die es nur zu unterstützen gilt.

Welche Herausforderungen sind während der Produktion aufgetreten, insbesondere bei den langen Dreharbeiten in der kalten Jahreszeit, und wie haben Sie diese gemeistert?
Usedom ist tatsächlich eine Sonneninsel, aber manchmal hat's geschneit. Dann mussten alle mit anfassen und Schnee schaufeln oder mit einer Gasflamme zum Schmelzen bringen. Schwieriger wurde es, wenn der so genannte „Lake Effect“ riesige Schneemengen über Usedom abwarf, weil das Ostseewasser noch warm war, und die Schneewolken sich mit Feuchtigkeit vollgesogen hatten.

Dann gab’s tatsächlich zweimal 30 cm Schnee auf Usedom. Wunderschön! Aber bitte liegen bleiben, bis der Film abgedreht ist. Das ist natürlich nicht passiert. Zu gern hätte ich einmal eine Folge erlebt, die durchgängig im Schnee erzählt wird. Stattdessen wurde im Schneideraum oft so geschickt darüber weggetäuscht, dass an der Zinnowitzer Seebrücke Schnee liegt, im Kaiserbad Ahlbeck fast der Frühling ausbricht. Nun, wer sich bei einem spannenden Krimi allzu sehr daran stört, muss dann vielleicht zum Wetterbericht umschalten.

Wir hatten schon in der ersten Folge großartige Schwierigkeiten! Das klingt paradox, aber mit einem zugefrorenen Haff und einem eingefrorenen Schiff hat das Usedomwetter uns gleich in Episode 1 – und später immer wieder – mit spektakulären Bildern versorgt.

Was dürfen die Zuschauer in den kommenden Folgen erwarten? Gibt es bereits Pläne oder Ideen für zukünftige Entwicklungen der Serie?
Dazu kann ich gar nicht viel sagen. Ich werde mich als Produzent nach zehn Jahren vom «Usedom-Krimi» verabschieden und nur noch beratend tätig sein. Ich habe ja mit zwei Produktionsfirmen alternierend produziert und es gab zwei Redaktionen mit dem NDR und der Degeto. Viele Stimmen und Wünsche, die ich über die Jahre sehr gerne zusammengehalten habe, aber jetzt werden die Firmen selber und ohne mich als freien Produzenten entwickeln und durchführen.

Ich wünsche mir, dass das, was wir geschaffen haben, noch möglichst lange hält. Das wünsche ich vor allem diesem wunderbaren Ensemble und den vielen Kreativen und Menschen hinter der Kamera, die regelmäßig dabei waren, und auch so eine Familie geworden sind.

Mein Rat und Wunsch für die Zukunft: weiter den Familienaspekt der Reihe bedienen und stärken! Crime, Gewalt und Kämpfe haben wir im Fernsehen wie in der Realität zurzeit doch zu Genüge.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Der Usedom-Krimi» ist am Donnerstag, den 21. November, sowie am Donnerstag, den 28. November 2024, im Ersten zu sehen.
19.11.2024 12:12 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/156473