Andreas Herzog: Für Kinder ‚muss der Drehplan minutiös gestaltet‘ sein

Der Macher von «Die Toten von Marnow» spricht im ausführlichen Quotenmeter-Interview über die Figuren und die Ansprüche der Fortsetzung.

Die erste Staffel war ein großer Erfolg. Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Fortsetzung von «Die Toten von Marnow»?
Genau das. Eine Fortsetzung zu liefern, die noch stärker ist als die erste Staffel. Ich denke, das ist schon deshalb gelungen, weil wir bei «Marnow 2», «Finsteres Herz», nicht nur von Anfang an mit viel mehr Action einsteigen. Die Geschichte gibt uns ab der ersten Minute die Möglichkeit die Figuren emotional zu begleiten, während sich parallel ein spannender Thriller entwickelt. In Staffel 1 hat das Publikum ja erst am Ende der sechsten Folge erfahren, warum Lona Mendt und Frank Elling in Lebensgefahr schweben und wer so versessen darauf ist ein großes Geheimnis der Vergangenheit für immer zu begraben. Diesmal ist sehr schnell klar, es geht um Menschenhandel und die Frage: Wer sind die Drahtzieher und wie können unsere Helden verhindern, dass Kinder in die Fänge der organisierten Kriminalität gelangen? Holger Karsten Schmidt hat dafür sensationelle Bücher geschrieben und natürlich ist es dann eine große Aufgabe dieser Vorlage gerecht zu werden.

Welche Geschichte erzählt die Fortsetzung?
Zentrale Figur ist Sarah Minkova. Sie hat beide Eltern verloren, ihre Schwester ist irgendwo in Deutschland verschwunden. Die Erzählung beginnt in der Mitte der Geschichte. Für den Moment ist Sarah noch sicher unter der Obhut von Lona und Elling. Doch nach wenigen Minuten eskaliert die Situation und es wird klar, dass das junge Mädchen von einer Organisation gesucht wird, die über Leichen geht, um Sarah in ihre Gewalt zu bringen. Aber natürlich geht es auch um Lona, die, wie wir aus Staffel 1 wissen, ihre Familie verloren und zu der jungen Bulgarin sehr schnell eine starke Bindung aufgebaut hat. Frank Elling dagegen hat sich von seiner Frau getrennt und versucht nun seine an Demenz erkrankte Mutter und seine adoleszente Tochter nicht zu verlieren. Auch das entpuppt sich bald als eine unlösbar erscheinende Aufgabe. Nun gibt es aber noch einen zweiten Handlungsstrang, der sich mit dem gleichen Fall beschäftigt, aber auf einer parallelen Zeitebene erzählt wird. Ein Ermittler Duo, Maja Kaminski und Hagen Dudek, müssen herausfinden, warum Sarah für die Hintermänner einer kriminellen Organisation, die international mit Menschen handelt, so unglaublich wichtig ist. Lona und Elling können dazu keine Auskunft geben, denn die liegen nach einer wilden Schießerei im Koma und haben kurz davor alle Daten, die den Fall betreffen, analog und digital, komplett gelöscht. Wovor hatten sie Angst? Ach so, und zwischen Maja und ihrem neuen Kollegen Hagen entstehen auch sehr schnell Spannungen, die am Ende nicht zum Guten führen. Mehr kann ich hier nicht verraten, schon weil das alles schon in sechs Mal 45 Minuten schwer genug zu erzählen war.

Der zweite Teil greift das Thema Menschenhandel und organisierte Kriminalität auf. Was war Ihnen wichtig bei der Darstellung dieses schwierigen Themas?
In «Marnow 2» geht es darum, am Beispiel eines sehr konkreten Falles aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Die Geschichten der Täter und die Beweggründe der organisierten Kriminalität sind nicht nur in fiktionalen Geschichten ausreichend beleuchtet. Da ist wenig Neues zu erfahren. Darüber hinaus war es für mich aber erstaunlich und neu, dass Polizei und Behörden gegen unglaublich geschickt und perfide handelnde Verbrecher oft mit stumpfen Waffen kämpfen müssen. Personalmangel und Unschärfen in der Gesetzeslage erschweren den Kampf zusätzlich.

In «Finsteres Herz – Die Toten von Marnow 2» wird in zwei Zeitebenen erzählt. Wie haben Sie sichergestellt, dass die Zuschauer der komplexen Handlung folgen können?
Zuerst einmal hatte das Drehbuch hier schon die Handlungsebenen inhaltlich sehr geschickt miteinander verwoben. In der Vorbereitung habe ich mit Kamerafrau Claire Jahn visuelle Übergänge entwickelt, um dem Publikum bei der Orientierung in dieser sehr komplexen Geschichte zu helfen. Teilweise mit ganz einfachen Mitteln, mit Schwenks in einem Raum, quasi von der Vergangenheit in die Gegenwart. Im Schnitt hat mir Editor Gerald Slovak noch einmal sehr geholfen viele inhaltliche Aspekte zusammenzufassen und damit klarer zu erzählen. Szenen, die innerhalb einer Folge 30 Minuten auseinander lagen, haben in der finalen Fassung in einer Parallelmontage zusammengefunden. Selbst simple Entscheidungen in der Gestaltung der Kostüme haben geholfen, um das Publikum an der Hand zu nehmen und Verwirrung zu vermeiden. Sarah trägt in der Vergangenheit immer eine rote Jacke, in der Gegenwart eine Gelbe. Natürlich werden von den Zuschauer:innen, trotzdem noch kleine und große inhaltliche Transferleistungen gefordert. Bei all den Überlegungen zu diesem Thema ging es auch immer um die Frage, wann wir wegen Überforderung die Aufmerksamkeit des Publikums verlieren und wie weit eine kontrollierte Konfusion aber auch Spannung erzeugen kann.

Die Ermittler Lona Mendt und Frank Elling werden in dieser Staffel emotional stark gefordert. Wie haben Sie die persönliche Entwicklung der Figuren inszeniert?
Wir konnten hier einfach da weiter machen, wo wir in Staffel 1 aufgehört haben. Lona ist immer noch eine einsame Wölfin, schwer traumatisiert, auf der Suche nach einer wirklichen Aufgabe im Leben. Und die Geschichte liefert ihr von Anfang an etwas, woran sie sich festbeißen kann. Elling hat genug eigene private Probleme, auch das ist eine konsequente Fortsetzung der ersten Geschichte. Aber diesmal muss er auch noch verdammt gut auf Lona aufpassen und hat damit die Gelegenheit sich bei seiner Kollegin, ein bisschen auch seiner Seelenverwandten, für alles zu revanchieren, was sie bisher für ihn geopfert hat.

Sie haben erneut mit Petra Schmidt-Schaller und Sascha Geršak zusammengearbeitet. Wie hat sich die Chemie am Set im Vergleich zur ersten Staffel entwickelt?
Wir hatten diesmal den Vorteil einander nicht erst kennenlernen zu müssen. Bei «Marnow 1» ist eine fundamentale Vertrauensbasis entstanden. Dadurch konnten wir von Beginn an mit viel Freude ans Werk gehen. Und wir waren uns einig, dass es unsere Aufgabe ist alles zu geben um noch besser zu werden, tiefer in die Figuren einzusteigen und schon am Set immer an einer emotional und rhythmisch möglichst dichten Inszenierung zu arbeiten.

Die Serie wurde im Cinemascope-Format gedreht. Wie hat dieses breite Bildformat Ihnen geholfen, die düstere Atmosphäre und die Spannung zu verstärken?
In erster Linie habe ich einfach mehr physischen Raum zur Verfügung um über die Proxemik, also die Position der Figuren zueinander, Aggregatzustände von Beziehungen und Verhaltensmuster der Figuren abzubilden. Ich habe immer versucht das Tempo in einer Szene so zu gestalten, dass eher weniger geschnitten werden muss, also weniger sprechende Köpfe. Dafür lieber mehr Bewegung und Veränderungen in den Bildern, um das Publikum zu animieren den Figuren zu folgen. Und natürlich hat das Format extrem geholfen, um die einzelnen Drehorte in jeder Szene mitspielen zu lassen, ohne dafür ständig in etablierende Totalen schneiden zu müssen.

Die Dreharbeiten fanden in den kalten Wintermonaten statt. Wie hat die Kälte das Setting und die Stimmung der Serie beeinflusst?
Es war sehr oft sehr kalt und sehr nass. Klar war die Stimmung im Team deshalb nicht immer wie beim Kinderfasching. Dazu ein sehr hohes Drehpensum, wenig Tageslicht und 1000 verteufelte Probleme, die niemand vorhersehen konnte. Aber im Verlauf der Dreharbeiten haben wir uns immer mehr eingespielt und die äußeren Umstände so gut es ging ausgeblendet. Die Suche nach Licht und Wärme ist für mich das Thema dieser Serie, denn das betrifft die Guten und die Bösen in dieser Geschichte gleichermaßen. Das verbindet alle Figuren miteinander. In diesem speziellen Fall hat es auch das Team betroffen.

Was hat Ihnen am meisten an der Inszenierung der Action- und Thrillerszenen Spaß gemacht? Gab es besondere Momente während der Dreharbeiten?
Die „Pengproben“ haben mir am meisten Freude gemacht. Bei Schießereien bekommt für die Proben jeder, der eine Waffe benutzt, ein „Knallwort“. In der Probe wird ja nicht mit Platzpatronen geschossen, die Schauspieler brauchen aber Impulse, um im richtigen Timing zu reagieren. Also bekam Lona das Wort „Piff“, Elling war Paff, Angreifer 1 sagt „Peng“ Angreifer 2 dann zum Beispiel „Pau“ und so weiter. Erst mal war das für diejenigen, die das nicht von mir kannten, etwas befremdlich. Und für das zusehende Team auch sehr lustig. Doch dann haben alle schnell gemerkt, dass diese Technik hilft um sich möglichst schnell und sicher den Ablauf einer Sequenz zu merken und den Rhythmus zu finden. Wenn eine Figur mit seiner Aktion zu lange auf die Aktion eines anderen warten muss, ist der ganze Flow im Eimer und das lässt sich, vor allem wenn nicht alles in Close ups gedreht wird, im Schnitt auch nicht mehr so gut retten.

In «Finsteres Herz – Die Toten von Marnow 2» steht auch die kleine Sarah im Mittelpunkt. Bringen Kinderdarsteller wie Greta Kasalo den Drehplan durcheinander?
Zuerst einmal ist das Gegenteil der Fall. Der Drehplan muss minutiös gestaltet werden, weil die Kinderdrehzeiten nun mal fix sind, drei Stunden vor der Kamera, fünf Stunden am Set, mit Sondergenehmigung auch mal sieben Stunden. Sonst gibt es keine Spielräume. Also werden im Drehplan alle erdenklichen Verrenkungen gemacht, um die Drehtage voll zu bekommen ohne ständig die Location wechseln oder viele unterschiedliche Schauspieler am gleichen Tag drehen zu müssen. Nun ist es aber so, dass mit Kinderdarsteller:innen auch immer ein zeitlicher Puffer eingebaut wird. Den haben wir aber nur selten gebraucht. Im Normalfall kann ein 11-jähriges Mädchen vielleicht nicht immer das leisten was eine erfahrene erwachsene Kollegin leistet. Im Fall von Greta, mit der ich ja bei einem anderen Projekt vor drei Jahren schon mal gearbeitet hatte, war das anders. Ihre erstaunlich ausgeprägte emotionale Intelligenz und ebenso erstaunliche Spielfreude, das meine ich sicher nicht im kindlichen Sinne, haben es erst ermöglicht, dass wir «Die Toten von Marnow 2» überhaupt im Zeitrahmen und Budget realisieren konnten.

Was hoffen Sie, dass die Zuschauer aus «Finsteres Herz – Die Toten von Marnow 2» mitnehmen, sowohl in Bezug auf die Spannung als auch auf die tieferen Themen der Serie?
Auch wenn unsere Geschichte dramatisch überhöht und sicherlich kein dokumentarisches Abbild der Realität ist, so glaube ich, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenhandel, in unserem Land und vor unserer Haustüre, auch im Kontext einer Thrillerserie seine Berechtigung hat.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Finsteres Herz – Die Toten von Marnow 2» ist ab 29. November 2024 in der ARD Mediathek. Ab Samstag, 7. Dezember 2024 sind die vier Episoden ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen. Am Mittwoch, den 11. Dezember, laufen um 20.15 Uhr die letzten zwei Folgen.
28.11.2024 12:51 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/156645