Konstantin Bock: ‚Die Drehtage im Gefängnis waren definitiv die herausforderndsten‘
Kann eine Welt ohne Gefängnisse funktionieren? Co-Regisseur Bock erzählt im ausführlichen Interview über das spannende Gedankenexperiment.
Als Regisseur von «A Better Place» haben Sie die Möglichkeit, eine faszinierende dystopische Welt zu erschaffen. Was war Ihre erste Inspiration für diese Geschichte und wie hat sich die Vision im Laufe der Zeit entwickelt?
Anne Zohra Berrached und mir war wichtig, die Welt von «A Better Place» — unsere fiktive Stadt Rheinstadt — sehr nah und authentisch zu erzählen. Keine Sci-Fi Dystopie, sondern eine echte, heutige Stadt, die das Publikum kennt, um sich immer wieder die Frage zu stellen: “Könnte ich mir das bei mir, vor meiner eigenen Haustür vorstellen? Wie würde ich selber reagieren?” — das war von Anfang an die Leitfrage, mir der wir das Publikum konfrontieren wollten, weil wir sie im Entstehungsprozess auch intern immer wieder heiß diskutiert haben.
Die Serie wirft wichtige gesellschaftliche Fragen auf. Wie haben Sie die Balance zwischen einer spannenden Handlung und der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Themen gefunden?
So sehr wir in den einzelnen Geschichten in die Tiefe der Figuren gehen, waren wir uns immer der Verantwortung bewusst, den Blick für die großen Fragestellungen dabei nicht zu verlieren. Das ist natürlich eine Gratwanderung, aber schon in unserer Titel-Sequenz geben wir einen (überhöhten) Einblick in die historische Entwicklung von ‘Strafe’. Ich hoffe, dass solche Momente der Überhöhung, die es immer wieder in verschiedenster Form in der Serie gibt, das Publikum einladen aus den Geschichten rauszuzoomen und sich eigene Gedanken über die größeren Fragen zu machen.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen, um eine so komplexe und futuristische Welt auf die Leinwand zu bringen? Gab es besondere technische oder kreative Hürden, die Sie überwinden mussten?
Die Drehtage im Gefängnis waren definitiv die herausforderndsten, weil wir im laufenden Betrieb gedreht haben. Wir haben uns nach dem Gefängnis richten müssen: Wenn Insassen von A nach B transportiert wurden, dann standen wir still. So ein Gefängnis ist nicht darauf ausgelegt, dass plötzlich Dutzende von Menschen auf einen Schlag entlassen werden. Das heißt, die Logistik, diese Anfangsszenen zu drehen, eine Massenentlassung, war beeindruckend. Wir mussten auch ein System entwickeln, um unsere DarstellerInnen von den echten Insassen zu unterscheiden, damit sich niemand in unsere Entlassungsszene mischt. Wir waren dankbar, dass die Mitarbeitenden der JVA Wuppertal-Ronsdorf da so mitgemacht haben — übrigens auch vor der Kamera!
Die Charaktere in «A Better Place» stehen vor extremen Herausforderungen und Entscheidungen. Wie sind Sie bei der Entwicklung ihrer inneren Konflikte vorgegangen und wie haben Sie versucht, ihre Handlungen glaubwürdig zu machen?
Wir haben im Vorfeld extrem viel recherchiert und wirklich zu jeder Figur einen realen Counterpart getroffen. Von Opferschutzbeauftragten, TherapeutInnen bis zu einem Autohausbesitzer. Wir haben einen Bürgermeister getroffen, der tatsächlich das gleiche Alter hat wie Amir und in einer Stadt derselben Größe agiert und eine Wissenschaftlerin, die für die Abschaffung von Gefängnissen ist. Wir haben natürlich auch mit vielen Gefängnisinsassen und ehemaligen Insassen gesprochen, wie sie sich fühlen, wie sie selbst ihre Situation erleben, wie es ist, im Knast zu sitzen und wie stark sie sich wünschen, wieder in Freiheit zu sein. Aber wir haben auch darüber geredet, wie es dazu kam, dass sie diese Tat begangen haben und was es bräuchte, dass sie ein legales Leben führen könnten. Diese Treffen haben der Geschichte nochmal ein anderes Level an Authentizität gegeben. Nicht nur während der Schreibphase, sondern auch für unser fantastisches Ensemble, die diese RecherchepartnerInnen treffen konnten und sich viel Input aus der Realität für ihre Figuren holen konnten.
Sie beschäftigen sich in der Serie mit der Frage, was passiert, wenn die Welt keine Gefängnisse mehr hat. Glauben Sie, dass solche Zukunftsvisionen in der Realität eine Rolle spielen könnten? Welche Botschaft wollen Sie den Zuschauern vermitteln?
Das Gefängnis als Gebäude und Institution ist bei näherer Betrachtung ja nur ein kleiner Teil einer viel größeren Diskussion — wie wollen wir als Gesellschaft über Bestrafung, Ausgleich oder Gerechtigkeit nachdenken? Unser Justizsystem zum Beispiel ist ausgelegt auf Menschen, die Straftaten ausüben, nicht auf Betroffene von Straftaten. Ich habe gesehen, dass Modelle wie der Täter-Opfer-Ausgleich, den wir in der Serie auch zeigen, vielversprechendere Ergebnisse für Betroffene bringen kann, als ein langwieriger Gerichtsprozess oder eine Gefängnisstrafe. Es ist sicherlich schwierig das pauschal zu beantworten, aber ich hoffe, dass die Serie einen kleinen Teil dazu beitragen kann, hierüber gemeinsam zu diskutieren.
Als Regisseur leiten Sie ein Team von Kreativen. Wie war die Zusammenarbeit mit den Drehbuchautoren, den Szenenbildnern und den Schauspielern, um Ihre Vision für die Serie umzusetzen? Gab es Probleme, Missverständnisse oder andere unerwartete Situationen?
Dadurch, dass «A Better Place» in so viele verschiedene Lebensrealitäten blickt — von der politischen Welt um Bürgermeister Amir Kaan, bis in die privaten Räume von Familie Blum oder den Massad Geschwistern — war der kreative Prozess für Szenenbild und Kostüm besonders vielseitig. Die Herausforderung war viele verschiedene Welten zu erschaffen, die trotzdem alle in die DNA der Serie passen und echt wirken. Ich finde alle Abteilungen haben das auf beeindruckende Weise geschafft. Szenenbildner Jurek Kuttner und Set-Dekorateurin Ellen Somnitz haben mit ihrem Team zum Beispiel einen Kiosk in Rheydt (Mönchengladbach) komplett von null erschaffen, der so echt wirkte, dass am nächsten Tag die Mafia vor der Tür stand, um Schutzgeld von dem ‘neuen Laden’ zu fordern.
Sie haben in der Vergangenheit bereits mehrere Projekte geleitet. Was unterscheidet die Regiearbeit für «A Better Place» von anderen Projekten, an denen Sie beteiligt waren?
Definitiv die Größe des Projekts. 8 x 45 min — das sind vier Langfilme. Und ich meine damit weniger die Dauer des Drehs (80 Drehtage, damit hatte ich Erfahrung), sondern vielmehr der allgemeine Atem, der insgesamt länger sein muss, um 2.5 Jahre durchzuhalten. Das geht vor allem auch nur gemeinsam, als kreative Teamarbeit und die war besonders intensiv zwischen Anne Zohra Berrached (Regie), Alexander Lindh (Showrunner), David Keitsch (Produzent) und mir.
Wie gehen Sie mit den Erwartungen der Zuschauer um, insbesondere wenn Sie eine Serie gemacht haben, in der die Zuschauer aufgefordert werden, Stellung zu beziehen?
Ich glaube die größte Gefahr bei einem solch komplexen Thema und teilweise kontroversen Figuren ist vermeintliche “Gewissheit” — deswegen ist es unsere Aufgabe, bestimmte Meinungen immer wieder zu hinterfragen, andere Facetten zu zeigen und neue Sichtweisen für das Publikum zu eröffnen. Auch wir haben mit Cast und Crew immer wieder angeregt diskutiert in den Drehpausen — das hab ich so auch noch bei keinem Dreh erlebt und ich hoffe, dass sich das auf unser Publikum überträgt.
Was ist Ihre eigene Meinung zu der Frage, ob die Welt wirklich „A Better Place“ werden könnte, wenn wir auf Gefängnisstrafen verzichten würden?
Wie gesagt, ich denke, dass es schwer ist, das pauschal zu beantworten. Aber ich habe durch die Recherche viele interessante Modelle (Täter-Opfer-Ausgleich) oder Alternativen zu Gefängnisstrafen (siehe Bastøy in Norwegen) sehen können, die versuchen gegen die Problemen, die unser jetziges System zweifelsohne hat, zu arbeiten (hohe Rückfallsraten, Drogenkonsum im Gefängnis, stärkere Kriminalisierung durch Kontakte, etc.). Schlussendlich muss man wahrscheinlich trotzdem individuell, case-by-case betrachten, was den Betroffenen am meisten hilft.
Bei der Serie «A Better Place» haben Sie nicht allein Regie geführt, sondern sich diese Aufgabe mit Anne Zohra Berrached geteilt. Wie war die Zusammenarbeit, haben Sie Neues gelernt und wenn ja, was?
Anne Zohra und ich kennen uns schon lange und sind sehr gut befreundet, das hat die Zusammenarbeit wesentlich erleichtert, da wir uns nicht nur gut ergänzen sondern auch gegenseitig unterstützen ohne Konkurrenzdruck. Mich stört es manchmal bei Serien, wenn man merkt, dass sich zu viele Handschriften abwechseln. Deshalb haben wir uns bewusst dagegen entschieden, Episoden untereinander aufzuteilen. Es war von der Drehbucharbeit bis zum Schnitt eine intensive Zusammenarbeit, die in der Form sicherlich einzigartig war.
Gibt es neben «A Better Place» andere Projekte oder Themen, die Sie als Regisseur derzeit besonders interessieren oder die Sie in Zukunft gerne umsetzen würden?
Es gibt gerade mehrere Projekte, die sich in verschiedensten Stadien befinden und ‘köcheln’ — das sind ganz unterschiedliche Stoffe, weil mich aktuell viele Themen interessieren, mit denen ich glaube etwas über unsere Zeit erzählen zu können. Die Bandbreite reicht von einer politischen Satire, die auf einer sehr skurrilen, realen Begebenheit aus den 80gern beruht, bis zu zu einem culture-clash Film über zwei Familien, die sich an Weihnachten begegnen.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«A Better Place» läuft ab Mittwoch, den 22. Januar 2025, im Ersten. Die Serie ist bereits seit 10. Januar in der ARD Mediathek abrufbar.