Johannes Kienast: ‚Ich bin grundsätzlich ein großer Fan von Utopien‘

Der Schauspieler verkörpert in der neuen Serie «A Better Place» Mark, der aus der Justizvollzugsanstalt entlassen wird. Kienast wurde ein solches Experiment spannend verfolgen.

Sie spielen Mark, einen ehemaligen Häftling, der in die Gesellschaft zurückkehrt. Was hat Sie an dieser Rolle besonders fasziniert?
Dass er auf der Suche ist. Seine unaufgeräumte Ruhe, Dunkelheit, Widersprüchlichkeit und Komplexität. Der Spagat zwischen lang antrainierter harter Schale und hochfragilem, selbstzerstörerischem Inneren. Und seinen Mut, die Dinge anzugehen, die ihn belasten.

Die Serie thematisiert eine Welt ohne Gefängnisse. Wie stehen Sie persönlich zu dieser Idee, und wie hat das Ihre Herangehensweise an die Rolle beeinflusst?
Ich bin grundsätzlich ein großer Fan von Utopien und Veränderungen und von Versuchen scheinbar in Stein gemeißelte Glaubenssätze neu zu denken oder sogar auszutauschen. Ich wäre gespannt, was mit einem TRUST-Programm in der Realität passieren würde. Für meine Figur ist das Programm jedoch ein zweischneidiges Schwert. Er verflucht es einerseits, da es ihn der Möglichkeit beraubt Abbitte leisten zu können, und er ist gleichzeitig unendlich dankbar, da er sehr viel früher seine Familie wiedersehen darf. Dadurch entstehen ein ständiger Kampf und eine Zerrissenheit, die ich zum Spielen sehr dankbar fand.

Mark kehrt zu seiner Familie zurück, die sich während seiner Haft entfremdet hat. Wie haben Sie sich auf die emotionale Tiefe dieser Familiendynamik vorbereitet?
Meine Freundin und ich haben selbst zwei Kinder und durch die sehr intensive Arbeit und Vorbereitung werde ich zwangsläufig jemand anderes und entfremde mich für diese Zeit von meiner Familie. Es entsteht eine Art Zwischenwelt. Das ist für alle Beteiligten manchmal anstrengend, lässt sich aber nicht zu 100% vermeiden und hilft der Rolle sehr. Dann kommt ein sehr gut geschriebenes und für mich emotional logisches, schlüssiges Drehbuch, eine tolle Spielpartnerin und ganz viel Textarbeit hinzu. Was sagt die Figur eigentlich? Was sagt sie nicht? Was will sie von der anderen Figur und was sind ihre grundsätzlichen Wünsche und Sehnsüchte?

«A Better Place» stellt die Frage, ob Heilung anstelle von Strafe die bessere Lösung ist. Wie spiegelt sich diese Frage in Marks Geschichte wider?
Die Geschichte von Eva und Mark ist das TRUST-Experiment unterm Brennglas. Was genau bedeutet es denn wieder frei zu sein, viel früher als gedacht? Ist denn Strafe wirklich so schlecht und die Heilung der richtigere Weg für alle? In der Vorbereitung habe ich schnell gemerkt, dass für Mark z.B. der Weg der Heilung viel brutaler ist, da er sich im Gefängnis auch ein Stück weit vor der (Eigen-)Verantwortung verstecken konnte. Wieder frei und bei der Familie zu sein, heißt ja auch wieder die Rolle des Vaters zu übernehmen und ein vollwertiges Mitglied des Rudels zu werden. Und als Vater bist du, ob du willst oder nicht, ein Vorbild. Wenn du dich dann aber selbst gar nicht leiden kannst und dir gewisse Dinge nicht verziehen hast, kann das innerhalb der Familie zu unerträglichen Spannungen führen. Die auszuhalten, zu bearbeiten und dann schlussendlich irgendwie wieder zusammenzufinden, ist wahnsinnig viel Arbeit und kostet eine Menge Kraft und Vertrauen, in sich und in die anderen. Das ist das, was Eva und Mark leisten müssen. Und im großen Bild die ganze Gesellschaft. Das ist eine sehr schwere Aufgabe. Nachhaltiger und wertvoller, aber eben nicht der schnellste Weg zu einer Lösung.

Die Serie zeigt unterschiedliche Perspektiven auf das TRUST-Programm. Was denken Sie, welche Aspekte der Zuschauer am meisten polarisieren könnten?
Grundsätzlich ist es ein Maximum an Toleranz, Vertrauen und Verständnis, was die Bürgerinnen und Bürger von Rheinstadt da aufbringen müssen, wahrscheinlich sogar darüber hinaus. Man begibt sich auf unbekanntes Terrain. Würde ich als Zuschauer oder Zuschauerin das mitmachen? Vergebe ich allen Straftätern gleich, ungeachtet dessen, was sie verbrochen haben? Wieso sollte ich jemandem, der schon einmal straffällig geworden ist, wieder vertrauen? Ist Strafe nicht wichtig? Ja, aber jede:r macht mal Fehler, jede:r hat eine Biographie und vielleicht weniger Glück gehabt als ich. Die berühmte zweite Chance. Am Ende ist es die Frage, ob eine Gesellschaft sowas aushalten kann.

Gab es Szenen, die Sie besonders herausgefordert haben – sei es emotional oder durch das Thema der Serie?
Es gab eine Szene, die ich auch im Casting sehr oft gespielt und an die ich von allen Szenen den höchsten Anspruch hatte, da man zum ersten Mal in Mark hineinschauen konnte. Er ist an einem Tiefpunkt und bräuchte in diesem Moment Geborgenheit und Verständnis, tut aber alles dafür, dass Eva ihm das eigentlich nicht geben kann, da er so verletzend und aggressiv ihr gegenüber auftritt. Ein absolut widersprüchlicher Hilfeschrei. Anspruchsvoll, da die Zuschauenden ihn nicht verlieren dürfen, er in seinen Emotionen verständlich bleiben muss.

Hat Sie das Thema „Leben ohne Gefängnisse“ auch privat mitgenommen? Haben Sie länger über die Tatsache nachgedacht?
Tatsächlich hat dieses Thema keine große Rolle für mich und Mark gespielt, da sein voller Fokus auf der Familie liegt.

Wie war die Zusammenarbeit mit Regisseurin Anne Zora Berrached und dem Ensemble, insbesondere mit Katharina Schüttler, die Marks Ehefrau Eva spielt?
Anne Zohra und Konstantin Bock haben uns sehr vertraut und große Freiheiten gelassen. Sie wollten, dass man mitarbeitet, sich einbringt, für seine Figur eintritt und sie verteidigt und das war uns Spielenden immer klar und nichts anderes kam für uns infrage. Es ging immer um die Sache, keine Machtkämpfe. Es war nur wichtig: Was ist das Spannendste für die Szene? Ich glaube, ich habe mich in keiner Arbeit bisher so frei gefühlt.

Alexander Lindh (Showrunner, Headautor) war auch regelmäßig vor Ort, so konnte sich ständig ausgetauscht und Sachen konkretisiert werden.
Ich habe uns als sehr starkes, mutiges und harmonisches Ensemble wahrgenommen und hatte mit Katharina eine sehr offene, herzliche und intensive Reise durch Eva und Marks Geschichte.

Mark ist ein komplexer Charakter mit einer schwierigen Vergangenheit. Gibt es Parallelen zwischen ihm und anderen Figuren, die Sie gespielt haben, oder war diese Rolle völlig neu für Sie?
Natürlich ist jede Rolle erst einmal neu. Aber alle Figuren, die ich spiele, entstehen durch den Text und eben mich, sind also immer auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Dadurch können dann untereinander Parallelen entstehen. Ich interessiere mich z.B. immer sehr für die Sehnsüchte und Widersprüchlichkeit einer Figur und ihren Humor. Das mag dann von Rolle zu Rolle variieren, aber immer aus mir heraus.

Mark war sehr wichtig für mich. Ich habe durch ihn wieder gelernt mir und meiner Fantasie zu vertrauen. Im Moment sein und sonst nichts. Sich nichts vornehmen, sondern zuhören und gucken, was passiert.

Nach «A Better Place» – auf welche Projekte können sich Ihre Fans freuen, und welche Themen reizen Sie als Schauspieler besonders?
Ich freue mich sehr auf den Start von «Chabos» (AT) in der ZDFmediathek (ZDFneo/BBC Germany). Ich spiele Peppi. Der ist Mitte dreißig, scheint ein cooler Typ zu sein, ist aber nicht zum Jahrgangstreffen eingeladen. Das kann ja nicht sein. Peppi reist daraufhin in seine Heimat (Ruhrgebiet) und Vergangenheit (2006), um dem Ganzen auf den Grund zu gehen.

Mich reizen eher Menschen und nicht Themen. Es muss quasi genug Fleisch dran sein, um sie so komplex wie möglich zeichnen zu können. Lustig, liebevoll, blöd, gemein, fehlbar, kämpfend, mit Makel behaftet, dunkel, hell usw. Die ganze Palette im besten Fall.

Danke für Ihre Zeit!

«A Better Place» läuft ab Mittwoch, den 22. Januar 2025, im Ersten. Die Serie ist bereits seit 10. Januar in der ARD Mediathek abrufbar.
21.01.2025 12:55 Uhr  •  Fabian Riedner Kurz-URL: qmde.de/158049