«Star Trek – Section 31»: Ein Lehrfilm, wie es nicht funktioniert

Imperatorin Philippa ist gezwungen, sich der geheimen Organisation Section 31 anzuschließen, um die Föderation vor einer tödlichen Gefahr aus ihrer eigenen Welt zu retten. Dabei muss sie sich nicht nur ihren Feinden, sondern auch ihrer dunklen Vergangenheit stellen.

«Star Trek: Section 31»

  • Regie: Olatunde Osunsanmi
  • Buch: Erika Lippoldt & Bo Yeon Kim
  • Kamera: Glen Keenan
  • Schnitt: Bartholomew Burcham
  • Kostüme: Gersha Phillips
  • Ton: Matthew Taylor
  • Musik: Jeff Russo
  • Produzent: Aaron Baiers, Ted Miller, Frank Siracusa, Craig Sweeny, John Weber, Olatunde Osunsanmi, Michelle Yeoh
  • Producer: Michelle Paradise
  • Besetzung: Michelle Yeoh, Omari Hardwick, Sam Richardson, Robert Kazinsky, Humberly González, Kacey Rohl, Sven Ruygrok
Da ist er also, der erste Stand-Alone-Spielfilm aus dem «Star Trek»-Universum exklusiv für den Stream. «Section 31» ist allerdings das, was man gemeinhin einen Rohrkrepierer nennt. Seit vielen Jahren schon wabberte das Gerücht durchs Netz, irgendwann würde eine Serie über diese Section 31 in Produktion gehen. 2019 berichteten dies erstmals diverse Websites und konnten sogar konkret Michelle Yeoh als Hauptdarstellerin benennen. Was aber auch schon zu einem gewissen Missmut führte. Die Imperatorin als Section 31-Agentin?

Zur Erinnerung: 1998. «Deep Space Nine» befindet sich in der sechsten Staffel. Da tauchen plötzlich Agenten einer geheimen Section innerhalb der Föderation auf. Es ist die Episode «Inquisition», in der ein gewisser Luther Sloan auf der Bildfläche erscheint. Die Föderation befindet sich im Krieg mit dem so genannten Dominion und Sloan ist ein hoher Offizier. Nach außen hin. Das aber ist nur eine Tarnung. In Wahrheit ist Sloan bei der Section 31. Würde man «Star Trek»-Erfinder Gene Roddenberry fragen, was «Star Trek» ist, würde er wohl sagen: Star Trek ist eine positive Utopie, in der die Menschheit ihre größten Probleme überwunden hat – der Hunger ist besiegt, kein Sexismus oder Rassismus herrscht, und die Erde ist zu einem Ort des Friedens und der Zusammenarbeit geworden. Die Serie entwirft eine Zukunft, in der die Menschheit als Teil einer intergalaktischen Föderation die Vielfalt der Kulturen schätzt und gemeinsam an einer besseren Welt arbeitet. Während Captain Kirks Abenteuer noch ganz von der Lust am Entdecken getragen sind, rückt in «The Next Generation» Diplomatie stärker in den Fokus. «Deep Space Nine» hingegen erzählt eine komplexere Geschichte: Hier geht es im Kern um eine friedenserhaltende Mission, bei der die Föderation – ähnlich wie eine Blauhelmtruppe – nach einem Konflikt zwischen zwei Völkern den Frieden sichern soll. In all den Serien steht die Föderation für das Gute, für Werte und Ideale. Doch was passiert, wenn man einem Gegner begegnet, der sich an keine Regeln hält?

Dann braucht es jemanden, der die Drecksarbeit übernimmt. In dieser grauen Zone zwischen den Idealen der Föderation und der grausamen Realität braucht es letztlich eine moralisch fragwürdige Kraft, die bereit ist, alles zu tun, was nötig ist, um das größere Wohl zu sichern!

Es gibt eine ganze Reihe von Section 31-Romanen, die Idee der Section 31 hat ihre Fans. Aber es gibt innerhalb des Fandoms durchaus Stimmen, die mit der Section 31, vorsichtig gesagt, wenig anfangen können, weil sie so ziemlich alle Ideale bricht, die Gene Roddenberry einst kreiert hat – in seiner Vision einer besseren Zukunft.

Dunkelmänner


Es liegt in der Natur von Geschichten über Dunkelmänner, die im Verborgenen für das Gute kämpfen, dass diese Figuren nicht immer lupenrein sind. Oft finden sich in solchen Organisationen Straftäter mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, die nicht aus Überzeugung dabei sind, sondern weil ihnen Straffreiheit in Aussicht gestellt wurde. Dann gibt es die Überzeugungstäter, die bereit sind, alles zu opfern, um das zu schützen, woran sie glauben – und dabei nicht selten übers Ziel hinausschießen. Solche Figuren bewegen sich gefährlich nah an der Grenze zu faschistischem Gedankengut, denn der Schritt vom Bewahrer zum Bestimmer ist erschreckend klein. Am spannendsten sind jedoch die Geläuterten, jene, die einst auf der anderen Seite standen und nun für ihre Vergehen büßen. Es sind Charaktere, die keinen abgeschlossenen Läuterungsprozess hinter sich haben, sondern sich in einem ständigen inneren Kampf befinden, da ihre Vergangenheit unauslöschlich zu ihnen gehört. Und genau hier liegt auch das Problem des Films «Section 31»: Es ist die Hauptfigur, die ehemalige Imperatorin Philippa. Zur Erinnerung/Erklärung: Sie taucht in der Serie «Discovery» auf und ist das Spiegelwelt-Gegenstück zu Captain Philippa Georgiou aus dem Prime-Universum. Während die Captain in „unserem“ Universum eine ehrenhafte und respektierte Führungspersönlichkeit war, ist die Imperatorin das genaue Gegenteil. Schon Kirk und Spock begegneten ihren Gegenstücken aus einem Spiegeluniversum, und die waren nicht nett. Das Gegenstück zur Föderation? Kein Ort des Friedens und der Zusammenarbeit, sondern ein brutales, faschistisches Imperium – bis in die spitzen Ohren der dort lebenden Vulkanier.

In «Discovery» landet eben jene Imperatorin Philippa Georgiou an Bord der USS Discovery, sitzt fest und ist gezwungen, eine „Gute“ zu werden. Das war schon in «Discovery» Murks. Um dies einmal klarzustellen: Philippa Georgiou ist in der Erzählung die Imperatorin – Kaiserin, Chefin, absolute Führerin – eines faschistischen Imperiums. Sie war vor ihrem nicht ganz freiwilligen Übertritt die autoritäre Spitze eines Mördersystems, das auf der Unterdrückung individueller Freiheiten basiert. Sie war keine „besorgte Bürgerin“, die hohle Phrasen nachplappert, sie war das System. Über ihr stand niemand. All die Unterdrückung, die Kriege, die Morde – sie geschahen auf ihre Anweisung oder mit ihrer Billigung.

Und jetzt ernsthaft: Eine solche Figur soll also das Gute beschützen? Klar, wenn jemand weiß, wie die Bösen ticken, dann wohl sie. Aber wirklich? Wäre sie eine Admiralin gewesen, eine Offizierin, eine Würdenträgerin von Rang – warum nicht? Eine hochdekorierte Offizierin, die das System, dem sie jahrelang gedient hat, plötzlich hinterfragt? Solche Figuren können modernes Serienfernsehen tragen, weil sie innere Konflikte und Entwicklungspotenzial mitbringen. Aber die Imperatorin?

Okay, es gibt Autorinnen und Autoren, die selbst solch eine Figur zu handhaben verstehen und die uns überraschen. Spoiler: Die Macher von «Section 31» gehören nicht dazu und sie versauen es im Grunde bereits im Rahmen ihres ersten Auftritts (in der Gegenwartshandlung des Films). Da hat sich die Imperatorin nämlich abgesetzt, sie ist untergetaucht und führt einen Club in einer riesigen Raumstation in einem Quadranten, der nicht zur Föderation gehört. Es ist mehr als nur offensichtlich, dass sie dieses Leben im Grauen genießt. Es gibt keinen Moment in der Inszenierung, der dies hinterfragen würde. Die Imperatorin ist also eine Art Donna Corleone. Zwar nur in einem räumlich beschränkten Rahmen, aber das ist sie. Diese Frau ist nicht gut oder zumindest reflektierend. Sie ist verschlagen. Das müssen auch die Verantwortlichen gemerkt haben, weshalb die Imperatorin eine Vorgeschichte im ersten Prolog erhält, in dem sie in gewisser Weise als das Opfer des Regimes dargestellt wird, das sie beherrscht hat. Was wir erleben, ist der letzte Akt ihrer Ausbildung, der Moment, in dem sie kurz vor dem Thron steht. Was sie dafür tun muss? Ihre Familie und die Liebe ihres Lebens vergiften, denn eine Imperatorin darf nur für das Imperium leben. Ja, doch, da ist sicher auch Gehirnwäsche im Spiel gewesen, doch, doch, das wird irgendwie so am Rande angedeutet, zumindest kann man das in diesen Prolog hineininterpretieren. Man muss es nur wollen.

Nun ja.


Diese Ex-Imperatorin bekommt bald Besuch von Alok Sahar – den sie unschwer als ein Mitglied der Section 31 erkennt. Der bietet ihr einen Deal an. Er braucht ihre Hilfe wegen eines Artefakts, das offenbar aus ihrem Spiegeluniversum stammt. Wenn sie ihm hilft, lässt die Section 31 sie in Ruhe und sie kann tun und lassen, was sie will. Dass übrigens die Figur des Alok Sahar eine Vorgeschichte hat, die dunkel ist, die aber Platz für Buße lässt, zeigt auf, dass sich die Macherinnen und Macher dieses Films irgendwo schon bewusst gewesen sind, wer oder was solch eine Truppe anzuführen hat. Was nicht funktioniert, ist die Imperatorin.

Aber Moment, sagt Alok Sahar nicht, dass er „nur“ ihre Hilfe braucht und sie danach ihrer Wege gehen kann? Damit wäre ein inszenatorisches Problem des Films angesprochen. Ja, im Rahmen des Films ist Alok Sahar offiziell der Anführer. Aber (Achtung Spoiler, es geht nicht anders, wer nicht gespoilert werden will, springt weiter zum nächsten Absatz, wirklich, es kommt hier ein Spoiler!) der Epilog des Films sagt klar aus, dass die Imperatorin am Ende Teil dieses Section 31-Teams ist – denn in den ursprünglichen Planungen sollte «Section 31» in Serie gehen und demnach ist der Spielfilm eigentlich nur ein Pilotfilm. Zumindest ist diese Definition nicht ganz falsch. Was da alles während der Produktionsphase passiert ist, darüber gibt es so manches Gerücht. Irgendwann während der Produktion hat etwa Michelle Yeoh einen Oscar gewonnen. Spielt man als Oscarpreisträgerin unbedingt die Hauptrolle einer «Star Trek»-Ablegerserie? Da gibt es dann vielleicht doch noch andere Optionen. Vielleicht hat auch einfach nur jemand im Hause Paramount die Reißleine gezogen und festgestellt – irgendwie ist das Konzept Tinneff. Wenn es aber so gewesen ist, hätte man dann nicht noch Änderungen vornehmen können, um «Section 31» tatsächlich als einen echten Stand-Alone-Film dastehen zu lassen, mit einem klaren Anfang, einer Mitte und einem definierten Ende?

Spoilerende!


Es ist nicht nur die schwierige Hauptfigur, die den Film belastet – insgesamt hat das Ensemble mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen. Die Gruppe, die Alok Sahar anführt, wirkt nicht nur inkohärent besetzt, sondern leidet auch an einem ähnlichen Mangel an Tiefe wie die Figuren aus «Discovery». Sie treten auf, und ehe man sich versieht, hat man ihre Namen vergessen. Sie sind keine ausgearbeiteten Charaktere, sondern eher Figuren, die wie Bauern auf einem Schachbrett platziert wurden. Dass eine der gerade erst eingeführten Hauptfiguren schon beim ersten Feindkontakt das Zeitliche segnet, sorgt zwar für eine gewisse Unsicherheit – die Art Unsicherheit, bei der man nie wirklich weiß, welcher Charakter wohl als Nächstes das Ende finden wird. Doch da sich der Film letztlich auf Alok Sahar und die Imperatorin konzentriert, verblasst dieser Moment schnell wieder.

Der Rest der Handlung bleibt erschreckend simpel. Ein Artefakt aus der Welt der Imperatorin taucht auf, sie hat eine spezielle Beziehung dazu, und dann gibt es ein wenig Remmidemmi bis zum Showdown – alles auf einem eher pilotfilmmäßigen Niveau, weit entfernt von dem, was man sich von einem kinoreifen Abenteuer erwarten würde. Fehlt da noch etwas in der Inhaltsangabe? Ach ja, mit wem hat es die Section 31 denn eigentlich hier zu tun? Nun ja, da gibt es jemanden im Hintergrund, aber der lässt sich mit seinem Auftritt reichlich viel Zeit. Nicht jeder «Star Trek»-Film braucht einen Khan, der der Föderation das Leben schwer macht («Star Trek II: Der Zorn des Khan» / 1982). Aber ein Gegenspieler mit etwas mehr Format hätte der Sache schon gutgetan.



Und nun?


Man weiß es nicht. Die Bewertungen auf IMDb sind miserabel, und das Thema «Section 31» dürfte nach diesem Film wohl erst einmal erledigt sein. Welche Folgen dieses Debakel für zukünftige Produktionen haben wird, bleibt abzuwarten. Immerhin entsprang «Section 31» der Serie «Discovery», die trotz ihrer polarisierten Wahrnehmung eine stabile Fanbase hatte – fünf Staffeln sprechen für sich. Doch «Discovery» ist ein Paradebeispiel für eine Serie, die entweder heiß geliebt oder innig gehasst wird. Ein Dazwischen gibt es nicht.

Interessanterweise brachte «Discovery» auch die gefeierte Serie «Strange New Worlds» hervor – ein Fakt, den diese jedoch äußerst erfolgreich zu kaschieren weiß. Und wer beim Finale von «Lower Decks» ganz genau hingesehen hat, einem Finale, bei dem Spiegelwelten gleichfalls eine große Rolle spielen, könnte bei der Darstellung eines Spiegelwelt-Klingonen ins Grübeln gekommen sein. Denn dieser spezifische Klingone sah nicht aus wie ein Klingone aus «Lower Decks», «TNG» oder «Deep Space Nine», nein, diese Art der Darstellung gibt es nur bei «Discovery». Hat «Lower Decks» damit vielleicht subtil versucht, «Discovery» aus dem Kanon zu verdrängen? Das würde zwar narrative Probleme im Hinblick auf das Crossover zwischen «Lower Decks» und «Strange New Worlds» aufwerfen, das während der zweiten Staffel von «Strange New Worlds» stattfand. Aber wenn man diese Probleme einfach großzügig ignoriert ...

Vielleicht sollten die Verantwortlichen im Hause Paramount «Section 31» einfach als Lehrfilm betrachten – einen Lehrfilm darüber, wie man «Star Trek» besser nicht angeht. Wenn daraus etwas Gutes entsteht, dann vielleicht die Erkenntnis, was es braucht, um «Star Trek» wirklich gerecht zu werden: klare Visionen, glaubwürdige Figuren und die Treue zu den Idealen, die das «Star Trek»-Universum groß gemacht haben. Also mehr «Strange New Worlds» und weniger «Discovery».

«Star Trek: Section 31» ist bei Paramount+ streambar.
03.02.2025 11:01 Uhr  •  Christian Lukas Kurz-URL: qmde.de/158442