«Querschuss» ist ein Film, der nachwirkt – wie ein zu später Einfall, ein nicht abgeschickter Brief, eine Frage, die wahrscheinlich auf ewig im Raum stehen wird.
Stab
Darsteller: Christian Berkel, Bibiana Beglau, Andrea Sawatzki, Thomas Prenn, Stella Kann, Ursula Werner
Musik: Sven Rossenbach und Florian van Volxem mit Matti Rouse
Kamera: Julian Krubasik
Drehbuch: Esther Bernstorff
Regie: Nicole WeegmannAlles beginnt mit einem Schuss, mit dem niemand je gerechnet hätte. Opa Joachim hat sich verabschiedet, kurz vor seinem 80. Geburtstag, still und gründlich, ganz ohne Vorwarnung, was natürlich nicht stimmt, weil es immer Warnzeichen gibt, aber wer hat denn bitte Zeit, sich die genau anzusehen? Also steht die Familie jetzt da, ratlos, wütend, leicht beschämt und mit einer Menge halbleerer Weingläser in der Hand.
Christian Berkel ist Andreas, der Sohn. Derjenige, der immer irgendwie zuständig war, aber nie offiziell befördert wurde. Und jetzt ist er mit dieser Sache hier konfrontiert: Der Vater hat sich erschossen, und zurück bleibt ein Trümmerhaufen aus Emotionen, Missverständnissen, alten Rechnungen und einer verdammten Geburtstagstorte, die jetzt niemand mehr essen will. Seine Frau Bibi (Bibiana Beglau) reagiert auf all das mit jener souveränen Art von Pragmatismus, die sich irgendwann in völlige Erschöpfung auflösen wird. Ihre beiden Kinder sind mit der Situation maßlos überfordert – logisch, in dem Alter ist es ja schon schwer genug, einen halbwegs funktionierenden Spotify-Mix zu erstellen, geschweige denn, eine emotionale Krise dieser Größenordnung zu bewältigen.
Und dann kommt Ulrike: Andrea Sawatzki spielt diese Schwester mit genau der richtigen Dosis verkorkster Selbstverständlichkeit. Ulrike, die immer geschützt wurde, immer ein bisschen aus der Verantwortung genommen, immer ein bisschen leichter durchs Leben gegangen ist – zumindest in Andreas’ Erinnerung. Und natürlich kommt sie jetzt, um alles noch komplizierter zu machen.
Aber die wahre Heldin dieses Chaos ist Bernadette. Ursula Werner stolpert mit ihrer unverbesserlichen Grandezza in die Szenerie, stellt unwirklich alle richtigen Fragen und sprengt jedes Gespräch mit der Leichtigkeit einer gut platzierten Handgranate. Sie kannte Opa Joachim auf eine Weise, wie ihn niemand sonst kannte. Oder er kannte sich in ihr selbst auf eine Weise, die er niemandem gezeigt hat. Und jetzt sitzen sie alle hier und versuchen, aus diesen Bruchstücken irgendeine Wahrheit zu basteln, die sich ertragen lässt.
«Querschuss» ist ein Film, der alles richtig macht, indem er sich weigert, alles richtig zu machen. Keine einfachen Antworten, keine dramaturgisch sauber aufgereihten Erkenntnismomente, kein wohltuend warmes „Und am Ende haben wir uns alle doch ganz doll lieb“. Stattdessen Streit, Missverständnisse, und eine Reihe von Gesprächen, die genau da abbrechen, wo es spannend wird – so wie das eben ist, wenn Familien über das sprechen, worüber sie eigentlich nie sprechen wollen.
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Regisseurin Nicole Weegmann lässt das alles atmen. Es gibt diese kleinen, beiläufigen Momente, in denen sich Figuren in einem einzigen Blick verraten. Szenen, die auf eine absurde Weise komisch sind, einfach weil die Situation so grotesk ist, dass Lachen die einzige Möglichkeit bleibt. Und dann wieder diese Stille, diese entsetzliche, unaushaltbare Stille, die nach dem ganzen Reden bleibt.
«Querschuss» ist kein Film, der Lösungen bietet, sondern eine Einladung, sich in der eigenen Familiengeschichte umzusehen, in den Lücken zwischen den großen Erzählungen zu graben, sich zu fragen: Was haben wir eigentlich übersehen? Und was, verdammt nochmal, hätten wir vielleicht fragen sollen, bevor es zu spät war? Ein Film, der nachwirkt – wie ein zu später Einfall, ein nicht abgeschickter Brief, eine Frage, die wahrscheinlich auf ewig im Raum stehen wird.
Der Film «Querschuss» wird am Mittwoch, den 12. Februar um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.