Manuel Weis blickte hinter die Kulissen der erfolgreichen ARD-Serie «Sturm der Liebe» und unterhielt sich mit dem Chefautor.
Marktanteile von knapp 30 Prozent bei allen Zuschauern, teilweise über drei Millionen Zuschauer – das ist die ARD-Erfolgstelenovela «Sturm der Liebe». Am 26. September 2005 erstmals auf Sendung gegangen, hatte die tägliche Serie zunächst einen schleppenden Start. Mit 1,06 Millionen Zuschauern ab drei Jahren (10,5% MA) und nur 0,19 Millionen Menschen aus der Zielgruppe 14- bis 49-Jährige (4,7% MA) wurden die Erwartungen der ARD-Bosse wohl nicht erfüllt. In den kommenden Tagen zeigte sich das übliche Bild. Die Quoten sanken, so wie es bei den meisten neu startenden Formaten der Fall ist.
Der erste Quotensprung gelang in Woche vier: In der Serie erleidet Laura (Foto) einen Schwächeanfall und stellt Alexander vor die Wahl: Katharina oder sie. Im wirklichen Leben wählen immer mehr Menschen die ARD in der 15er-Stunde. Innerhalb von einer Woche konnte die ARD die Zuschauerzahlen der Serie um rund 25 Prozent verbessern. Die guten Nachrichten rissen nicht ab: Woche für Woche stellte das Format neue Rekorde auf - hielt sich sogar während der Fußball-Weltmeisterschaft mehr als wacker.
In der Ursprungs-Geschichte dreht sich alles um die Konditorin Laura Mahler, die von ihrem Verlobten betrogen wird und deswegen nach Bayern zieht. Dort verliebt sie sich in Alexander Saalfeld, den Junior-Chef eines Fünf-Sterne-Hotels, der aber mit Katharina Klinker-Emden verlobt ist.
Hinter der Idee des Formates steckt ein Experte der Soap-Geschichte: Peter Süß. Quotenmeter.de traf den 41-Jährigen auf dem Gelände der Bavaria Film in der Nähe von München. Seit zehn Jahren erfindet der in Wuppertal geborene Autor Geschichten für tägliche Serien. „Mit Unterbrechung“, betont er. Ab 1996 arbeitete er als Storyliner für «Gute Zeiten, schlechte Zeiten». Zehn Monate lang war er für «Verbotene Liebe» tätig. Von 1998 bis 2000 war Süß Chefautor bei «GZSZ». Es folgten Engagements für den Sat.1-Piloten «Der Duft des Geldes» und den Relaunch der Serie «Für alle Fälle Stefanie». Seit 2005 steht nun die ARD-Telenovela auf der Tagesordnung. „Das Spannendste ist immer das, was man gerade macht“, erklärt Süß. «Sturm der Liebe» sei aber auch deshalb etwas Besonderes, weil er die Serie von Anfang an begleitet habe.
Dass die Serie thematisch nichts wirklich Neues bietet, bejaht er, schließlich gehe es auch in diesem Format um Liebe, Ängste und Hass. „Aber diesen Menschheitsthemen kann man immer wieder etwas anderes abgewinnen“, erklärt Peter Süß. Auch dürfe man nicht vergessen, dass sich die Erzählweise und die Geschichten an sich mit der Zeit verändern würden. Teilweise würden Geschehnisse, die vor zehn Jahren noch relevant waren, heute gar nicht mehr stattfinden. Viel wichtiger sei jedoch, dass bestimmte Themen auch nicht langweilig werden, wenn man sie wieder und wieder erzähle. „Auch wenn es immer und immer dieselben Emotionen sind, betreffen sie andere Charaktere.“ So müsse sich das Team der Storyliner jedes Mal aufs Neue fragen: „Wie wird die Figur reagieren?“ und: „Wie werden die Figuren im Umfeld dieser Figur reagieren?“
Wenn auch mit Unterbrechung sind zehn Jahre im Seriengeschäft eine lange Zeit. So mancher dürfte sich fragen, woher Süß, der Geschichte, Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaften an der GHS Wuppertal und der FU Berlin studierte, all diese Ideen nimmt. „Viele Ideen sind aus dem Leben gegriffen“, überlegt er.
Eine Woche für die Hauptstory
Insgesamt 280 Folgen der Liebesgeschichte um Laura und Alexander (Foto) entstehen unter seiner Federführung. Anfangs waren nur 100 Folgen geplant, die ARD verlängerte die Telenovela wegen des großen Erfolgs aber mehrfach. Für die Hauptstory habe Süß nur etwa eine Woche benötigt. „Das musste relativ schnell gehen“, erinnert er sich. Auf rund 10 Seiten habe er das Geschehen skizziert. Anschließend habe er sich mit weiteren Kollegen zusammengesetzt und die Gesamtgeschichte „gefutured“. In drei Wochen entstanden 50 Seiten, auf denen nun auch die weiteren Personen rund um Alexander und Laura einbezogen wurden. „Es ging ungewöhnlich schnell. Das war ein wahrer Ritt über den Tegernsee“ – sagt er und stutzt: „Eigentlich über alle bayerischen Seen“. Aus diesem Grund seien auch die ersten drei bis vier Blöcke (ein Block enthält in der Regel fünf Folgen) nicht „so toll gewesen“. Die Qualität habe sich dann ab Block fünf verbessert, gibt sich der Chefautor selbstkritisch – „und ab da sind auch die Quoten gestiegen.“
So sagt er zum Beispiel, es sei nicht nötig gewesen, bereits im zweiten Block, also in den Folgen fünf bis zehn, eine Gastfigur einzubauen.
An eine Verlängerung der Telenovela war damals sicherlich noch nicht zu denken, umso mehr dürfte sich das Team dann über die Entscheidung der ARD-Chefetage gefreut haben. „Mit dem Stoff der ersten Skizze kamen wir locker über die erste Verlängerung hinaus,“ erklärt er. Bis Folge 150 kam es also zu keiner großen Veränderung. Erst als dann klar wurde, dass nochmals 130 Episoden hinzukommen sollen, machte sich das Autorenteam Gedanken, welche Geschehnisse Laura und Alexander noch widerfahren könnten. „Wir haben Christian einsteigen lassen und die Story ein bisschen umgedreht“, so Süß. Mittlerweile lebt Laura nämlich mit besagtem Christian zusammen, der inzwischen seine wahre Identität preisgegeben hat und den Zuschauern als Gregor bekannt ist. So heißt es nun nicht mehr: 2 Frauen kämpfen um einen Mann, sondern zwei Männer um eine Frau.
Nun kann man eine Telenovela mit einer normalen Soap eigentlich nicht vergleichen: In dem aus dem vorrevolutionären Kuba stammenden Format dreht sich alles um eine – meist weibliche – Hauptperson. „Im Unterschied zu Seifenopern haben Telenovelas jedoch einen klar definierten Anfang und ein vorher festgelegtes Ende, normalerweise dauern sie mindestens vier Monate bis maximal ein Jahr (80 - 250 Kapitel)“ – so zumindest definiert die freie Enzyklopädie Wikipedia das Format. Eine Definition, mit der sich Süß etwas schwer tut. „Ich würde es einfacher erklären: Man erzählt eine Geschichte, die endlich ist.“
Trotz des wahren Booms, welchen die Formate im vergangenen Jahr erlebten – einige Kritikpunkte bleiben: So wird dem Genre an sich vorgeworfen, die Welt in schwarz und weiß zu unterteilen: So gibt es in jeder Serie etwa zwei Fieslinge, die im Normalfall vor nichts zurückschrecken und das Böse personifizieren. Alle anderen Figuren sind in der Regel liebeswert. Doch genau in diesem Punkt unterscheidet sich «Sturm der Liebe» von der klassischen Telenovela, meint zumindest Chefautor Süß: Besagte Figuren nennt er „Plus-Minus-Figuren, das sind Figuren, die sowohl positive als auch negative Charaktereigenschaften auf sich vereinigen. Robert beispielsweise ist aufbrausend, mitunter zynisch und jähzornig, zugleich aber auch ein hochsensibler Koch, der seine Mutter über alles liebt,“ so Süß. „Es ist eine wunderbare Erfahrung, dass Plus-Minus-Figuren wie Werner oder Robert Saalfeld bei den Zuschauern besonders beliebt sind.“ Sein Erfolgsrezept: „Jeder Zuschauer soll sich mit einer Figur in der Geschichte voll und ganz identifizieren und eine Figur so hassen, dass dadurch ebenfalls eine emotionale Bindung entsteht.“
Von der Idee über den Dreh bis zur Ausstrahlung
Bevor eine Geschichte, die sich Peter Süß an seinem Schreibtisch ausdenkt, dann die Zuschauer vor den Fernsehern erreicht, vergeht eine gewisse Zeit. „Die Idee wird mit dem Produzenten und dem Sender abgestimmt“, erklärt der Chefautor die Vorgehensweise. Sind alle Beteiligten einverstanden, beginnt die eigentliche Arbeit. Storyliner und Dialogautoren beginnen, die Geschichte umzusetzen. Etwa acht Wochen später werden die entsprechenden Szenen dann gedreht. Letztlich vergehen nochmals etwa acht Wochen bis die entsprechenden Szenen über den Bildschirm flimmern. „Das ist das Tolle daran“, sagt Süß, „man weiß, dass die Idee in etwa vier bis fünf Monaten auch wirklich zu sehen ist.“ Dies sei auch der große Unterschied zu Filmautoren. „Die müssen manchmal ein bis zwei Jahre warten, bis ihre Bücher von einem großen Publikum begutachtet werden.“
Kalte Abreise
Ob alle seine Ideen auch wirklich umgesetzt werden, steht dann aber noch nicht fest. Das liegt nicht nur am Produzenten oder am Sender, sondern teilweise auch an ihm selbst. „Es kommt auch vor, dass ich die Geschichte umschreibe, weil sie mir nicht mehr gefällt.“ Bestes Beispiel sei hierfür die Story mit dem Titel „Kalte Abreise“. Rentner Franz Hochleitner, gespielt von Wolfgang Freundorfer, sollte aus der Serie ausscheiden – und tat dies dann auch auf spektakuläre Art und Weise. Am Morgen nach seiner Hochzeitsnacht lag die Frohnatur leblos im Bett. „Diese Geschichte wollte ich schon immer einmal schreiben. Ein Toter – das ist für ein Hotel natürlich der Supergau.“ Nach ersten Schock waren nicht nur die Ehefrau Hochleitners, sondern auch das gesamte Hotelpersonal darum bemüht, dem Gast seinen letzten Wunsch zu erfüllen: Er wollte in Italien unter Olivenbäumen auf seinem kleinen Grundstück beigesetzt werden. Ein großes Problem stellte allerdings seine geldgierige Verwandtschaft dar, die in der Hotelhalle samt Anwalt schon wartete – aber nicht wusste, dass Frank bereits verstorben war.
So wurde der leblose Franz Hochleitner in einem Wäschewagen aus dem Hotel (im Bild: Das «Sturm der Liebe»-Hotel "Fürstenhof") transportiert und in einen weißen Kastenwagen verfrachtet. „Das war eine richtig schwarze Komödie – etwas, das man in einer Telenovela nicht vermuten würde“, erinnert sich Autor Süß zurück. Am Ende gab es doch ein Happy End: Franz erwachte mitten auf der Fahrt in den Süden wieder und erfreut sich nun an seinem schönen Leben bei seinen Olivenbäumen. „Eigentlich sollte er sterben“, plaudert Süß aus dem Nähkästchen. „Als ich dann aber die ersten Folgen mit ihm in seiner Rolle gesehen habe, entschied ich mich um“, so Süß. Die Figur sei einfach zu knuffig gewesen, als dass man sie hätte sterben lassen können. „Ich glaube, das hätten uns die Zuschauer verübelt.“
Neben einem Toten in der Hochzeitsnacht kennt Süß auch sonst keine wirklichen Tabuthemen – alles müsse sich lediglich innerhalb des finanziellen und produktionsbedingten Rahmens bewegen. „Aber innerhalb dieses Rahmens kann man viel machen und somit den Rahmen unter Umständen auch erweitern“, scherzt er. Von zu düsteren Geschichten sieht er allerdings doch ab. „Ich denke, es ist logisch, dass wir keine Geschichte über Terroristen erzählen, die gerade einen Massenmord planen“, sagt Süß.
Rund 30 Köpfe tüfteln tagtäglich an den Geschichten rund um den „Fürstenhof.“ Sie sind aufgeteilt in zwei Abteilungen: Etwa 10 Storyliner beschäftigt die ARD-Telenovela. Sie schreiben die jeweiligen Szenen als Storyline – beschreiben, was in der Szene passiert, wo sie stattfindet und welche Personen darin vorkommen. Anschließend entwickeln rund 15 Autoren die Dialoge, die die Rollen letztlich dann auch sprechen. Hinzu kommen noch fünf weitere Schreiber, die für die Dramaturgie zuständig sind.
Dass auch Autoren mit der Zeit gehen müssen, hat Süß selbst gespürt: „Früher habe ich die Stränge nach einem festen Plan gebaut“, erzählt er. So ging eine Geschichte zunächst über drei Episoden, machte dann zwei Folgen lang Pause und wurde wieder drei Episoden lang erzählt. „Hier haben sich die Sehgewohnheiten klar verändert“, erklärt er. Waren früher etwa drei Handlungsstränge parallel in einer Folge üblich, ist die Anzahl der parallel laufenden Geschichten mittlerweile deutlich angestiegen. „Wenn ich mir zum Beispiel «Emergency Room» ansehe, dann werde ich teilweise mit bis zu zehn Strängen konfrontiert“, sagt Süß.
Ohnehin lobt er die Arbeit seiner US-Kollegen. „US-Serien wie eben «Emergency Room», oder auch «Lost» (Foto) sind einfach gut erzählt.“ Zu seinen Lieblingen im US-TV gehört aber auch «CSI» und «Desperate Housewives». „Das ist schon ein Unterschied im Vergleich zu Deutschland.“ Dies liege aber vor allem an der von Grund auf anderen Struktur des US-Fernsehens. Dort hätten die Writer und die Producer die Macht, lobt Süß.
Genauere Pläne für seinen weiteren Werdegang hat der 41-Jährige noch nicht. „Ich habe eigentlich auch nie längerfristige Pläne gehabt,“ erinnert er sich zurück. „Alle meine Planungen gingen so lange, wie auch mein aktueller Vertrag lief“ – und das sei auch gut so. Das Schlimmste sei ohnehin, so Süß, sich bei seiner eigenen Routine zu erwischen. Routine hätte sich bei «Sturm der Liebe» aber keinesfalls eingestellt. Für die kommenden Wochen und Monate verspricht der Chefautor der Telenovela viele spannende und neue Geschichten. Zudem würden neue Gesichter den Cast hervorragend ergänzen.
29.09.2006 11:10 Uhr
• Manuel Weis
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