Jahresrückblick 2006 mit Thomas Kausch (Teil II)
Im zweiten Teil des Rückblicks spricht Thomas Kausch über den Nah-Ost-Konflikt und den Fall Natascha Kampusch. Zudem äußert er sich über den alten, neuen Sat.1-Vorabend und spricht über die Abschiede von Uli Wickert und Roger Schawinski.
Herr Kausch, auch im Jahr 2006 ging es leider nicht friedlich zu auf der Welt. Zu Gefechten zwischen Israelis und Palästinensern kam es, weil israelische Soldaten gekidnapped wurden. Haben Sie überhaupt noch Hoffnung auf eine friedliche Lösung?
Die Hoffnung keimt immer mal wieder auf – mal ist sie größer, mal ist sie kleiner. Und am Ende ist eigentlich alles wie immer. Ich habe sehr großes Verständnis für beide Seiten. Ich habe früher viel aus Israel berichtet – wenn Sie beispielsweise nach Gaza fahren und dort mit jungen Menschen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation sprechen, dann können Sie sehr schnell nachvollziehen, warum diese Menschen so hoffnungslos sind und warum sie auch eine gewisse Gewaltbereitschaft entwickeln. Wenn man dann nach Israel fährt und sieht, wie israelische Kinder einen Großteil ihrer Kindheit im Bunker verbringen, weil aus dem Libanon Raketen der Hisbollah nach Israel gefeuert werden, dann wird verständlich, warum eine Bereitschaft zur Verständigung von israelischer Seite sehr schwierig ist. Und wenn Sie Vater einer Tochter sind, so wie ich, und sich vorstellen, dass Sie nie ein sicheres Gefühl haben können, wenn Sie ihr Kind morgens in den Bus setzen und es zur Schule schicken, weil man nie weiß, ob es ein Selbstmordattentat gibt, dann können Sie die Vorbehalte und den Wunsch nach Sicherheit sehr gut nachvollziehen.
Ohnehin ist dieses Problem nur schwer zu lösen, letztlich ist es die Frage, was zuerst da war. Das Huhn oder das Ei? Keiner kann mehr nachvollziehen, wer wirklich angefangen hat und somit die größere Schuld trägt und nun aufhören müsste. Das hat sich über die Jahrzehnte hinweg so entwickelt. Ich setze zumindest ein bisschen Hoffnung auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – die Bundeskanzlerin hat ja bislang gerade in außenpolitischen Fragen großes Geschick bewiesen und sie hat sich auf die Agenda gesetzt, den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen.
Sie haben das Thema Sicherheit der Kinder angesprochen. Der Fall Natascha Kampusch hat die Menschen in Deutschland, Österreich und den umliegenden Ländern bewegt. Vor acht Jahren war sie auf dem Weg in die Schule verschwunden und verbrachte diese lange Zeit eingesperrt in einem kleinen Bunker. Wie stark ist Ihre Angst um Ihre Tochter, wenn Sie so etwas hören?
Ich habe immer Angst um meine Tochter. Die meisten Entführungen passieren eben auf dem Weg in die Schule. Wenn ich dann solche Berichte lese, dann wird die Angst natürlich noch größer. Der Fall an sich hat natürlich in seiner gesamten Grausamkeit eine gewisse Faszination, weil immer, wenn sich große gesellschaftliche Probleme an einem Beispiel festmachen lassen, ist dieses Beispiel natürlich besonders eindringlich.
Dann gab es den Fall Stephanie, die wochenlang von Mario M. festgehalten und vergewaltigt wurde. Genau dieser Mario M. machte dann auch denkwürdige Schlagzeilen. Nicht nur im Gericht, sondern auch im Gefängnis – ihm gelang es, auf das Dach zu klettern und dort fast einen ganzen Tag auszuharren. Herr Kausch, ist es richtig, dass vor dem Gefängnis dann etliche Kamerateams stehen und Herrn M. diese Aufmerksamkeit schenken, die er eigentlich nicht haben sollte?
Ich glaube, er hat sich selbst ad absurdum geführt und nicht nur die Justiz vorgeführt. Ich denke nicht, dass sich die Presse in einem solchen Fall selbst beschränken sollte. Das ist ein schmaler Grat, da haben Sie schon Recht. Die Abgründe sind auf beiden Seiten sehr tief: Zum einen gibt man einem Menschen hier ein unglaubliches Forum, zum anderen muss man informieren.
Thema Amoklauf. Nicht nur in Emsdetten ist ein Schüler durchgedreht und hat wild um sich geschossen, auch im Sommer bei der Eröffnung des Berliner Bahnhofs ist ein Mann auf Passanten losgegangen und hat diese mit einem Messer verletzt. Wem würden Sie die Verantwortung für solche Taten geben? Den jungen Menschen, die nicht kapieren, dass bei ihnen etwas falsch läuft, oder der Umwelt, die sie geformt hat?
Sowohl als auch. Natürlich kann man bei der Umwelt ansetzen, man muss sich dann aber erst einmal klar werden, was die Umwelt ist. Das ist sicherlich zunächst das Elternhaus und dann im zweiten Schritt auch die Schule. Man muss dort einfach gewisse Alarmsignale erkennen – und da kommen wir zu einem ganz großen gesellschaftlichen Problem. Manche Eltern glauben, sie können ihre eigene Verantwortung zur Erziehung ihrer Kinder an die Schule abgeben. Und dann sind wir wieder bei dem Problem, welches wir bereits skizziert haben. Die Lehrer sind auf diese Aufgaben einfach nicht vorbereitet. Auf der Strecke bleiben dann die Kinder selber. Aber es kann ja wohl nicht sein, dass manche Eltern die Auseinandersetzung mit ihren eigenen Kindern scheuen und sagen: „Gut, dann bleib halt vor dem Computer und spiel fünf Stunden lang. Ich schau mal lieber weg.“
Auch in der Medienwelt ist einiges passiert im Jahr 2006 – die Fußballbundesliga wird seit August auf arena übertragen. Der neue Sender beschäftigt nicht wenige Sat.1-Mitarbeiter, wie Oli Welke und Uli Köhler. Haben Sie selbst ein Abo?
Nein, ich kann arena nicht sehen. Ich bevorzuge lieber die gute, alte Radio-Konferenz.
Die Übernahmegespräche der ProSiebenSat.1 Media AG haben sich über das ganze Jahr hinweg gezogen. Springer, Berlusconi, die türkische Dogan-Gruppe – alle waren im Gespräch. Am Ende ging der Zuschlag an Permira und KKR – wie geht man als Mitarbeiter mit solchen Meldungen um?
Ich bin ja noch vergleichsweise neu hier bei Sat.1 – vor zweieinhalb Jahren bin ich dazu gestoßen. Ich lerne jetzt von denen, die schon viele Jahre hier arbeiten – die zeigen mir, dass man das eigentlich ziemlich gelassen beobachten kann. So mancher hier hat schon den ein oder anderen Eigentümer kommen und gehen sehen – auch so manchen Geschäftsführer kommen und gehen sehen – insofern erschüttert uns das eigentlich nicht. Der Vorstand von ProSiebenSat.1 macht meines Erachtens eine tolle Arbeit.
Ende August hat eine Nachrichtenlegende aufgehört. Uli Wickert hat uns zum letzten Mal eine geruhsame Nacht gewünscht. Konnten Sie von ihm in all den Jahren etwas lernen?
Uli Wickert war ein toller Anchor. Er hat alles gehabt, was ein guter Anchor haben muss. Es kommt mir ewig vor – so lange war er bei den «Tagesthemen». Diese Verlässlichkeit, jede zweite Woche da zu sein, war sehr, sehr wichtig für die Zuschauer. Er ist in dieser Zeit zu einer Person des Vertrauens geworden. Man konnte sich – glaube ich – immer darauf verlassen, dass das, was er gesagt hat, auch wirklich überprüft war. Eine Sternstunde habe ich noch besonders gut in Erinnerung: Es gab einmal einen Kommentar vom Bayerischen Rundfunk, von dem er sich dann deutlich distanziert hat – das war ein Moment, der zur Glaubwürdigkeit des Anchors noch weiter beigetragen hat. Das ist dann auch etwas, das man sich abschauen konnte.
In der ARD werden die Nachrichten im Stehen vorgetragen – und auch Sie sind im Frühjahr aufgestanden: Die letzten Meldungen verlesen Sie seitdem im Stehen, was ist da der Hintergrund?
(lacht). Der Hintergrund, genau darum geht es. So können wir zeigen, was für ein tolles Studio wir haben, weil wir so den größeren Hintergrund beleuchten können. In den Naheinstellungen sieht man eigentlich immer nur den Nachrichtensprecher, der da sitzt und etwas erzählt und einen kleinen Ausschnitt vom Schreibtisch. Deswegen setzen wir jetzt eine inhaltliche und visuelle Zäsur, wenn wir zum Sport übergehen.
Als Sie mit den «Sat.1 News» an den Start gegangen sind, haben Sie angekündigt, an der Wand, an der die Wetterkarte präsentiert wird, viele Dinge erklären zu wollen. Landkarten, Übersichten etc. Warum haben Sie diesen Plan verworfen?
Der Alltag hat gezeigt, dass es nicht immer nötig ist – man kann solche Karten genauso gut innerhalb der einzelnen Beiträge zeigen. Auf der Suche nach neuen Vermittlungsmöglichkeiten fallen einem viele Möglichkeiten ein, aber nicht alles davon ist wirklich praktikabel.
Am 21. August hat Sat.1 einen neuen Vorabend eingeführt. Sie haben auf dem Papier fünf Minuten Sendezeit verloren, am Ende waren es in der Tat vielleicht zwei Minuten, aber die Quoten sind dennoch eingebrochen. Aus vormals bis zu 16 Prozent wurden nun zehn, elf Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. Freuen Sie sich schon auf Januar, wenn wieder alles so ist wie früher?
Ja, sehr.
(grinst) Gut Herr Kausch, letzte Frage: Roger Schawinski verlässt Sat.1 zum Jahresende. Sie sind gut mit ihm befreundet, sind Sie traurig über seine Entscheidung und beeinflusst das ihre weitere Arbeit bei Sat.1?
Ich bin Roger Schawinski emotional sehr verbunden. Die Art und Weise, wie er mich damals aus der öffentlich-rechtlichen Welt zu Sat.1 geholt hat, war sehr beeindruckend. Er ist damals zu mir nach Wiesbaden gefahren, wo ich gewohnt habe und hat bei mir geklingelt. „Ich möchte Sie gerne haben und ich spreche da auch mit gar keinem anderen“, waren in etwa seine Worte. Das hat von Anfang an zu einer sehr persönlichen Beziehung geführt. Deswegen habe ich momentan schon auch ein weinendes Auge – aber eben auch ein lachendes, weil der neue Geschäftsführer Matthias Alberti jemand aus dem Haus ist, mit dem ich ebenfalls befreundet bin. Es ist gut, dass er sich jetzt nicht komplett neu einarbeiten muss – er weiß genau, wo wir dringend ansetzen müssen und er wird dies auch sehr schnell tun. Matthias Alberti ist ein sehr rationaler Mensch und auf jeden Fall weniger emotional als Roger Schawinski. Gleichzeitig ist er aber sehr sensibel und hat ein großes Herz. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und deswegen ist meine Arbeit überhaupt nicht beeinflusst.
Ich entnehme der Antwort, dass Sie nicht den Harald Schmidt machen und den Sender nach einem Geschäftsführerwechsel fluchtartig verlassen…
(lacht) Nein, dafür habe ich keine Veranlassung.
Herr Kausch, ich bedanke mich für den Rückblick auf das Jahr 2006. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie einen guten Rutsch ins neue Jahr und viel Erfolg.