Hinter den Kulissen der Premiere Bundesliga-Übertragung

Fußballkommentatoren gibt es viele in Deutschland – und keiner ist wirklich unumstritten. Kein Beckmann, kein Marcel Reif und kein Bela Rethy. Es gibt aber einen Mann, dessen Können kaum jemand bezweifelt: Wolff-Christoph Fuss, England-Experte und Bundesliga-Live-Kommentator bei Premiere. Quotenmeter.de begleitete ihn einen Samstag lang und schaute der Premiere-Fußball-Redaktion bei der Produktion der Sendung für die Telekom über die Schulter.



Samstag, Mitte April 2007 – die Sonne brennt. Auf den Straßen des Agrob-Geländes in Ismaning bei München herrscht gähnende Leere. Drei Frauen kommen aus dem Gebäude des DSF heraus, es ist dennoch still. Um 13.00 Uhr betrete ich ein kleines Haus des Dienstleisters Plazamedia. Bei Abgabe meines Personalausweises bekomme ich eine Besucherkarte, die es mir ermöglicht, sämtliche Drehkreuze zu betätigen.


In einer etwas älteren Halle am Ende des Weges herrscht unterdessen aufgeregtes Treiben. Die erste Redaktionskonferenz ist bereits vorüber, die Konferenz-Kommentatoren und Moderator Dieter Nickles wissen Bescheid, was an diesem Spieltag wichtig ist. Nickles selbst steht schon im Studio und probt die Texte für die Vorberichterstattung. Obwohl es draußen heiß ist, im Studio selbst herrschen angenehm kühle Temperaturen. Neben ihm steht die Aufnahmeleiterin, sie „spielt“ Stefan Effenberg, der am Nachmittag als Experte fungieren wird.



Die Freitagsspiele der zweiten Liga und alle Spiele am Samstag und Sonntag analysiert ein Experten-Team von Premiere im neuen Studio 3 in Ismaning. Eines – wenn nicht sogar das modernste Fußballstudio Europas ist dort aufgebaut. Nicht nur die Optik, sondern auch die Fakten an sich sind mehr als beeindruckend: Vier fahrbare LCD-Wände schmücken die hintere Wand der Kulisse – sie sind entweder als vier Einzelstücke oder als große Gesamtprojektionsfläche einsetzbar. Eine wahre Innovation sind mehrere so genannte „RotVisions“ – drehbare TV-Plasmabildschirme. Das besondere an ihnen: Während sie sich um die eigene Achse drehen, bleibt das angezeigte Bild gerade.








Vom Studiohintergrund aus tauchen rund 3.000 sogenannter „Barco O-lites“ – videofähiger LED-Einheiten – das Studio in Sekundenbruchteilen in jede beliebige Farbe. Darüber hinaus können beispielsweise Vereinslogos oder Realbilder in den Studiohintergrund projiziert werden. Mit einem 3-D-Analysetool können alle wichtigen Schlüsselszenen für den Zuschauer nachgestellt und aufbereitet werden. Einmalig in Deutschland: Mithilfe des Analysetools lassen sich alle 18 Bundesliga-Stadien als 3-D-Modell abrufen.



13.30 Uhr: Die Probe im Studio ist vorbei, der Leiter der Sendung ruft zur letzten Redaktionsbesprechung. Die Kollegen werden nochmals informiert, welcher Reporter in der Konferenz das erste Wort hat und wer die Zuschauer nach ersten Planungen in die Halbzeit verabschieden soll. Wolff Fuss hört aufmerksam zu, flachst ein wenig mit Reporter-Kollege Michael Leopold. Auch erste Planungen zur Zusammenfassungssendung «Alle Spiele, alle Tore» - in Fachkreisen „ASAT“ genannt, finden statt. 7 Minuten und 30 Sekunden sollen die Spielberichte dauern – Standardzeit seit dieser Saison. Als erstes will man über das Spiel der Schalker in Mainz berichten. Diese Information ist wichtig für Fuss, denn er ist für das Spiel der Blauen eingeteilt. Seit Jahren kommentieren die Reporter der Konferenz nicht live aus dem Stadion, sondern aus Containern in Ismaning.




13.45 Uhr: Die Besprechung ist vorbei, die Kollegen haben nun eine Stunde Zeit – Zeit, die sie sich irgendwie vertreiben müssen. Michael Leopold entscheidet sich wie viele andere für ein Sonnenbad.



14.45 Uhr: Die Sonne scheint noch immer, viele Kollegen sitzen auf Bänken oder Pflastersteinen – im Studio steht Dieter Nickles bereit. Letzte Vorbereiten werden getroffen, Wassergläser aufgefüllt – eine kleine Nebelmaschine sorgt für eine noch bessere Atmosphäre.



14.56 Uhr: Nun betritt auch Stefan Effenberg das Studio – er bekommt die aktuellen Aufstellungen der spielenden Vereine gereicht. Selbst Dieter Nickles (Foto) blickt interessiert auf die Blätter, informiert sich noch ein letztes Mal, wer auf dem Platz steht und wer vorerst auf der Bank Platz nehmen muss. Im Anschluss geht alles glatt, die Schalten zu den Reportern vor Ort funktionieren einwandfrei. Ecki Heuser meldet sich gleich zwei Mal aus Mainz.







15.23 Uhr: Im Premiere-Studio ist man zufrieden, bis auf die Tatsache, dass Stuttgart-Spieler Ludowig Magnin die letzte Frage beim Live-Interview auf Grund der Lautstärke im Stadion nicht verstehen konnte, lief alles optimal.



15.25 Uhr: Für den Leiter der Sendung wird es nun ernst. Er ist dafür verantwortlich, welches Spiel wann in der Konferenz zu sehen ist. Die Sendeleitung der Vorberichterstattung verabschiedet sich unterdessen aus dem Regieraum – im Erdgeschoss ist Essen aufgebaut – es gibt Nudelauflauf.



15.30 Uhr: In der Regie wird sekundengenau festgehalten, wann ein Spiel beginnt. In Cottbus wird am spätesten angepfiffen, erst zwei Minuten nach Plan – „das war eigentlich klar“ – scherzt man in der Regie. Demnach wird der Konferenz-Kommentator des Cottbus-Spiels, Marcel Meinert, den letzten Part der Konferenz sprechen.



15.34 Uhr: Erstmals Hektik in der Regie – sowohl in Stuttgart als auch in Bochum fällt ein Tor. „Sucht’s euch aus“ sagt Reporter Leopold. Eine blitzschnelle Entscheidung ist gefragt. Und obwohl das Tor in Bochum wenige Sekunden früher fiel, schaltet Premiere zuerst nach Stuttgart. Die Kollegen des Bochum-Spiels werden angewiesen, die Torsequenz zu speichern – sie wird wenige Sekunden später als Wiederholung abgefahren.



16.00 Uhr: Der Regieraum füllt sich wieder – die für die Studioproduktion verantwortlichen Mitarbeiter haben ihre Essenspause beendet und besprechen die rund elfminütige Halbzeitshow. Eine virtuelle Grafik um das mögliche Handspiel von Kevin Kuranyi ist geplant, zudem gibt es ein Interview mit Schalke-Manager Andreas Müller. Auch aus dem Berliner Stadion ist ein Interview geplant.



16.13 Uhr: Der Leiter der Sendung bemerkt, dass ein Spielstand im Info-Kanal veraltet ist. Es entsteht eine kurze Diskussion, wer für den Info-Kanal verantwortlich ist, das Telefon glüht. Kurze Zeit später ist auch die Übersicht auf dem aktuellen Stand der Dinge.



16.15 Uhr: Dieter Nickles und Stefan Effenberg finden sich wieder im Studio ein – verfolgen über einen kleinen Monitor noch die letzten Minuten des Spiels in Cottbus.





16.19 Uhr: Die Halbzeitanalyse mit Effenberg und Nickles beginnt – ein paar Meter weiter betritt Marc Hindelang den Dispatcherraum, den Raum, in dem alles zusammenläuft. Bei ihm ging nicht alles gut in der ersten Halbzeit – als beim Spiel Bielefeld gegen Frankfurt das erste Tor fiel, gab es einen kurzen Bildausfall – die Monitore zeigten lediglich ein grünes Bild. „Das ist irgendwie „Murphys Law“ scherzt er in der Pause. „Gerade wenn das Tor fällt, gibt es kein Bild. Das Bild ist mit jubelnden Fans zurückgekommen – da musst du dann erstmal schauen, warum die jubeln“, grinst er.




16.45 Uhr: Im Dispatcherraum laufen die Vorbereitungen von «ASAT» auf Hochtouren. Dort findet sozusagen eine zweite Konferenz-Schaltung statt – mit den Redakteuren vor den Stadien in den Übertragungswägen. Welche Spieler sollen als Interviewpartner angefragt werden – und noch viel wichtiger: Soll das, was sie letztlich sagen, direkt im Spielbericht zu sehen sein oder abgesetzt als zusätzlicher Beitrag?



16.53 Uhr: Aufregung in der Schaltzentrale. Roland Evers erklärte, die 1:2 Führung der Berliner in Bochum habe nicht gegolten. Verwirrung herrscht aber darüber, dass am kleinen Fernseher nebenan arena das Tor gelten lässt. Frage an den Ü-Wagen vor Ort: „War das ein reguläres Tor?“ Antwort: „Ja, klar.“ Über einen kleinen Knopf erfährt auch Roland Evers von seinem Faux-pas – entschuldigt sich für das Missverständnis bei den Zuschauern.



17.25 Uhr: Wolff Fuss und Michael Leopold kommen nochmals kurz in den Dispatcher-Raum, Fuß hat nicht viel Zeit, in wenigen Minuten beginnt der Spielbericht zu Schalke 04. Die Spielzusammenfassungen werden live kommentiert. Deswegen begibt sich Fuß wieder in seine Kommentatorenbox. Acht Container stehen in einer großen Lagerhalle – jeweils zwei übereinander. Sie sind recht geräumig – aber schlicht eingeräumt. Zwei Drehstühle, ein Tisch und vier bis fünf Monitore nebst technischem Equipment.







17.39 Uhr: Die Arbeit von Wolff Fuss ist beendet – Fuss geht nach draußen, zündet sich eine Zigarette an. Inzwischen ist es schattig geworden, dennoch ist es nicht kalt. „Jeder Fußballkommentator polarisiert“, erzählt er. „Dennoch ist es schön, wenn du weißt, dass die Mehrheit hinter dir steht.“ Es ist aber nicht nur die Mehrheit, die Wolff Fuß nahezu vergöttert. Ganze Foren sind voll mit großen Lobeshymnen. „Das ist schon der Wahnsinn“, lacht er. „Die Presseabteilung druckt mir das hin und wieder aus und ich bin eigentlich jedes Mal überrascht. Da schwirren sogar Soundfiles von Kommentaren von vor drei oder vier Jahren herum“, zeigt er sich erstaunt.



Mit seiner eigenen Leistung am heutigen Samstag war er zufrieden – er gibt aber zu, dass er sich hin und wieder über sich selbst ärgert. „Es ist nicht schön, wenn man aus einem Spiel rausgeht und dann letztlich bei strittigen Szenen doch zu einem anderen Schluss kommt, als während der Live-Übertragung.“ Besonders ärgerlich sei dies natürlich bei strittigen Schiedsrichterentscheidungen, die der Kommentator bewerten muss.



Foto: WDRSeinen Kommentationsstil beschreibt er als „ausgewogen emotional“, aber „immer am Spiel orientiert“. Er fügt hinzu, dass dies nicht die einzig wahre Art zu kommentieren sei – im Gegenteil: „Die Konferenz lebt davon, dass wir alle anders sind. Der eine sachlicher, der andere sehr emotional“. Ein Kommentatorenproblem habe Deutschland nicht – „ganz sicher nicht“ – sagt er, kann aber trotzdem kein Vorbild für sich festmachen. „So etwas habe ich nicht,“ schüttelt der 30-Jährige mit dem Kopf. Erst als wenige Minuten später Uwe Morawe vorbeikommt, grinst er ihn an und sagt: „Ihn höre ich zum Beispiel gerne.“ Bevor Fuss zu Premiere kam, war er bei ESPN, beim DSF und beim Digitalkanal DF1.





Kommentatoren seien extrem wichtig für ein Fußballspiel, erklärt er. Selbst schaut Fuss große Spiele aber genau deswegen lieber im Stadion an. „Du hörst immer genau hin, was derjenige dann sagt und überlegst, was du in diesem Moment gesagt hättest.“ So könne er sich nicht wirklich auf ein Spiel konzentrieren. Sollte er ein Spiel nicht live vor Ort sehen können, schalte der deswegen auch hin und wieder den Stadionton ein.



Selbst ist er Fan des 1. FC Köln, „das muss ich mir jetzt aber langsam mal überlegen“ scherzt er. Schließlich krebst die Truppe von Christoph Daum seit Wochen im Mittelfeld der zweiten Liga herum – immer wieder setzt es herbe Niederlagen. Ein Wiederaufstieg in die erste Liga ist ausgeschlossen.







„Arena war mir zu unsicher“


Der 21. Dezember 2005 war für alle Premiere-Mitarbeiter kein einfacher Tag – es war der Tag, an dem bekannt wurde, dass arena die Bundesligarechte für drei Spielzeiten erworben hatte. Premiere stand gänzlich mit leeren Händen da. „Das war nicht so toll“, erinnert sich der Kommentator zurück. Auf die Frage, ob er an einen Wechsel zum neuen Sender gedacht hat, antwortet er: „Klar.“



Wenige Wochen später entschied er sich aber, bei Premiere zu bleiben. „Bei arena – das war mir damals zu unsicher.“ Die Entscheidung, bei Premiere geblieben zu sein, bereue er auch heute nicht. „Die Bundesliga kommentiere ich ja immer noch, und mit Champions League, dem Uefa-Cup und den internationalen Ligen, allem voran natürlich der Premier League, ist das ein richtig gutes Gesamtpaket."



Eines seiner großen Ziele, einmal ein WM-Finale zu kommentieren, konnte er bislang zwar noch nicht verwirklichen. Dennoch dürfte er sich bewusst sein, dass er in der sendereigenen Hierarchie kräftig auf dem Vormarsch ist. Als der FC Bayern kürzlich gegen Leverkusen antrat, agierte Fuss gar als Vertretung für Marcel Reif – in der Champions League kommentierte er ein Viertelfinalspiel in voller Länge und im Halbfinal-Rückspiel der Champions League durfte er sogar im Champions TV, dem Free-TV-Fenster von Premiere auf DSF, ran. Seinen Aufstieg bezeichnet er selbst als „völlig normalen Entwicklungsprozess“ – und bleibt somit bescheiden. „Weißt du“, sagt er, „es ist doch immer subjektiv, ob man einen Kommentator mag oder nicht. Aber es beruhigt mich, dass mich meine Chefs derzeit wohl nicht ganz schlecht finden“, grinst Fuss.



Ohnehin sei es für ihn nicht wichtig, immer die Spiele zu bekommen, die auf dem Papier als Topspiele markiert sind. „Die können hin und wieder ziemlich öde sein – manchmal sind Zweitligaspiele aus England da spannender“, lacht er und betont, dass es ihm nicht nur wichtig sei, wer auf dem Platz stehe, sondern, dass er am Geschehen und seiner Arbeit Spaß habe. Ein Spiel wird ihm aber ganz sicher noch eine lange Zeit im Gedächtnis bleiben. „Wie du weißt, habe ich das 7:1 von ManU gegen Rom kommentiert“, erzählt er mir, „ich glaube, es ist verständlich, dass das auf Jahre ein besonderes Highlight bleiben wird.“



19.00 Uhr: Die Zusammenfassungssendung «Alle Spiele, alle Tore» ist vorbei – die Mitarbeiter sind zufrieden. Bevor die Schicht um 19.30 Uhr endet, werden letzte Dinge zusammengepackt und sich über die aktuellen Spielergebnisse unterhalten. Schon am nächsten Tag wird wieder Fußball gespielt – und dann geht das Geschehen wieder von vorne los.
02.05.2007 11:15 Uhr  •  Manuel Weis  •  Quelle: Quotenmeter.de Exklusiv Kurz-URL: qmde.de/19934