Max Hemmo: Von der Liebe zweier Geräte

Der Autor über Verkupplung von Handy und dem Fernsehen. Nur ein One-Night-Stand?



Vermutlich hat jeder von uns schon mal den Wunsch gehabt zwei gute Freunde miteinander zu verkuppeln. Zwei Freunde, die und selber sehr am Herzen liegen, die sich ergänzen, unterstützen oder sogar lieben könnten. Letzte Woche habe ich das auch versucht. In einem kleinen Experiment habe ich die besten Freunde der Deutschen miteinander verkuppelt. Das Fernsehen mit dem Handy.

Zugegebener Maßen keine Freunde aus Fleisch und Blut. Schaut man sich aber die Konsumzahlen beider Gerätschaften des Ottonormal-Deutschen, entsteht schnell der Eindruck, dass Fernsehen und Telefonieren, nach dem Atmen, die drittwichtigste Beschäftigung des Deutschen ist.



Fast drei Stunden schaut der Deutsche jeden Tag in die Röhre und über 200 Millionen Minuten werden in Deutschland mit Handys vertelefoniert. Nur leben diese beiden zentralen Bestandteile unseres alltäglichen Informations- und Unterhaltungswahnsinn ein relativ einsames Leben. Zumindest sind die gemeinsamen Schnittstellen von Handy und Fernsehen nicht gerade dolle. Klar gibt es Werbung für Klingeltöne im Fernsehen und klar gibt es die Angebote Spielfilme auf dem Handy zu sehen. Aber mal ehrlich – die Krone der Schöpfung ist das noch lange nicht. Das Zauberwörtlichen für eine fruchtbare Beziehung von Handy und Fernsehen heisst auf Neudeutsch: Medienkonvergenz. Bei Menschen würde jener Vorgang als Ehe bezeichnet werden, oder ist mit „Kinderkriegen“ aber auch sehr plastisch umschrieben. Letztlich bedeutet er nichts anderes als eine Verschmelzung zweier unterschiedlicher Medien.



Der kritische Beobachter wird sich jetzt fragen, warum!? Die Frage ist gut, wird aber gleich mal hinten angestellt. Denn erst einmal möchte ich erläutern, wie!



In den letzten Jahren hat in unseren Haushalten eine schleichende, technische Revolution stattgefunden. Das Handy ist zu einer Kamera mutiert. Nun kann jeder Handynutzer zappelnde Bilder aufnehmen und diese, dank UMTS, auch in Echtzeit versenden. Dieses könnten sich nun die Fernsehsender zu Nutze machen. Hier ein Beispiel: Sat.1 mag die teure Newsredaktion nicht mehr. Eigentlich will man aber auf Nachrichten auch nicht verzichten. Also greift man nun auf den preiswerten Videoamateur zurück. Dieser nimmt mit seinem Handy den Unfall vom Nachbarn auf und sendet (streamt) diesen direkt in die Sendezentrale. Auf diesem Wege kommt Sat.1 zu „News“ und der Videoamateur, im Falle einer Ausstrahlung, zu 50 Euro. So in etwa könnte die Zukunft der Nachrichtenbranche aussehen.








Aber funktioniert das eigentlich? Wie soll das ablaufen, wenn 50 Millionen Deutsche kleine und größere Videofiles in Redaktionen schicken und Millionen von Minuten Material gesichtet, geschnitten und nachbearbeitet werden muss, um einen brauchbaren Fernsehbeitrag zu erstellen. Genau das fragten sich meine Kollegen an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam Babelsberg. 10 Studenten wurden mit dem neuen NOKIA N95 ausgestattet und sollten sich eine Woche lang selber mit diesen Kamerahandys – oder Handykameras, je nach dem wie man es mag, dokumentieren.



Was dabei rum kam, könnt ihr auf www.hff-streamteam.de ansehen.



Selbst dem weniger geschulten Auge wird auffallen, das die Qualität dieser Beiträge nicht mit heutigen Fernsehstandards zu vergleichen ist. Das heisst, meine Idee, dass Fernsehen mit dem Handy zu verkuppeln, ist im ersten Anlauf gescheitert. Es blieb bei dem One-Night-Stand.



Grundsätzlich muss man sich jedoch die Frage stellen, was ist, wenn die Handys den Anforderungen entsprechen? Oder die Frage anders gestellt: was wäre, wenn dem Zuschauer die bildliche Qualität egal wäre? Tja – somit kommen wir zur Frage: WARUM das Handy mit dem Fernsehen verkuppeln?!



Oben habe ich schon einen Punkt angedeutet: Kostensparen. Natürlich sind alle Sendeanstalten immer drauf aus, effizienter an Inhalte zu kommen. So experimentieren auch gerne mit neuen Übertragungswegen, Unterhaltungsformen und Personalunionen. Auf diesem Weg versuchen sie ihren Nimbus, demokratisch zu sein, zu wahren. Aber was genau macht Sender eigentlich demokratisch? Nur weil sie die breite Masse ansprechen und uns ein klassenloses Gesellschaftssystem vorgaukeln indem sie von A- bis D-Promis vor die Kamera ziehen und uns das Gefühl vermitteln mit diesen auf Augenhöhe leben zu können? Netter Versuch, aber das Fernsehen ist nicht demokratisch! Nur weil es jeder guckt, heißt es doch noch lange nicht, dass auch jeder daran partizipieren kann. Aber genau das versteht man doch unter demokratisch. In den Entstehungsprozess aktiv mit eingreifen – seine Meinung kundtun, Mitgestalten, Verantwortung tragen. Und genau das verspricht unser kleines Verkupplungsexperiment. Menschen können ihre Erlebnisse, Sichtweisen, Meinungen direkt ins Fernsehen tragen.



Aber diese wunderschöne Utopie endet schon wieder an den Kosten und an den Entscheidungsstrukturen innerhalb des Fernsehens. Abertausende Mitarbeiter müssten neu eingestellt werden, um die Datenmassen zu erfassen und zu bearbeiten. Und letztlich hat der Sendeverantwortliche den Finger auf dem Beitrag und entscheidet über das was über den Äther geht und was nicht. Demokratie sieht auch anders aus.



Auch wenn die Sender immer im Sinne des Zulieferers, also des Videoamateurs, entscheiden würden bleibt die Frage: was kommt da rein? „Bild“ und „Stern“ und viele andere Zeitungen drucken via MMS zugesandte Fotos schon heute in ihren Zeitungen ab. Eine Möglichkeit den weiter schwindenden Leserzahlen entgegenzutreten. Der Leser wird beteiligt, auch wenn er, aus journalistischer Sicht, Müll sendet. Der nackte Stefan Effenberg am Strand, Omas offener Oberschenkelhalsbruch, Auffahrunfall auf der A9, der angebrannte Toast…bla, bla, bla…mit diesen Inhalten könnten die Redaktionen dann konfrontiert werden. Die wirklich wahren Vorteile einer solchen unabhängigen Informationsquelle zeigen sich erst, wenn man einen Blick auf die Ereignisse in Myanmar wirft. Die Weltöffentlichkeit würde grandios davon profitieren, wenn normale Bürger mit Handys von Realitäten berichten könnten, die dem normalen Journalisten oft verborgen blieben. An dieser Stelle wäre der Handyjournalismus eine wahre Bereicherung und würde zur Demokratisierung nicht nur des Fernsehens, sonder die gesamte Welt beitragen. Da gibt es nur einen kleinen Schönheitsfehler: UMTS gibt’s bislang nur in stabilen Demokratien.



Ausgeträumt?



Eines Tages wird das Handy als Zulieferer aus dem Fernsehalltag nicht mehr wegzudenken zu sein. Was heute noch als One-Night-Stand endet, ist der Beginn einer großen, langen Liebe. Wer letztlich von dieser zaghaften Verkupplungsprozedur wirklich profitiert, ist heute noch total unklar. Geschäftsmodelle gibt es reichlich – was sich durchsetzt – ist eine andere Frage. Ein Gewinner steht jedoch jetzt schon fest: die Netzbetreiber die für jeder versendete UMTS heute schon gut entlohnt werden.
02.11.2007 09:50 Uhr  •  Max Hemmo Kurz-URL: qmde.de/23236