«Contergan»-Zweiteiler: Mehr als nur eine Tablette

Kaum ein Film wurde vor der Ausstrahlung so heftig diskutiert wie «Contergan». Monatelang dauerten die Auseinandersetzungen vor Gericht. Dabei ging es um nicht weniger als die größte Tragödie der deutschen Pharmageschichte.

Foto: WDR/Willi WeberDass der Zweiteiler «Contergan» in diesen Tagen überhaupt ausgestrahlt werden darf, grenzt beinahe schon an ein Wunder. Monatelang stritten WDR und das Pharma-Unternehmen um den bewegenden Spielfilm. Doch warum überhaupt?

Das Schlafmittel Contergan von Grünenthal verursachte die größte Tragödie der deutschen Pharmageschichte. Ende der 50er Jahre kamen in der Bundesrepublik etwa 5.000 Kinder mit Fehlbildungen zur Welt, heute leben rund 2.800 Contergan-Betroffene in Deutschland. Der in Contergan enthaltene Wirkstoff heißt Thalidomid und wurde 1954 von Grünenthal entwickelt. Konkrete gesetzliche Vorschriften zum Schutz der Patienten, wie sie heute gelten, gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Vielmehr galt das Prinzip der Selbstüberwachung.

Ab 1957 war Contergan rezeptfrei auf dem Markt erhältlich. Der Wirkstoff Thalidomid zeichnete sich durch eine hohe beruhigende, den Schlaf fördernde, zum Selbstmord ungeeignete Wirkung aus. Er schien besonders gut verträglich zu sein und führte nicht zu Abhängigkeiten.




Zu Contergan wurden in den folgenden Jahren zwei verschiedene Nebenwirkungen gemeldet: Zum einen handelte es sich um Nervenreizungen an Händen und Füßen meist älterer Menschen, zum anderen äußerte ein Hamburger Kinderarzt im November 1961 den Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen Fehlbildungen bei Ungeborenen und Thalidomid gäbe. Die Folgen begleiten die Betroffenen noch heute.

In dem vom WDR produzierten Film beanstandete Grünenthal vor allem Aussagen, die die damaligen historischen Vorkommnisse nach Ansicht des Unternehmens „grob verzerren und einen völlig falschen Eindruck vom Unternehmen und dessen damaligem Handel erzeugen“. „Grünenthal ist für die historisch korrekte Aufarbeitung der Contergan-Tragödie, aber nicht für die Vermischung von Fakten und Fiktion, die ein falsches Bild der damaligen Ereignisse zeichnet“, so Geschäftsführer Stefan Wirtz.

Foto: WDR/Willi WeberSchier endlos ging der Streit vor verschiedenen Gerichten, ehe das Bundesverfassungsgericht schließlich Anfang September 2007 doch noch grünes Licht für die Ausstrahlung gab: Es legte bei seiner Entscheidung die Würdigung des OLG Hamburg zugrunde, wonach die Ausstrahlung des Films die von den Beschwerdeführern befürchtete schwerwiegende Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts nicht bewirken kann. Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gibt es nicht. Die Ausstrahlung des Films könne damit nicht mehr verhindert werden, hieß es vor rund zwei Monaten.

„Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stützt seine Entscheidung maßgeblich auf den hohen Stellenwert der Rundfunkfreiheit. Dabei unterstreicht es, dass die Aufbereitung zeitgeschichtlicher Ereignisse - egal in welcher Form - von zentraler publizistischer Bedeutung ist“, meinte WDR-Intendantin Monika Piel nach der Verkündung des Urteils. „Wir werden mit dem Film wie mit den begleitenden Dokumentationen den 50. Jahrestag der Markteinführung von Contergan in unseren Programmen begleiten und dabei insbesondere die Betroffenen und ihre Schicksale in den Mittelpunkt stellen“, kündigte sie an.

Grünenthal-Geschäftsführer Stefan Wirtz zeigte sich enttäuscht vom Urteil: Der Film werde „zugunsten der Einschaltquote durch Hinzuerfundenes und Verdrehungen verwirrt“, merkte er an. Nun dürfen sich die Zuschauer ihr eigenes Bild von dem umstrittenen Zweiteiler machen.
07.11.2007 18:15 Uhr  •  Alexander Krei  •  Quelle: WDR / Grünenthal Kurz-URL: qmde.de/23326