«Anne Will»: Erstaunlich sachliche Eigenwerbung

Alexander Görke sah am vergangenen Sonntag die ARD-Talkshow «Anne Will» und fasst das Geschehen der Sendung zusammen.

Der Benzinpreis hat in den letzten Wochen die Marke von 1,60 Euro pro Liter Super-Kraftstoff erstmals geknackt, das Heizen wird immer teurer und der Strompreis steigt von einem Hoch zum Nächsten. Diese Entwicklung ist auch der Redaktion von «Anne Will» nicht entgangen, weshalb die zuletzt nicht unbedingt durch Faktensicherheit bekannte Moderatorin zum Thema „Die Energiepreise explodieren – Wer soll das noch bezahlen?“ lud.

Der niedersächsische Wohlfühlministerpräsident Christian Wulff und der an diesem Abend sehr besonnene SPD-Generalsekretär Heil trafen zu diesem Thema zusammen, flankiert vom Präsidenten des Bundes der Energie- und Wasserwirtschaft, dem MDR-Verbrauchershow-Moderator Peter Escher und der Mitgründerin der Grünen, Jutta Ditfurth. Letztere tingelt in letzter Zeit vermehrt durch Talkshows zu aller Herren Themen und hatte sich an diesem Abend für ihre Verhältnisse durchaus herausgeputzt und mit einem Fächer für die wärmeren Minuten der Diskussion bewaffnet. Durch die Sendung begleiten und immer brav als Beispiel für jeden Beteiligten herhalten durfte eine Familie auf dem „Kleine Leute“-Betroffenheitssofa. Beide Elternteile haben zusätzlich zu ihrer beruflichen Tätigkeit jeweils einen Nebenjob und geraten dennoch reichlich ins Schwitzen unter den stetig steigenden Energiepreisen. Ihrem Wunsch nach einer Steuererleichterung wollte keiner der Runde nachkommen, dafür war man sich einig, zur alten Pendlerpauschale bei einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückkehren zu wollen.




Peter Escher, der als des Volkes Stimme in den Schatten der anwesenden Familie gedrängt war und dessen einziger Vorschlag (Pendlerpauschale) ohnehin auf Zustimmung stieß, hatte wenig Substanz mitzuteilen und versuchte sich lieber zeitweilig als Co-Moderator. Auch Herr Schmitz vermochte nicht viel mehr beizusteuern als den Hinweis, man müsse primär Energie sparen anstatt diese zu verbilligen.

Den entstandenen Freiraum nutzten die beiden Spitzenpolitiker der Runde gekonnt für eine, bei Außerachtlassung der üblichen geschichtlichen Schuldzuweisungen an die gegnerische Partei, weitgehend ruhig und sachlich geführte Diskussion mit einem großen Anteil von Eigenwerbung beider Seiten. Der amtierende Ministerpräsident hatte viel Positives aus seinem Heimatland zu berichten, von Erfolgen von VW, der Hannover-Messe und natürlich nicht zuletzt seinen eigenen politischen Erfolgen. Wulff wirkte gut informiert und forderte mehr Energiewettbewerb und den bewährten Energiemix bei längeren Laufzeiten der Kernkraftwerke und einem Ausbau der erneuerbaren Energien. Der SPD-Generalsekretär hatte dem wenig hinzuzufügen, erweiterte die Eigenwerbung aber auf die Arbeit der Bundesregierung, wie etwa Wohnungssanierungsprogramme und ein höheres Wohngeld. Eine Antwort auf die steigenden Energiekosten hatte er darüber hinaus nicht, orakelte lieber stattdessen über die Spekulationen auf den internationalen Energiemärkten und bemühte sich, Ängste und Fakten gegen eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke zu einem Durchschlagsargument zu bündeln.

Jutta Ditfurth lieferte den verlässlichen Gegenpol. Sie fischte tief in unteren Sprachzonen, um ihrem Ärger über den „Blödsinn“, das „Propaganda-Gesülze“ und den „Bullshit“ ihrer Gesprächspartner Luft zu machen. Stolz auf ihren Anti-Atom-Protest der 70er Jahre, forderte sie eine sofortige Abschaltung aller weltweiten Kernkraftwerke und behauptete, dadurch würde die Stromversorgung nicht massiv beeinflusst werden. Sie schoss aus allen Rohren auf die Kernkraft, die „unwirtschaftlichste Technologie“, welche für Krebs verantwortlich sei und deren Betreiber kriminell und raffgierig seien. Sicher nur zufällig vergaß sie, dass Solarstrom in Deutschland die vierungzwanzigfachen Erzeugungskosten verursacht. Anstatt sich auf einen sachlichen, faktenorientierten Diskurs einzulassen, lästerte sie offenen über ihre Gesprächspartner, versuchte diese lächerlich zu machen und warf Politik und Energiewirtschaft kollektiv enge Filzstrukturen vor. Von der einstigen Forderung ihrer ehemaligen Partei nach einem Benzinpreis von 5 DM pro Liter mochte sie unterdessen nichts mehr wissen. Als sie gegen Ende die „reichen Energieverprasser“ verteufelte und eine Enteignung der Energieversorger forderte, roch zumindest Wulff den aufkommenden Klassenkampf und verwieß auf die energietechnisch völlig ineffiziente DDR und stellt heraus, dass Frau Ditfurth ohnehin gegen jede Form von Kraftwerken etwas einzuwenden habe.

14.07.2008 09:43 Uhr  •  Alexander Görke Kurz-URL: qmde.de/28510