Die Kritiker: «Das Schweigen der Ärzte»

Inhalt
Familie Holweg vereinbarte eine Chefarztbehandlung zur Geburt ihres zweiten Kindes, um die bestmögliche ärztliche Versorgung nach den Erfahrungen bei der Niederkunft ihres Sohnes, die schwierig verlief, zu bekommen. Die Eltern hatten den Eindruck, dass mit der neugeborenen Tochter Deike etwas nicht stimme und die Ärzte darüber schweigen würden. Ohne irgendeine Diagnose oder einen Hinweis wurden Mutter und Kind seinerzeit aus dem Hospital entlassen. Das Kind wirkte von Anfang an schlapp und kränklich. Erst nach der ersten kinderärztlichen Untersuchung erfolgte sofort eine Überweisung in eine Kinderklinik, wo ein schweres Anfallsleiden der Tochter diagnostiziert wurde.

Die nunmehr siebenjährige Deike ist seit ihrer Geburt schwerstbehindert und ein Pflegefall. Ihre Betreuung rund um die Uhr kostet den Eltern eine enorme psychische und physische Kraft, denn Deike läuft immer Gefahr zu ersticken und ist zeitweise am Beatmungsgerät angeschlossen. Ihr Zimmer gleicht einer Intensivstation. Erst jetzt hat sich die Familie entschlossen, die Leistungen einer Pflegkraft in Anspruch zu nehmen, wovon insbesondere der kleine Sohn profitiert, für den der Vater in der Vergangenheit nur noch wenig Zeit fand.

Alle Versuche, über den Chefarzt der damaligen Geburtsklinik eventuell Hinweise zum Ursprung von Deikes Behinderung zu bekommen, scheiterten aus unterschiedlichen Gründen. Für die Familie hatte das Schweigen der Ärzte begonnen. Über eine Patienteninitiative erhält die Familie Unterstützung, um dem Recht auf Akteneinsicht nachzukommen. Als die Eltern die Behandlungsakte schließlich in Händen hielten, waren sie schockiert: Die Betreuung während der damaligen Geburt erfolgte durch eine noch unerfahrene Ärztin im Praktikum. Ein langer und anscheinend wenig aussichtsreicher Klageweg beginnt, der beweisen soll, ob die Krankheit des Kindes wirklich ein Ärztefehler war. Die Familie hat den Prozess bereits in der zweiten Instanz verloren. Letztendlich bleibt der Familie Holweg nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht.

Kritik
Der Film beschreibt eindrucksvoll und feinfühlig das aufopfernde Leben der Familie Holweg, die an einen verschwiegenen Behandlungsfehler bei der Geburt ihrer Tochter glaubt und für seine Anerkennung vor Gericht kämpft. Im stetigen Wechsel wird aufkommende Betroffenheit durch Darstellungen aus der Sicht der Ärzteschaft relativiert. Eine Untersuchung hat gezeigt: Nicht diejenigen Ärzte bekommen die meiste Klagen, welche die meisten Fehler machen, sondern diejenigen, welche am wenigsten mit ihren Patienten sprechen. Dennoch ergeht häufig der juristische Rat an den Arzt, wenig Auskunft zugeben, denn dies könne als Schuldeingeständnis gewertet werden. Eine fatale Diskrepanz, die vielfach nur noch den Klageweg zulässt.

Der Film betreibt Ursachenforschung: Die Sprachlosigkeit der Ärzte gegenüber den Patienten – juristisch angeraten oder aber aus Angst vor dem Eingeständnis eines Fehlers – ist vielfach der Grund für Missverständnisse und aufzehrende Prozesse. Hinzu kommen Defizite bei der ärztlichen Kommunikationsfähigkeit, die in der Regel kein Gegenstand der universitären Ausbildung ist. Ein fataler Mix, der eine besondere Problematik innerhalb des medizinischen Systems von ihrer Wurzel her begreifbar macht, aber nicht entschuldigt. Es werden Lösungswege aus diesem Dilemma wie Beschwerdemanagement oder Arbeiten im Team, welches stützt und gleichzeitig kontrolliert, beschrieben. Erstaunlicherweise wird zudem klar, dass ein Arzt, der einen Fehler gemacht hat, in der Regel mit seinen Schuldgefühlen allein klar kommen muss. Nicht einmal den eigenen Kollegen kann er sich anvertrauen.

Ingesamt stellt der Film die Problematik aus unterschiedlichsten Sichtweisen dar, welche dem Betrachter die Bildung einer eigenen Meinung ermöglichen. Die Ursache der Krankheit von Deike in diesem Fall, der Musterbeispiel für das allgemeine Thema des Films ist, in einem ärztlichen Fehler zu sehen, bleibt letztendlich auch dem subjektiven, eigenen Urteil überlassen. Ein sehenswerter Film, der mutig Gründe für die Sprachlosigkeit innerhalb der Ärzteschaft benennt und mit diesem Ansatz hoffentlich zum Umdenken anregt.

Der NDR zeigt am Montag, 22. September 2008, um 23.00 Uhr die Dokumentation «Das Schweigen der Ärzte».
20.09.2008 23:55 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/29885