Die Kritiker: «Der Besuch der alten Dame»

Story
Nachdem die einzige Fabrik des beschaulichen Alpendorfes Güllen geschlossen wurde, fehlt der Gemeinde, die mittlerweile eine Arbeitslosenquote von über 40% hat, an allen Ecken das Geld. Da kommt der Besuch der Milliardärin Claire Zachanassian, die nach über 40 Jahren in ihre Heimatstadt zurückkehrt, gerade recht. Die Stadtväter erhoffen sich von der kühlen Geschäftsfrau eine millionenschwere Spende.

Und tatsächlich verspricht Claire die Gemeinde großzügig zu unterstützen. Sie bietet den Güllenern 2 Mrd. Euro an, die gleichmäßig unter den rund 11.000 Einwohner verteilt werden sollen – also 180.000 Euro für jedes Mitglied der Gemeinde. Sie stellt nur eine Bedingung: Den Tod des örtlichen Autohändlers Alfed Ill, der sie vor Jahren gedemütigt und hintergangen hat. Es beginnt ein moralischer Kampf um die Frage, wie viel ein Menschenleben wert ist.

Darsteller
Christiane Hörbiger («Julia - Eine ungewöhnliche Frau») als Claire Zachanassian
Michael Mendl («Die Gustloff») als Alfred Ill
Muriel Baumeister («Einsatz Hamburg Süd») als Mia Mohr
Dietrich Hollinderbäumer («Pastewka») als Matthias Büsing
Dietrich Mattausch («Der Fahnder») als Polizist Lutz Wolff
Rolf Hoppe («Alles auf Zucker») als Georg Riemann

Kritik
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt, dessen Werke neben der gesellschaftlichen Brisanz vor allem für den feinsinnigen und subtilen Humor bekannt sind. Aber genau daran scheitert die Verfilmung. Vom Witz der Vorlage ist in der Adaption nichts zu erkennen. Über die gesamten 90 Minuten findet sich kein einziger komischer Moment. Dabei definiert sich das Werk bereits im Vorspann selbst als tragische Komödie.

Die Figuren der Geschichte sind, abgesehen vom hoffnungslos überzeichneten Vorsitzenden der örtlichen Sparkasse, glaubwürdig und lebensnah charakterisiert. Auch die Besetzung kann weitestgehend überzeugen. Vor allem Dietrich Hollinderbäumer als Bürgermeister sticht aus dem Cast hervor. Christiane Hörbinger, die am Sendetermin ihren 70. Geburtstags feiert, spielt die eiskalte Milliardärin einen Tick zu unterkühlt und erinnert dabei stark an Meryl Streep in «Der Teufel trägt Prada». Nur die ewigen, aussagelosen Blicke aus dem Hotelfenster und ihr überpräsenter Kampfhund „Nero“ beginnen gegen Ende des Filmes zu nerven. Ganz schlüssig ist ihre Figur allerdings nicht. Obwohl sie Alfred so sehr hasst, dass sie seinen Tod erzwingt, nähert sie sich ihm immer wieder, ohne dass dies erklärt wird. Dass sie auch nach 40 Jahren noch an ihm hängen soll, wirkt aufgrund ihrer Tötungsabsichten unglaubwürdig.

Die Thematik ist sehr interessant und auch die moralische Zwickmühle der Güllener regte den Zuschauer zum Mitdenken an. Doch die geniale Grundidee ist zäh umgesetzt. Der Film plätschert wie das Dorfbächlein vor sich hin. Die wenigen dramatischen Szenen kommen unverhofft und verpuffen leider wieder genauso schnell.

Ein überzeugendes, optisches Mittel ist die allgegenwärtige Erneuerung der anfangs sehr heruntergekommenen Stadt. Im Hintergrund wird nach der Bekanntgabe des Angebots ständig gebaut, saniert und verschönert. Die Bewohner scheinen schon früh mit dem Geld fest zu rechnen und warten nur noch darauf, dass endlich jemand den Wunsch der alten Dame erfüllt.

Es bleibt ein banales Fernsehfilmchen zurück, dass nur durch die gekonnte Besetzung und die Rudimente der guten Vorlage überzeugen kann. Ein totaler Reinfall ist «Der Besuch der alten Dame» daher nicht, aber für einen wirklich gelungenen Abend sollte man lieber das Original aus seinem Bücherschrank hervorkramen.

Das Erste zeigt «Der Besuch der alten Dame» am Montag, den 13. Oktober 2008, um 20.15 Uhr.
12.10.2008 10:06 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/30310