Der alte Mann und das Fernsehen

Was bringt eine Qualitätsdebatte um das deutsche Fernsehen zwischen Thomas Gottschalk und Marcel Reich-Ranicki am Freitag?

„Wir setzen uns gemeinsam eine Stunde im Fernsehen hin. Wir stellen diesen Preis in die Ecke und reden über alles das, worüber man im Fernsehen nicht mehr redet: über Bildung, über Lesen über Erziehung...", sagte Thomas Gottschalk als Gütevorschlag am Samstagabend, als Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki die Annahme des Deutschen Fernsehpreises verweigert und gleichzeitig das deutsche Fernsehen aufs Schärfste kritisiert hatte. Schließlich ist es kein Sonntagabend geworden, sondern ein Freitagabend um 22.30 Uhr. Die Debatte wird nicht eine Stunde dauern, sondern nur eine halbe. Und die ARD wird das Gespräch ebenfalls nicht übertragen, sondern nur das ZDF. Wenig ist also übrig geblieben von der ursprünglich geplanten, großen Qualitätsdebatte über das deutsche Fernsehen und weitere Themen, die wohl nur wirklich relevant werden würde, wenn die Sender den Mut gehabt hätten, eine längere Diskussion zur besten Sendezeit auszustrahlen.

Am Mittwochnachmittag wurde das Vier-Augen-Gespräch zwischen Showtitan Thomas Gottschalk und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, das unter dem schlichten Titel «Aus gegebenem Anlass» ausgestrahlt wird, in Kurhaus Wiesbaden aufgezeichnet. Bringt diese einmalige Qualitätsdebatte etwas? Wahrscheinlich nicht, denn dazu läuft sie zu kurz, zu spät, ohne Regelmäßigkeit. So hat die ganze Veranstaltung doch wohl nur den bitteren Nachgeschmack, dass das ZDF Reich-Ranicki notgedrungen einmalig eine halbe Stunde gewährt, um den Eklat versöhnlich abzuschließen und das Gesicht der Branche zu wahren.




Die TV-Diskussion sollte sich ohnehin auf die öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen beschränken, da die Privatsender als Wirtschaftsunternehmen immer auf den Profit achten müssen, der nicht durch anspruchsvolle Sendungen erreicht werden kann. Denn Anspruch im Privat-TV zu etablieren, ist leider eine nie realisierbare Utopie. Jedoch waren die Reaktionen gewisser Senderchefs und TV-Gesichter völlig unangebracht – die meisten, die sich am Samstagabend angesprochen gefühlt haben, wissen genau, was sie für einen „Blödsinn“ produzieren, um Reich erneut zu zitieren. Es braucht eben die Courage eines 88-jährigen alten Mannes, damit sich die Fernsehmacher, die sich an besagtem Abend auf die alljährliche Selbstfeierei und Bauchpinselei eingestellt hatte, wieder hinterfragen.

Dass anspruchsvolles Fernsehen, beispielsweise über Literatur, auch relativ massenkompatibel gestaltet werden kann, zeigt Elke Heidenreichs Sendung «Lesen!», in der auch prominente Gäste wie Harald Schmidt zu Gast sind. Hier sollten die öffentlich-rechtlichen Sender überlegen, ob sie von unseren Rundfunkgebühren nicht mehr dazu beitragen können, das Fernsehen ein wenig besser zu machen. Beispielhaft ist das Verhalten von WDR-Intendantin Monika Piel, die sich nun verstärkt darum kümmern will, dass Kultur und Anspruch wieder den Weg ins Hauptabendprogramm finden. Liebe ARD: Wie wär´s mit einer neuen Sendung von Marcel Reich-Ranicki?
17.10.2008 10:31 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/30427