Zehn Sendungen, die Marcel Reich-Ranicki sehen sollte

Seit der Qualitätsdebatte um das deutsche Fernsehen, die nach der Wutrede von Marcel Reich-Ranicki allgegenwärtig ist, fragen sich viele Zuschauer, wo man gutes, anspruchsvolles Fernsehen noch finden kann und was diese Sendungen auszeichnet.

Für diese völlig subjektive Liste wurden zwei grundsätzliche Kriterien angelegt: Keine fiktionalen Programme, weil hier die persönlichen Kriterien für Qualität und die eigenen Genrevorlieben eine sehr starke Rolle spielen, und keine Sendungen von Spartensendern, die nicht für die Masse der Bevölkerung empfangbar sind – zum Beispiel der ZDFdokukanal, schon gar nicht Pay-TV-Kanäle wie der History Channel. Sicherlich ist die Liste kein perfekter Programmführer, der jeden zufrieden stellt, und will es auch gar nicht sein. Aber die hier aufgeführten Sendungen, die einen bunten Querschnitt verschiedenster nonfiktionaler TV-Genres darstellen, haben sich bewährt und stehen für gute Qualität. Viel Spaß beim Einschalten.

«Tracks» (arte, freitags, nach 23.00 Uhr)
«Tracks» ist ein Musik- und Kulturmagazin für die junge Generation. Während die einstigen Musiksender M-TV und VIVA ihr intelligentes Publikum mit Klingeltonwerbung, Reality-Shows und Dokus vergrault haben, ist diese Sendung immer populärer geworden. Hier geht es um alle Musikrichtungen und die Subkulturen, die mit dieser Musik leben, um aktuelle popkulturelle Trends und einfach um das, was die jungen Leute bewegt. Hier geht es um Bands, die keiner kennt und Stars, die jeder kennt. Da «Tracks» auf arte von verschiedenen Fernsehstationen produziert wird, hat jede Sendung eine andere Ausrichtung. Aktuell wird die vom ZDF produzierte Show jeweils von Charlotte Roche moderiert. Vergessen Sie «polylux» und schauen Sie «Tracks».

«Nachtstudio» (ZDF, in der Nacht von Sonntag auf Montag, jeweils nach 0.00 Uhr)
Seit vielen Jahren diskutiert Volker Panzer mit verschiedensten Gästen Themen aller Art. Ob Historie, Kunst, aktuell relevante Themen, gesellschaftliche Dinge oder Politisches – jede Sendung widmet sich einem bestimmten Thema. Die sympathische, aber doch distanzierte Art des Moderators Panzer macht das Format zu einem besonderen, da er zwar sehr genau fragt und immer über das benötigte Fachwissen verfügt, aber doch des Öfteren einfach nur die Rolle des Zuschauers einnimmt und ihn gegenüber den Experten vertritt, die er interviewt. So entstehen oftmals sehr spannende Gruppendiskussionen, die man sonst in dieser Art nirgends im Fernsehen findet.

«druckfrisch» (Das Erste, erster Sonntag im Monat, 23.30 Uhr)
Seit über fünf Jahren moderiert Denis Scheck – leider viel zu versteckt im Spätabendprogramm – eine Literatursendung, die wundervoll konzipiert ist. Das Format beschäftigt sich nämlich nicht nur mit der klassischen und anspruchsvollen Literatur, sondern auch mit den Büchern, über die gesprochen wird und die auf den Bestsellerlisten stehen. Legendär ist Schecks Kritik der aktuellen Bestseller Top 10: Hier wird jedes der zehn meistverkauften Bücher prägnant eingeschätzt – Top oder Flop? Ob klassische Themen wie Kafka oder modernere „Trivialliteratur“ wie die Werke von Ray Bradbury: «Druckfrisch» nimmt sich jedes literarischen Themas an und ist daher ein Muss für jeden Bücherliebhaber.

«Kulturzeit» (3sat, mo-fr, 19.20 Uhr)
Seit 1995 wird das wohl populärste Kulturmagazin im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Nicht ohne Grund ist man schon über 13 Jahre täglich live auf Sendung. Kein anderes Magazin schafft es nämlich, aktuelle kulturelle Themen so interessant und spannend zu erzählen wie die «Kulturzeit». Das vierköpfige Moderatorenteam präsentiert Kultur so, wie es sich jeder Zuschauer wünscht. Was ist das Geheimnis hinter der exzellenten Qualität der Beiträge? Dass es keinen Mischmasch gibt. Es gibt feste Autoren und Redakteure, die in Eigenregie ihre Beiträge produzieren – so entstehen auch oft kontroverse Meinungen, die aber gerade den Reiz der Sendung ausmachen.




«Quarks & Co.» (WDR, 2-wöchentlich dienstags, 21.00 Uhr)
Ranga Yogeshwar ist mittlerweile den meisten Zuschauern ein Begriff. Angefangen hat der Naturwissenschaftler seine Fernsehkarriere mit «Quarks & Co.» – einer Sendung, die aufdeckt, erklärt und zur Diskussion anregt. Nicht zuletzt aufgrund von Yogeshwars eigenem Moderationsstil kann man das Format als die „Sendung mit der Maus für Erwachsene“ bezeichnen, weil hier komplexe Sachverhalte einfach und verständlich, beispielsweise mit eigens durchgeführten Experimenten, aber dennoch fachwissenschaftlich und korrekt veranschaulicht werden. Ein nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp für alle, die dazulernen wollen und Spaß dabei haben möchten.

«Zimmer frei!» (WDR, sonntags, 22.45 Uhr)
Nur wenige andere Formate können sich aus dem Unterhaltungs-Einheitsbrei so sehr hervorheben wie «Zimmer frei!» – und wenige haben gleichzeitig so lange überlebt wie dieses, das schon seit 1996 auf Sendung ist. Natürlich lebt die Show meist allein von ihren beiden grandiosen Moderatoren Christine Westermann und Götz Alsmann, die nach 12 Jahren natürlich ein perfektes Team bilden. So ist es auch unerheblich, wenn der Gast, um den sich die Sendung ja eigentlich drehen soll, dem Zuschauer unbekannt ist – denn dieser weiß, dass Alsmann und Westermann die Show dennoch sehenswert machen. Neben der lustigen Unterhaltung erfährt der Zuschauer auch erstaunlicherweise interessante private und ernstere Dinge von den Prominenten, was größtenteils an der hervorragenden Interviewfähigkeit von Christine Westermann liegt.

«Unter den Linden» (Phoenix, montags, 22.15 Uhr)
Es gibt sehr viele politische Talkshows im deutschen Fernsehen, und während sich die meisten darauf beschränken, den Politikern nur eine kritiklose Plattform für ihre Meinungen zu bieten, profiliert sich «Unter den Linden» durch die nachfragenden Moderatoren Christoph Minhoff und Michael Hirz, die Politik mit dem nötigen kritischen Sachverständnis präsentieren. Der politikinteressierte Normalbürger kann als Zuschauer in die Diskussion einsteigen und den Politikern seine Fragen stellen. Zu guter Letzt macht die wunderschöne namensgebende Kulisse des Berliner Boulevards die Sendung zu einem der besten politischen Talks.

«3 nach 9» (NDR, monatlich freitags, 22.00 Uhr)
Wenn Amelie Fried und „Die Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo ihre Gäste begrüßen, dann erwartet den Zuschauer intelligenter Gesellschaftstalk – schließlich wirbt die Sendung mit dem Motto „Unterhaltung zum Mitdenken“. Während andere Abend-Talks immer mehr zu einer puren Aneinanderreihung von Promi-Interviews verkommen, wird hier noch der ursprüngliche Begriff von Talk mit einer Gruppendiskussion über relevante Themen aufgegriffen. Seit vielen Jahrzehnten hat «3 nach 9» einen exzellenten Ruf und ist daher nicht ohne Grund die Sendung, zu der die wirklich großen Stars kommen – allein in der letzten Show beispielsweise Schauspieler Mario Adorf, Popstar James Blunt oder Rocklegende Peter Maffay.

«Terra X» (ZDF, sonntags, 19.30 Uhr)
Sicherlich kann man darüber diskutieren, dass die Dokumentationen und Reportagen in «Terra X» ihre Themen dem Zuschauer ohne detaillierte Nachforschungen und mit viel Inszenierung näher bringen. Doch ohne Unterhaltung und spannende Aufbereitung würden solche Dokumentationen keinen massenkompatiblen Stellenwert haben. Seien wir also froh, dass «Terra X» die Fernsehlandschaft mit den besten Doku-Sendungen bereichert, die man in Deutschland sehen kann. Wunderbare Bilder, die großartige Mischung aus Experteninterviews und realer Darstellung der Sachverhalte, spannende Themen und viel Information machen die Shows zu einem Juwel am Sonntagvorabend – und damit sind nicht nur allein die «Terra X»-Dokumentationen gemeint, sondern auch die beispielsweise aktuell ausgestrahlte Reihe «Die Deutschen», die zuletzt über 6 Millionen Zuschauer begeisterte.

«Neues aus der Anstalt» (ZDF, monatlich dienstags, 22.15 Uhr)
Klassisches Kabarett im deutschen Fernsehen lebt wieder – dank der ZDF-Show «Neues aus der Anstalt», die seit Anfang 2007 die TV-Landschaft bereichert und das pure Gegenstück zum angestaubten «Scheibenwischer» ist. Dies liegt nicht allein an der politisch inkorrekten Art der beiden Hauptprotagonisten Urban Priol und Georg Stamm, sondern auch an den zahlreichen Gästen, die kein Blatt vor den Mund nehmen müssen: Ob Ingo Appelt, Django Asül, Piet Klocke oder Helge Schneider – hier wird klassisches Kabarett gelebt, wie es gelebt werden muss. Neben den aktuellen Beiträgen ziehen sich einige Geschichten und Running Gags wie ein roter Faden durch alle Sendungen, sodass es sich immer lohnt, einzuschalten.
29.10.2008 09:33 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/30658