«Schlüter sieht's»: GIGA - Das Ende einer Idee

Ein persönlicher Rückblick auf die Fernsehidee GIGA, die eine ganze junge Generation prägte.

Erinnerungen sind blöd. Denkt man zumindest immer dann, wenn man weiß, dass Manches nur noch in der Erinnerung stattfinden kann und nicht mehr in der Realität. Oft verbindet man mit dem Fernsehen und seinen zahlreichen Sendungen viele solcher Erinnerungen: Das erste Mal, als man bis nach zehn abends aufbleiben durfte, „damit du die Show noch zu Ende schauen kannst“. Das erste Mal, als man auch herzlich lachen konnte über die vielen komischen Gestalten in diesem eckigen Kasten. Oder das erste Mal, als man sofort erkannte, wie innovatives Fernsehen aussehen kann…

Als ich am Freitag von der Einstellung des Senders GIGA hörte, hat es mich zunächst nicht sonderlich interessiert. Zwar war ich viele Jahre lang ein großer Fan der lockeren Shows gewesen, aber mangels Digitalfernsehen konnte ich die letzten Jahre des Programms hin zum Gaming-Sender nur noch unregelmäßig verfolgen. Man schaut TV eben in der Flimmerkiste und nicht im Internetstream, der mir ja noch zur Verfügung gestanden hätte. Dennoch hat es mir immer wieder Spaß gemacht, die jungen Gesichter zu sehen, wenn ich zwischendurch doch mal eingeschaltet habe. Und noch im letzten Jahr habe ich den Kollegen bei GIGA in Köln kurz einen Besuch abgestattet, wo ich mit herzlichen Armen empfangen wurde. Nun ist GIGA Geschichte, denn der Eigentümer Premiere hat in der Wirtschaftskrise keine Geldreserven mehr, um ein unprofitables Free-TV-Programm weiterhin zu unterstützen, bis es in ein paar Jahren schwarze Zahlen geschrieben hätte. Und anstatt hier einen sachlichen Kommentar zu den Hintergründen zur Einstellung zu verfassen, möchte ich mein persönliches Fazit zu zehn Jahren Fernsehrevolution ziehen und erklären, was diesen Sender und seine „Netzreporter“ so besonders machte - vielleicht stellvertretend für viele, viele GIGA-Fans.

Erst am Wochenende realisierte ich, wie viel mir GIGA und seine innovative Fernsehidee bedeutet hat, als ich durch die zahlreichen YouTube-Videos mit altem GIGA-Programm klickte. Angefangen hat alles 1999, als ich, Jahre vor meinen ersten Interneterfahrungen, einen Sender auf den hinteren Plätzen meiner Fernbedienung entdeckte, in dem lockere Moderatoren aus einer Backsteinhalle die große weite Welt des Internets mit 56k-Modems vorstellten und die Zuschauer durch eben jenes für mich völlig neue Internet einbrachten, indem sie beispielsweise deren Meinungen vorlasen – was für eine geniale Idee! Das tolle On-Air-Design, die eingehenden Einspieler, auch „Bumper“ genannt, und die dazugehörigen Sounds haben mich beeindruckt – sofort hatte ich in meinem damaligen Alter erkannt, dass dies nicht irgendeine Fernsehsendung war. Was mich dann dazu bewegt hat, von da an regelmäßig einzuschalten, war zum einen die Interaktivität mit den Zuschauern, durch die das komplette Programm gestaltet wurde, und zum anderen die Moderatoren, in der GIGA-Fachsprache „Netzreporter“ genannt: Ob die immer heitere und verrückte Uta Fußangel, die unterhaltsamen „Zocker“ Jochen und George oder auch der coole Gregor, der mich für den US-Sport begeistern konnte – die GIGA-Leute sind zu einer Art zweiter Familie geworden, auch wenn hinter den Kulissen, wie überall in der Medienbranche, nicht alles Gold war, was vor der Kamera geglänzt hat. GIGA war eine Art täglicher Kindergeburtstag. Auch wenn man es oft nicht aktiv geschaut hat, sondern meist neben den Hausaufgaben, dem Lesen oder anderen Beschäftigungen: Die Netzreporter waren immer da, von montags bis freitags, ob mittags oder abends, täglich live und weltweit einzigartig.

Als dann im Jahr 2000 abendlich GIGA Games startete und ich zu der Zeit auch Interesse an Computerspielen hatte, war der Sender von da an fast das einzige Fernsehprogramm, was bei mir auf den Bildschirm kam. Die Games-Sendung, die später erst nach 22.00 Uhr lief, wurde täglich auf VHS aufgenommen und direkt nach der Schule, in der GIGA nicht selten Gesprächsthema war, angeschaut. Was ich damit sagen will: GIGA war für viele Menschen meiner Generation, den heutigen Zwanzigern, nicht nur einfach ein Fernsehsender. Dieses grüne G-Symbol war eine Lebenseinstellung, die Netzreporter waren die Stellvertreter unserer von GIGA so genannten „Generation @“, die uns viele Jahre unterhielten und beeinflussten. Noch heute weiß ich nicht, ob ich mich überhaupt jemals großartig für das Internet interessiert hätte, wenn es GIGA nicht gegeben hätte. Der Sender und sein Programm waren revolutionär – ohne ein festes Konzept, mit viel Chaos und der puren Einstellung zur Improvisation und Freude am Job machten ein paar Dutzend Leute aus Düsseldorf, später aus Berlin und Köln, teilweise neun Stunden am Stück tägliches Live-Fernsehen von 15 bis 0 Uhr.

Die spätere Umfunktionierung des digitalen GIGA auf einen Games-Sender hat dann meiner Meinung nach das Zielgruppenspektrum zu sehr eingeschränkt, als dass es noch langfristig profitabel hätte sein können. Aber auch das neue GIGA hat zahlreiche Fans gefunden, was man nicht zuletzt an den immensen Reaktionen der Community sieht, die sich jetzt gegen die Einstellung des Senders aufbäumt und versucht, die ARD zum Kauf von GIGA zu überzeugen – glaubt jemand, solche Rettungsaktionen würden bei der Einstellung irgendeines anderen Senders auf die Beine gestellt? Dieses neue GIGA hat die jüngere Generation also anscheinend ähnlich geprägt und begeistert wie die meinige. Von daher macht es mich weniger traurig um die letzte Programmausrichtung, sondern mehr um die revolutionäre Fernsehidee, die am 13. Februar 2009 gestorben ist. Und um das grandiose Mitarbeiter-Team, dem man es sowohl vor der Kamera als auch im Web angemerkt hat, dass jeder einzelne dieser großen GIGA-Familie seinen Job mit Freude und Herzblut ausgeübt hat.

Der Slogan des Senders war viele Jahre lang „The Future is You“. Die Zukunft für GIGA ist nun aus, der Traum des interaktiven Fernsehens vorbei – immerhin durften wir über zehn Jahre träumen. Es geht zurück zum Einbahnstraßenfernsehen, zurück zum TV-Gerät als Berieselungsmaschine. In den Zeiten, in denen Projekte wie GIGA oder kürzlich auch das ebenfalls starken Wert auf die Community legende „zoomer.de“ eingestellt werden, könnte man meinen, dass bei der jungen Generation Interaktivität nicht mehr allzu gefragt ist. Ich glaube das nicht. Ich denke eher, dass die ältere Generation es nicht verstanden hat, wie viel Werbepotenzial in solch starken Namen und Projekten steckt, auch wenn sie nicht immer die größte Zielgruppe haben. Im Falle von GIGA kamen allerdings mehrere Faktoren wie die Wirtschaftskrise zur Einstellung zusammen. Und auch wenn die Fernsehidee verschwindet – eine Hoffnung, dass die Website mit ihrer über 1,5 Millionen Mitglieder starken Community bestehen bleibt, gibt es gewiss. Denn irgendwie darf die Idee GIGA doch nicht so ganz sterben. Danke, GIGA, für zehn Jahre progressives Fernsehen. Wir werden dich vermissen!

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt ein paar neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Freitag nur auf Quotenmeter.de.

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20.02.2009 00:00 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/33248