Makabere Werbung für die neue Hitserie «Fringe» brachte ProSieben Kritik ein – zurecht?
In den vergangenen Tagen warb ProSieben mit ungewöhnlichen Methoden für die neue Mysteryserie «Fringe», die am Montag startete: In den Trailern, die als Eilmeldungen der ProSieben Nachrichten getarnt waren, berichtete Newsanchor Michael Marx in einem der Spots von ungewöhnlichen Vorkommnissen wie einem gerade geborenen Baby, das mysteriös innerhalb von Minuten altert und schließlich schnell als alter Mann eines natürlichen Todes stirbt – kurz nach seiner Geburt. Die Art und Weise, wie ProSieben mit einer inszenierten Eilmelde-Nachricht für «Fringe» warb, brachte dem Sender zuletzt harsche Kritik ein. Die Werbung soll wohl nun auch noch vom Jugendschutz geprüft werden – ist die Aufregung um die Sensations-PR gerechtfertigt?
Eines ist sicher: In den Zeiten des Amoklaufs von Winnenden hätte es sicher eine geschmackvollere und weniger angreifbare Lösung zur Werbung gegeben – mehr Fingerspitzengefühl bei der Auswahl des Inhalts oder eine verschobene Ausstrahlung vom „Breaking News Spot“ hätte der Angelegenheit und seinen Kritikern sicher den Wind aus den Segeln genommen. Klar ist aber auch, dass ProSieben keinerlei Absicht hatte, diesen Trailer in Verbindung mit den realen Vorfällen der letzten Woche bringen zu wollen oder dies gar zu lancieren – hier ist die Frage angebracht, ob es nicht eher der so alltäglich gewordene Sensationsjournalismus ist, der aus diesem Thema absichtlich einen Skandal machte und schnell dem Trailer eine Konnotation gab, welche sehr gewagt ist. Letztendlich geht es hier nur um Werbung. Und zu bedenken ist: Auch Internetseiten müssen wirtschaften, und da kommen solche Geschichten gerade recht, um Klicks und User zu gewinnen. Auch dies hört sich geschmacklos an, ist aber die bittere Realität.
Großer Gewinner der umstrittenen PR-Aktion ist jedenfalls ProSieben – indirekt dazu beigetragen hat jede Internetseite, jedes Medium, das über den aufgekochten Pseudo-Skandal berichtet hat. Auch RTL hat sich übrigens kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einer ähnlichen Werbemethode bedient. Damals zwar nicht für eine TV-Serie, sondern für ein harmloses Mobilportal, aber ähnlich produziert. Dort hat niemand den Finger gehoben. Knapp 20 Prozent Marktanteil erzielte die erste Folge von «Fringe» am Montagabend – ob diese großartigen Werte nun zu bestimmten oder großen Teilen auf die Werbeaktion zurückzuführen sind, ist schwer zu sagen.
Sollte sich jemand von der durchaus geschmacklosen, aber effektiven Werbung für die Serie abgeschreckt gefühlt haben, «Fringe» einzuschalten, dann sollte dieser seine Meinung revidieren – denn wegen eines Trailers verschmäht zu werden, hat die Show nicht verdient. Sie ist eines der besten und interessantesten Projekte der jüngeren TV-Geschichte aus den letzten Jahren und baut ein verwobenes Mysterium um allmächtige Konzerne, abstruse Vorfälle und technologisch-wissenschaftliche Unglaublichkeiten auf, das Stoff für viele weitere Staffeln beinhaltet.
Während Pilot und die ersten Folgen eher gemächlich daherkommen, nimmt die Serie ab der achten, neunten Folge an Fahrt auf und entfaltet ihr volles Potenzial. Die Fälle um die sympathische FBI-Agentin Olivia Dunham, den verrückten Wissenschaftler Dr. Walter Bishop und seinen Sohn Peter sind nicht das neue «Akte X» – sie sind kein indirekter Nachfolger von irgendeiner Serie, sondern ein neuer Ansatz, hochspannende Geschichten zu erzählen. Noch vor zehn Jahren hätte es diese Serie aufgrund des Inhalts nicht geben können. Heute erscheinen die Storys zumindest glaubhaft. Glücklicherweise finden auch die Amerikaner ihren Gefallen an «Fringe» – sollten die restlichen Folgen der ersten Season im April nicht völlig ihr Publikum verlieren, steht einer Fortsetzung nichts im Wege. Und das ist gut so, denn «Fringe» ist (bisher) das Meisterwerk des Serienschöpfers J.J. Abrams. Daran ändert letztendlich auch ein sogenannter PR-Skandal nichts.
Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt ein paar neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Freitag nur auf Quotenmeter.de.
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