Alltagsgeschichten sind vor allem bei Deutschlands Privatsendern gefragt – vor allem ProSieben und RTL füllen damit täglich mehrere Stunden ihrer Programme. Doch zwangsläufig echt müssen die Storys offenbar nicht sein.
Die Folgen tragen Titel wie „Schwangeres Mädchen hat Stress mit ihrem Ex-Freund“, „Besessener Rentner demonstriert wegen Baupfusch“ oder auch „Weiblicher Semino Rossi-Fan nervt ihren Mann“. Alltag im Nachmittagsprogramm von RTL – oder wie es der Kölner Sender nennt: «Mitten im Leben!».
Seit knapp einem Jahr strahlt der Kölner Sender die sogenannte Real-Life-Doku aus, meist noch immer mit schwachen Einschaltquoten. Formate dieser Art sind bei den Sendern dennoch heiß begeistert: Nachdem ProSieben mit «We are Family!» tolle Quoten einfuhr, kam die Konkurrenz allmählich auf den Geschmack. Und so füllt inzwischen nicht nur ProSieben mehrere Stunden täglich sein Programm mit echten Geschichten, sondern eben auch RTL – und neuerdings vormittags selbst Sat.1.
Vergleichsweise preiswert sind «Mitten im Leben!» & Co. in der Produktion und weil bei RTL nach zahlreichen Quoten-Flops derzeit ohnehin keine Alternative in der Tasche hat, geht es munter weiter. Inzwischen gibt es «Mitten im Leben!» nachmittags sogar im Doppelpack und auch am Vormittag wird noch ein Stündchen damit gefüllt. Doch was auf den ersten Blick nach echten Geschichten aussieht, muss nicht zwangsläufig echt sein.
Was bei Gerichts- und Ermittlershows, wie sie vor allem Sat.1 noch immer ausstrahlt, schon lange Alltag ist, kommt nun offenbar auch bei diesen Real-Life-Dokus zum Tragen: Gestellte Folgen mit Laien-Schauspielern. ProSieben möchte darauf auch in Zukunft verzichten, heißt es von Seiten des Senders. „Im wahren Leben steckt die größte Kraft“, sagte Heiko Knauthe gegenüber Quotenmeter.de.
Anders bei RTL: Als bei «Mitten im Leben!» kürzlich ein „Familienvater unter Verdacht“ stand, wie die Beschreibung es verriet, kamen Schauspieler zum Einsatz – „nach einer wahren Geschichte“ war im Abspann zu lesen. Zu hören gab es zuvor alles andere als tiefgängige Dialoge: „René ist im Gefängnis, weil du ihn angezeigt hast“, sagt eine Frau, die eine andere in deren Wohnung aufsuchte. Diese kontert: „Und genau da gehört das Schwein auch hin.“
Sexueller Missbrauch, ein schwangeres Mädchen, Rechtsanwalts-Beratungen, Verdunklungsgefahr, Fehlgeburt – alles das gibt’s zu sehen. Und am Ende folgt auch noch eine Gerichtsverhandlung. Spätestens hier dürfte dann auch klar werden, dass die Folgen „gescriptet“ sind, wie es heißt. RTL setzt darin nun offensichtlich große Hoffnungen: „Bei «Mitten im Leben!» zeigen wir weiterhin außergewöhnliche Geschichten des Alltags“, sagt Sendersprecherin Finja Petersen gegenüber dem Online-Fernsehmagazin Quotenmeter.de Zugleich teste man jedoch ganz unterschiedliche Geschichten – „inhaltlich und von der Machart her. So unter anderem auch einzelne, gescriptete Dokusoaps, die wir mit Filmpool zusammen entwickelt haben.“
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie erfolgreich die gestellten Folgen sind und ob darin möglicherweise ein neuer Trend liegt.
Alltagsgeschichten sind vor allem bei Deutschlands Privatsendern gefragt – vor allem ProSieben und RTL füllen damit täglich mehrere Stunden ihrer Programme. Doch zwangsläufig echt müssen die Storys offenbar nicht sein.
Filmpool ist Spezialist auf diesem Gebiet und zeigt sich unter anderem für die Sat.1-Show «Richterin Barbara Salesch» verantwortlich (
‚Die Realität ist viel schlimmer’: Wie Barbara Salesch zu ihren Fällen kommt). Laut Petersen habe man sich in bislang sechs Folgen von «Mitten im Leben!» zu solchen geschriebenen Folgen entschieden, um die Personen zu schüten. „Sonst könnten diese Fälle nicht erzählt werden“, so die RTL-Sprecherin. „Das heißt, es werden dann gescriptete Folgen umgesetzt, wenn diese auf Fällen basieren, die aufgrund der besonderen Thematik real schwierig umsetzbar sind und deren fiktionale Umsetzung die betroffenen Personen schützt.“
Und dann wären da natürlich auch noch die Quoten: Als RTL vor einigen Wochen die fünfteilige Reihe „Familien vor dem Aus“ zeigte, stiegen die Zuschauerzahlen plötzlich in ungeahnte Höhen. „Diese neue Form der Herangehensweise wird vom Zuschauer honoriert“, sagt Petersen. Im Klartext heißt das: Bis zu 20,7 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe – selbst Quoten-Platzhirsch «Richter Alexander Hold» konnte geschlagen werden. Ein Erfolg, den auch die Konkurrenz anerkennen muss: „Man muss den Kollegen zu aller erst bei diesem einwöchigen Testlauf ein Kompliment machen“, so Ulrich Brock, Geschäftsführer der Produktionsfirma Constantin Entertainment, die für die Hold-Show verantwortlich ist.
„Ihre konsequente Fiktionalisierung von angeblich realen Geschichten, dargestellt von Laiendarstellern und ausgestrahlt unter dem Deckmantel einer täglichen Dokumentation, hat viele Zuschauer gefunden.“ Ob hierdurch die Glaubwürdigkeit ‚echter’ täglicher Dokumentationen leide und ob die Zuschauer bei einer längerfristigen Ausstrahlung mit dem Wissen um diese inszenierten Geschichten diesem Konzept folgen, müsse die Zukunft jedoch erst noch zeigen. Sorgen um seine Gerichtsshow macht sich Brock allerdings nicht, schließlich läuft auch weiterhin richtig gut – erst kürzlich kratzte Richter Hold sogar an der Marke von 30 Prozent Marktanteil.
Ganz so weit nach oben hat es «Mitten im Leben!» noch nicht geschafft, denn nach wie vor liegt die Dokusoap meist klar unter dem Senderschnitt. Mögliche Konsequenz: Gestellte Dokus als Retter für Zukunft? „Die Sendung «Mitten im Leben!» wird als Real-Dokusoap beibehalten werden“, sagt RTL-Sprecherin Finja Petersen gegenüber Quotenmeter.de, kündigt zugleich aber weitere Schauspieler-Folgen an. „Wir testen derzeit im Rahmen der Sendung erstmal diese neue gescriptete Form der Dokusoap und sehen dann weiter.“ Mit den Gerichtsshows, die als reine Studioproduktionen angelegt seien, ließe sich das Format jedoch nicht vergleichen.
Wahrscheinlich hat sie Recht: Das Genre dürfte sich damit in eine komplett neue Richtung bewegen. Ob das unbedingt zu begrüßen ist, kann jedoch bezweifelt werden.