Von wegen „Mein RTL“. Das neue Programm des Marktführers will man nicht mal geschenkt haben, meint Redakteur Christian Richter.
Dass in Deutschland kaum noch eigene Fernsehformate erfunden werden, sondern unser Programm fast ausschließlich aus Adaptionen besteht, ist längst eine traurige Wahrheit, mit der man sich beinahe abgefunden hat. Dass aber das Programm von Deutschland erfolgreichstem Privatsender für die gesamte kommende Saison überhaupt keine Innovation beinhaltet, ist niederschmetternd. Schlimmer noch, bei den selbsternannten neuen Formaten von RTL handelt es sich fast ausschließlich um Konzepte, die es in dieser Form schon einmal in Deutschland gab.
Von Allzweckwaffe Oliver Geissen erwartet man schon gar keine neuen Sendeformate mehr. Egal ob «Chartshow», «80er Show» oder «DDR-Show»: Seit Jahren präsentiert der Moderator in Einspielfilmen und „originellen“ Studioaktionen vergangene Ereignisse, die von den immer gleichen Prominenten kommentiert werden. Mit seiner neuen Show «18 – Forever Young» wird mit diesem Erfolgsrezept nicht gebrochen. Neu ist diesmal nur das Muster, nach dem die ewig gleichen Beiträge zusammengestellt werden. Anstatt einer Dekade oder eines übergeordneten Themas, orientiert man sich künftig an den Jahren, in denen die geladenen Prominenten volljährig wurden. Dieses Konzept ist die größte Enttäuschung überhaupt. Nicht nur, dass hier einfach alle Geissen-Abendshows zu einer zusammengefasst werden, sondern dass es das Format schon in ähnlicher Form gab. Im Januar 2005 versammelte damals Barbara Schöneberger in ihrer Sendung «Soundtrack Of My Life» ebenfalls Prominente, die über die Musik sprechen sollten, die sie in ihrer Jugend begleitet hat und natürlich über die Ereignisse, die sie prägten.
Günther Jauch wird passend zum 20. Jubiläum des Mauerfalls das große «Ost-West-Duell» präsentieren und damit die Tradition der überflüssigen Ostalgieshows wiederbeleben. Eine Welle, auf der einst RTL mit besagter «DDR-Show» schon einmal mitschwamm. Es ist zu befürchten, dass hier einmal mehr über die ewig gleichen Erfindungen aus der DDR gescherzt wird. Und schon jetzt kann man wetten, dass Inka Bause als Ost-Vertreterin nicht fehlen darf.
Apropos Inka Bause. Auch mit ihr hat der Sender große Pläne. Neben ihrem bekannten Erfolgsformat «Bauer sucht Frau» wird die stets grinsende Moderatorin in der kommenden Saison auch «Die Farm» moderieren. Inhaltliche Überschneidungen zu ihrer landwirtschaftlichen Kuppelshow sind dabei natürlich nur rein zufällig. In der Sendung werden die Kandidaten auf einem Bauernhof leben, der fernab von jeglicher Zivilisation liegt und auch nicht über moderne Errungenschaften wie Strom und Licht verfügt. Kommt einem das nicht bekannt vor? Richtig, im Dezember 2002 zeigte das Erste mit «Das Schwarzwaldhaus 1902» ein ähnliches Experiment, bei diesem Projekt schieden jedoch keine Kandidaten aus.
Auch im Realitybereich sucht man neue Ideen vergebens: Bei «Endlich wieder Arbeit!» kopiert sich der Sender gleich selbst, der einst mit dem Format «Der Arbeitsbeschaffer» baden ging. Vera Int-Veen darf «Das große Abnehmen» präsentieren und moderiert damit eine Show, die nach «Big Diet», «The Biggest Loser» und «Jedes Kilo zählt! Eine Insel wird schlank» nicht viel neues bieten kann.
Selbst Sternekoch Christian Rach wird mir seiner neuen Sendung «Rachs Resautrant» am traurigen Kopiermarathon von RTL teilnehmen. Auch wenn in seiner neuen Show der Schwerpunkt auf der Ausbildung der neuen, arbeitslosen Köche liegt, geht es am Ende doch um die Eröffnung eines neuen Restaurants, was der Zuschauer bereits bei VOX («Mein Restaurant») und RTL II («Restaurant sucht Chef») miterleben durfte. Zudem bildete Rach schon einmal unerfahren Menschen für die Arbeit in einer Küche aus. In der Realityshow «Hell’s Kitchen» handelte es sich dabei zwar um Promienten und nicht um Arbeitslose, aber bei manchem C-Promi ist diese Grenze ohnehin sehr fließend.
Von wegen „Mein RTL“. Das neue Programm des Marktführers will man nicht mal geschenkt haben, meint Christian Richter.
Mit der neuen Reality «Nachbarschaftsstreit – Kolb greift ein» bedient man sich eines Themas, ohne das kein Boulevardmagazin oder keine Ausgabe von «Akte 09» auskommt. Doch selbst in der Primetime wurde der Krieg zwischen Nachbarn in der Sat.1-Show «Gute Nachbarn, Schlechte Nachbarn» mit Thomy Wosch bereits getestet – auch wenn dort der Comedyfaktor etwas mehr im Vordergrund stand.
Obwohl bisher kein RTL-Format mit der einstigen Comedy-Hoffnung Mirja Boes bisher erfolgreich war, setzt der Sender auch weiterhin auf sie. Mit ihrer neuen Sketch-Comedy, die den vielsagenden Titel «Ich bin Boes» bekommen wird, kehrt das einstige Sat.1-Gesicht dann in ein Format zurückkehren, durch das sie bekannt wurde («Die dreisten Drei»).
Und vergessen wir nicht, dass selbst die große Showüberraschung «Das Supertalent» nur eine andere Version der legendären «Gong-Show» aus den 90er Jahren ist.
Auch zum neuen Nachmittag muss an dieser Stelle ein Wort verloren werden, denn hier schienen die Senderverantwortlichen am wenigsten Engagement gezeigt zu haben. Beim neuen Magazin «Life – Die Lust zu Leben» hat man einfach den kompletten Sendetitel aus den 90ern geklaut. Außerdem erwarten den Zuschauer künftig zwei gescriptete Real-Life-Dokus. Also Dokumentationen, die echt aussehen sollen, aber mit Drehbuch produziert wurden. Letztendlich handelt es sich dabei um Sendungen wie «Lenßen & Partner» nur ohne Mord und ohne Bart. Ob dieses minderwertige Fernsehen die Rettung für den angeschlagenen Nachmittag sein kann, darf bezweifelt werden. Es zeigt nur, dass kein noch so dummes und überflüssiges Format nicht noch dümmer und noch überflüssiger kopiert werden kann.
Was jedoch am meisten am neuen Programm des Marktführers aufstößt, ist die geringe Anzahl an eigenproduzierten Serien für die Primetime. Mit «Alarm für Cobra 11», «Doctor’s Diary», «Der Lehrer» und der neuen Serie «Countdown» setzt man in Köln im gesamten Jahr auf lediglich vier Produktionen. Da allesamt nur recht kurze Staffeln erhalten haben, wird es der erfolgreichste Privatsender(!) nicht mal schaffen, in jeder Woche des Jahres wenigstens eine neue Folge in seinem Programm zu zeigen. Das ist vor allem für die deutsche Fernsehlandschaft verheerend. Unerreichbar fern scheinen die Zeiten endgültig, als RTL fast die gesamte Primetime mit eigener, fiktiver Ware bestückte. Sicher, die anhaltende Finanzkrise und rückläufigen Werbebuchungen lassen eine solche flächendeckende Programmgestaltung nicht mehr zu, doch ein wenig mehr Risiko wäre schon zu wünschen. Auch in eigenem Interesse. Wie soll denn die Branche wieder aus der Krise herauskommen, wenn alle Sender den Schwanz einziehen und hoffen, dass die Bedrohung schon von allein vorbeiziehen wird?
Die stolze Präsentation des neuen RTL-Programms sollte die Verantwortlichen daher eher mit Scham erfüllen. Ein derart einfallsloses und unmotiviertes Portfolio ist einfach nur peinlich. Es zeigt einmal mehr, dass es keine Grenze gibt, so tief sie auch sein mag, unter man sich auf der Suche nach Profit nicht doch noch drunter durchmogeln kann.