Die Kritiker: «Mein Traum von mir»

Inhalt
Fünf Jugendliche, fünf Schicksale, fünf Träume. Das ZDF begleitet fünf Schüler in ihrem letzten Schuljahr und zeigt, was passiert, wenn die Zeit des Lernens bald vorbei geht und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. In Medien und Politik wird viel über Lehrstellen, Ausbildungsplätze und Bildung diskutiert. Aber wie sieht es in den Köpfen der Betroffenen selbst aus, die sonst nicht zu Wort kommen?

Alena aus dem Rheingau, Hauptschülerin und häufige Schulwechslerin, weiß, dass sie mit ihrem Abschluss keine große Perspektive hat. Ihr großer Traum ist es, Schauspielerin zu werden. Hanna und Karl aus Berlin sind ein jugendliches Paar und erleben zusammen den Schritt in das neue Leben. Auch Hanna will Karriere machen – doch sie muss sich pragmatisch zwischen Abi und Ausbildung entscheiden. Martin aus dem ländlichen Bayern, Sohn eines Bauers, ist Gymnasiast und steht vor dem Abitur. Er könnte den Bauernhof seines Vaters übernehmen, hat aber andere Pläne. Schließlich gibt es den türkischstämmigen Can, Realschüler auf der Insel Usedom, dessen Vater sich wünscht, dass er später studiert. Die Dokumentation erzählt insbesondere von den Monaten, in denen sich die Schüler neben der Vorbereitung auf ihren Abschluss entscheiden müssen, was sie später werden wollen.

Neben den fünf Jugendlichen selbst kommen auch Eltern, Lehrer und Freunde zu Wort. Sie betrachten deren Lebensweg aus einer etwas distanzierteren, analysierenden Perspektive. Die Sendung zeigt Schulsituationen und private Szenen, Gespräche und Streits, die ersten Schritte ins Berufsleben – einfach fünf Jugendliche in einem ihrer wichtigsten Lebensabschnitte innerhalb einer Gesellschaft, in der ohnehin eine gesicherte Berufsperspektive nur noch Utopie ist.

Kritik
Diese Langzeitdokumentation scheint zunächst eine weitere mit dem Thema „Jugendliche suchen Perspektive“ zu sein, das schon erschöpfend genug in zahllosen Dokus und Reportagen behandelt wurde. Doch nicht ohne Grund sendet das ZDF diese Sendung zur Primetime und versteckt sie nicht im Spätabendprogramm von 3sat: Ohne besonders viel an der Erzählweise und an der Aufmachung einer typisch öffentlich-rechtlichen Dokumentation zu verändern, so bringt diese doch einen frischen und innovativen Stil ein.

Das geschieht besonders auf Seiten der Technik und des Schnitts. Neben den bekannt distanzierten, normalen Kameraaufnahmen gibt es immer wieder Sequenzen aus einer Art „Personal Camera“, die auch durch ein amateurhaftes, wackeliges Filmen von Freunden der porträtierten Jugendlichen und minderqualitative Bildern wie bei Supermarkt-Kameras hervorgehoben werden. Diese Szenen zeigen die Jugendlichen von ihrer emotionalen, persönlichsten Seite. Teils filmen sich die Schüler auch selbst direkt vor ihrer eigenen Kamera und geben einen intimen Einblick in ihr Leben und ihre Gefühlswelten.

Weiterhin prägt die Dokumentation ein so innovativer wie simpler Interviewstil: Die Protagonisten werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu bestimmten Themen wie „Lernen“, „Zukunft“ und „Liebe“ befragt – wie divergent ihre Meinungen generell und auch an unterschiedlichen Zeitpunkten ausfallen, wird besonders deutlich, weil die Interviews direkt hintereinander geschnitten sind. So erfährt der Zuschauer zuerst, was die Hauptschülerin Alena vom Lernen denkt, direkt danach erfährt er Martins Position als Gymnasiast.

Die stillen Szenen, beispielsweise wenn die Schüler beim Lernen gefilmt werden, haben eine ruhige Musikuntermalung, die sich gut in die Atmosphäre der generell langsam und mäßig erzählenden Dokumentation einfügt. Natürlich gibt es auch sehr melodramatisch inszenierte Momente, die mit trauriger Musik unterlegt werden, beispielsweise wenn sich Alena von den Kameraden in ihrer alten Schule verabschieden muss. Dies wirkt aufgesetzt und eher unpassend – solche Szenen sollten in guten Dokumentationen für sich stehen und nicht durch Melodien dramatisiert werden, weil sie auch die Wahrnehmung beim Zuschauer beeinflussen.

Letztlich hält diese Sendung doch nicht ganz, was sie zunächst verspricht: Am Ende ist sie trotz der besonders technischen und stilistischen Neuerungen doch nur eine Art Reality über fünf Jugendliche, ihre Probleme und ihre Erlebnisse. Gut ist allerdings, dass die Schüler auch durch persönliche Szenen, beispielsweise den ersten Konzertbesuch oder die Klassenfahrt, dem Publikum sympathisch werden. Sicherlich können sich Zuschauer im selben Alter wie die Jugendlichen auch mit ihnen und ihren Ansichten identifizieren.

Leider erfährt man aber schließlich nicht viel Neues oder besonders interessantes. Die Dokumentation zeichnet hauptsächlich ein Bild von Menschen, die eher schlechte Zukunftsperspektiven sehen und teils eine gewisse Lustlosigkeit für ihre Berufskarriere ausstrahlen. Aber war das in früheren Generationen wirklich anders? Außerdem ist die Haltung der Jugendlichen verständlich: Wie sollen sie ruhig und motiviert in eine Zukunft blicken, die für sie eine Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, immensen Konkurrenzdruck, mehrere Jobwechsel und immer höhere Anforderungen an sie selbst bereithält? Insofern zeichnet die Sendung ein wichtiges, kontemporäres Bild der aktuellen Lage von jungen Menschen, die nicht ohne Grund unter dem Titel der „Generation Praktikum“ subsumiert werden. Dass das ZDF eine solche Sendung zur Hauptsendezeit ausstrahlt, kann man daher nur honorieren. Leider ragt sie letztlich inhaltlich nicht aus der breiten Masse anderer Jugend-Dokus heraus – der einzig negative Kritikpunkt, der umso schwerer wiegt, weil man als Zuschauer meint, dies alles schon einmal gesehen zu haben.

Das ZDF zeigt die zweiteilige Dokumentation «Mein Traum von mir – Das Ende der Schulzeit» am Dienstag, den 06. und 13. Oktober 2009 um 20.15 Uhr. Die XXL-Version mit fünf Folgen wird ab dem 03. November dienstags um 19 Uhr auf ZDFneo ausgestrahlt.
05.10.2009 08:55 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/37638