Popcorn und Rollenwechsel: Das Programmkino

Unser Filmkolumnist Sidney Schering muss gelegentlich ein Programmkino besuchen. Heute berichtet er, ob diese abseits des Mainstreams angesiedelten Kinos dem Klischee entsprechen.

Das gute und nervige im Kino, das auffällige und das, was im Verborgenen bleibt. Ob das Geschehen vor der Leinwand, auf der Leinwand oder hinter den Kulissen: Unser Filmkolumnist richtet sein waches Auge auf die Filmkultur und lässt uns wissen, was er von den Ereignissen rund ums Kino hält.


Das Programmkino.
Es liegt irgendwo versteckt hinter dem Bahnhof oder unscheinbar zwischen einer Szenekneipe und einer schlecht laufenden Videothek. Bloß ein paar zerknitterte Poster hinter Glas suggerieren, dass es sich hierbei um ein Lichtspielhaus handeln könnte.

Das Programmkino.
Hinter der Kasse sitzt ein Langzeitstudent mit verschlafenem Blick. Er hat einen eigenwilligen Bart, zottelige Haare und in seinen Händen klemmt irgendein obskures Buch. "Die Kraft der Suggestion und ihr Einfluss auf die erotische Literatur der landwirtschaftlichen Betriebe Nordchinas", oder sowas.
Obwohl man von sich denkt, man habe Ahnung von der Filmlandschaft, entdeckt man im Foyer zahllose Poster von Filmen, die einem absolut gar nichts sagen. Ein norwegischer Krimi, eine türkische Liebeskomödie, ein ukrainisches Rassendrama, eine französische Tragikomödie über unrasierte Frauen, und ein portugiesischer Softporno namens "Die Galeere", der aufgrund seiner "bedeutungsschwangeren Dialoge" und der "schockierend realen Sinnästhetik" von der FSK mit einer Jugendfreigabe ab 12 Jahren durchgewunken wurde. Und dann läuft halt noch diese eine Tragikomödie aus den USA, die auf zahlreichen Festivals bejubelt wurde und vom Bruder der dritten Ehefrau eines bekannten Schauspielers gedreht wurde. Mit dem Gewinn dieses Films könnte James Cameron gerade Mal das Gehalt eines Kabelträgers bezahlen. Dennoch spielte er zehn Mal so viel ein wie alle anderen hier gezeigten Filme zusammengerechnet.

Das Programmkino.
Während man verzweifelt die Snack-Theke sucht, beschwert sich eine ungewaschene Frau im grauen Mäusepullover beim Kassierer. Die Filmauswahl diese Woche sei grauenhaft. Wie könne man es wagen, den neusten slowakischen Dokumentarfilm über südkoreanische Straßenkehrer nicht ins Programm aufzunehmen? Und dass "Die Galeere" bloß in der synchronisierten Fassung läuft, ja das sei ein Sakrileg, das Buddha niemals erdulden würde!

Das Programmkino.
Endlich entdeckt man in einer dunklen Ecke die unbeleuchtete, unbesetzte Snack-Theke. Nach circa zehn Minuten schlurft endlich ein erschöpfter Kinoangestellter herbei und fragt, was man denn bitteschön wolle. Wenn man dann ein großes Popcorn erbittet, wird man so angestarrt, als hätte man in Düsseldorf ein Fass Kölsch bestellt. Das Kopfschütteln des Verkäufers verrät einem, dass er diese kulturignorante, kommerzielle Massenware aus ganzem Herzen verurteilt. Angeboten wird Popcorn dennoch. Heute aber nur salzig, "weil der Jupiter im Haus des Wassermanns steht", und dann gehöre sich das so. Cola und Limo gibt es nur in einer Einheitsgröße (0,2-Liter-Flaschen), dafür habe man eine umfangreiche Weinkarte. Und "für 'n paar Euro extra hätten wir dann noch ganz besondere holländische Zigaretten, verstehste? Total Bio, du, selbst angebaut..."

Das Programmkino.
Der in Anlehnung an frühere, prunkvolle Kinos eingerichtete Saal hat schonmal bessere Tage gesehen. Das Polster einiger Sitze ist zerfetzt, die Vorhänge vor der Leinwand zerfilzt, der knallbunte Teppichboden klebt wie Leim.
Vor dem Film laufen Trailer für Produktionen, die noch obskurer sind, als alles was im Foyer aushängt. Eine brasilianische Kriminaltragödie über einen pädophilen Schafhirten, ein italienisches Musical über die Lebensgeschichte eines afrikanischen IT-Technikers und ein in Schwarz-Weiß gedrehtes, französisch untertiteltes Kammerspiel über russische Gewichtheberinnen, die in Hawaii einen Abendkurs über das Stricken von Wollpullovern geben. Es folgt eine Langnese-Eiswerbung. Aus den 80er Jahren.
Statt des in vielen Multiplexen obligatorischen Eismannes trennt der Filmvorführer die Trailer vom Hauptprogramm des Abends. Die Technik spielt nämlich verrückt. Die Vorhänge gingen nach der Werbung zwar automatisch zu, jedoch nicht wieder auf.

Das Programmkino.
Nachdem die Vorhänge wieder aufgezogen wurden, rattert endlich der lang ersehnte Independent-Film über die Leinwand... Und hinter einem erklärt die heiße Kunststudentin ihrem begriffsstutzigen Freund sämtliche Handlungsebenen des Kunstwerkes. Vor einem analysiert ein hagerer Kerl im schwarz-gelben Streifenpullunder die Kameraeinstellungen sowie die Schnittechnik. Und kaum hat man seine Umgebung ausgeblendet um sich auf den Film zu konzentrieren, da erscheint ein zwergwüchsiger Cowboy mit Elfenohren und indischem Akzent auf der Leinwand. Abspann ...

Das Programmkino.
Es hat nichts mit den Vorurteilen gemein, die darüber herrschen. Und selbst wenn die Klischees wahr wären... Wenigstens gibt es im Programmkino keinen Eismann...
16.11.2009 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/38466