«1 Stunde Wahnsinn»: Extremzapping

Jan Schlüter sah am Samstagmittag eine Stunde Fernsehen. Er fand kaum ein gutes Programm, sein Fazit ist erschreckend.

Samstag, 13.00 Uhr. Zeit für gutes Fernsehen? Ich schalte ein und sehe chinesische Kohlegruben in den ZDF-Nachrichten. Die nächste Nachricht: Der CERN-Teilchenbeschleuniger ist wieder in Betrieb. War dies nicht das Ding, von dessen Eischaltung laut einiger Professoren der Weltuntergang ausgehen sollte? Bevor ich überlegen kann, ist die Meldung schon vorbei und das Wetter wird vorhergesagt. Sonne und Wolken – herrlich! Es folgt das «Wochenjournal». Laut Moderator die erste Sendung aus dem neuen Nachrichtenstudio, das allerdings immer noch etwas kühl, zu unwirklich und distanziert wirkt. Erstes Thema der Sendung: Der Fußball-Wettskandal und ein Ausschnitt aus einem lettischen Spiel, in dem Manipulation nachgewiesen wurde. Dann irgendwelche Interviews mit FIFA-Beauftragten und Polizeidirektoren. Ich schalte weiter.

Im Ersten wird gerodelt. «Sportschau Live Rodel-Weltcup». Der Kommentator: „Wenn es grün aufleuchtet, sind unsere Jungs schneller als das österreichische Team“. Die Zeitmessung leuchtet grün auf. Doch Rodeln ist weiterhin nicht der Sport, der mich um 13.00 Uhr interessiert. Bei RTL eine «Supertalent»-Wiederholung. Ein kleines Mädchen steht vor der Jury und singt eine Ballade, „A moment like this“. Produziert und hervorragend theatralisch in Szene gesetzt vom Kamerateam: Bohlen in Großaufnahme mit Überblende zum kleinen Kind, strahlende Publikumsgesichter, Detailaufnahme der fast tränenden Augen von Sylvie van der Vaart, heulendes Publikum, standing ovations, Applaus, Lobhudelei der Jury, weitergekommen. Die Welt ist in Ordnung.

ProSieben: Ein Best-Of von «Bully & Rick» springt mir auf dem Bildschirm entgegen. Die Comedians sind als zwei Schildkröten versteckt. „Du, ich hab mir gerade in den Panzer geschissen.“
„Na und?“
„Die Putzfrau kommt erst in zwei Wochen.“ Ende des Sketches. Ende der Sendung. 13.20 Uhr: «Family Guy» startet. Steinigt mich, liebe Fans dieser Show, aber ich kann mit dem hochgelobten Format immer noch nicht viel anfangen. Es ist für mich ein Abklatsch der «Simpsons» mit ähnlichen Gags. Kurz bevor ich umschalten will, begeistert mich allerdings eine Parodie des Musikvideos „Take on me“ von A-Ha. Hervorragend! Vielleicht werde ich doch noch Fan von «Family Guy»?

Auf kabel eins werden in «Mein neues Leben XXL» wieder Auswandererfamilien begleitet. Eigentlich gibt es bei diesen Sendungen immer nur drei Ziele: Neuseeland, Schweden, Kanada. Diesmal ist es Schweden. Ein Mann montiert eine Holzwand und fühlt sich stolz, sein eigener Herr im Haus zu sein. Dann eine Fahrt mit dem Auto zum Baumarkt, weil irgendwas fehlt: Zur Fahrt werden wunderschöne Landschaftsbilder gezeigt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Auswander-Dokus nur deswegen so erfolgreich sind, weil die tollen Bilder der Regionen den Zuschauer interessieren. Der nächste Sender ist 3sat: Ich höre die Worte „Steuersenkungen“ und „Eigenkapitalerhöhung“ und schalte weiter.

Auf arte kocht sich eine Frau in der Wildnis eine Art zähen Schleim, der dann mit Federn vermischt wird. Wo wird so etwas gegessen? Nirgendwo. Die ekelhafte Paste ist nur eine Dichtungsmasse für ein sogenanntes „Luffa-Haus“, das gerade gebaut wird. Im WDR läuft die «Sendung mit der Maus». Schön und wichtig, dass es dieses tolle Fernsehen noch gibt. Ich hoffe, dass heutige Eltern wissen, dass solche Sendungen für ihre Kinder informativer und besser sind als das folgende Programm: Auf dem Kindersender Nick wird die Sendung «Drake & Josh» gezeigt. Unintelligentes Blödel-Fernsehen. Hoffentlich bleiben die Kids bei der «Maus», aber zu befürchten ist genau das Gegenteil. Die dritte Option für die Kinder: Super RTL mit «Transformers Animated». Noch schlimmer. Dann bleibt lieber bei Nick!

Jan Schlüter sah am Samstagmittag eine Stunde Fernsehen. Er fand kaum ein gutes Programm, sein Fazit ist erschreckend.

Es ist mittlerweile 13.35 Uhr. Im NDR wird eine Wiederholung der Zoo-Doku «Elefant, Tiger & Co.» gezeigt. Phoenix strahlt eine Dokumentation namens «Geschichten vom Ja sagen» aus, Ausschnitte vom 8. Parteitag der SED flimmern über den Bildschirm. N24 zeigt eine Reportage über riesige Schiffe und große Maschinen. Auf DMAX erwarten mich wahrscheinlich gleich die Hochseefischer auf stürmender, dunkler See, die Netze voller Riesenkrabben einholen. Ich merke, dass ich so langsam in die hinteren Regionen der Senderliste vordringe, die ich normalerweise nicht nutze.

Und schon erwischt es mich: Walter Freiwald echauffiert sich im Off über den berüchtigten „AbTronic“ und schenkt uns sagenhafte sieben Geschenke, wenn wir genau jetzt anrufen! Wir sparen über 150 Euro. Ein Sonderangebot! Ich muss zugreifen. Denn Walter sagt, dass die Lagerbestände jetzt stark begrenzt sind. Unglaublich! Und ekelhaft. Der nächste Sender: 123tv. Es wird eine Handwaschpaste angeboten. Auf Das Vierte läuft «Globe – das Reisemagazin». Gereist wurde auf kabel eins vorhin genug.

Das DSF zeigt einen Fußball-Bundesliga Rückblick der Saison 2007/08. Endlich wieder ordentliches Fernsehen! Einige wunderschöne Tore sind zu bestaunen. Und ich erkenne wieder, wie schnelllebig der Fußball ist: Armin Veh als Stuttgart-Coach, Tamas Hajnal als Spieler beim KSC (heute BVB), Giovanni Federico beim BVB (heute KSC), Frank Pagelsdorf als Rostocker Trainer in der Bundesliga. Auf Eurosport wird Skilanglauf gezeigt. Wieder Wintersport. Die Sender stimmen sich wohl gefühlt auf die Olympischen Winterspiele 2010 ein. Und sobald mir dieser Gedanke kommt, spricht der Kommentator auch schon das Ereignis an.

VIVA strahlt die «Top 100» der Musikcharts aus. Ich sehe um 13.45 Uhr Platz 2: Ich & Ich. Kenne ich schon aus dem Radio. Und außerdem ist das Video etwas billig. Vielleicht wird es auf MTV besser. Das Gegenteil: „Sende Kuh2 oder Ente2 an die 40400“. Ich dachte, die Zeiten von Jamba-Werbung wären vorbei. Der SWR zeigt das «Nachtcafé», eine Talksendung, die originär freitags am Abend zu sehen ist. Etwas unglücklich, dass eine Show, die den Namen «Nachtcafé» trägt, am Samstagmittag ausgestrahlt wird.

Der KiKa zeigt eine Zeichentrick-Sendung namens «Gaywan» mit einem debil erscheinenden Prinzen. Ich möchte nicht wissen, was es mit diesem komischen Titel auf sich hat und schalte weiter. HSE24 macht in einem Trailer auf die „Schmuck- und Lifestyleexpertin“ Jenny Elvers aufmerksam, die ihre eigene Schmuckkollektion auf dem Sender präsentiert. Endlich wissen wir Normalsterbliche nun, womit die Frau heute ihr Geld verdient. Dann zurück ins aktuelle Programm: «Bärbel Drexel – Natürlich Natur» preist ein Männerpflege-Geschenkset für 30 Euro an. Die letzte offene Frage für heute: Werden auf DMAX wirklich wieder Krabben gefischt? Nein, es läuft eine Autoschrauber-Doku. Obwohl keine Krabben, wurde also dennoch das Klischee bedient.

Es ist fast 14.00 Uhr und die Reise am Samstagmittag durch den Senderdschungel ist beendet. Die Erkenntnis? Gefühlte 80 Prozent des ausgestrahlten Programms bestehen in dieser Stunde aus Wiederholungen. Dazu gesellen sich die zahlreichen Shoppingsender, die für den normalen Zuschauer ebenfalls kein interessantes Programm bieten. Es lohnt sich nicht, am Samstag um 13.00 Uhr den Fernseher einzuschalten. Wenn ich jetzt weiterschauen würde, dann wäre wohl das DSF mit dem Bundesliga-Rückblick meine erste Wahl. Doch Sonne erwartet mich draußen. Das ZDF hatte zumindest heute mit seiner Wettervorhersage recht! Memo: Ich muss «Family Guy» unbedingt eine zweite Chance geben…
25.11.2009 11:15 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/38667