Die Kritiker: «Die Gräfin aus Ostpreußen»

Inhalt
Marion Gräfin Dönhoff gehört zu den bemerkenswertesten deutschen Frauen des 20. Jahrhunderts. Als Mitglied des deutschen Hochadels, aufgewachsen im ostpreußischen Schloss Friedrichstein bei Königsberg, kam die junge Gutsherrin früh in Kontakt zum Widerstand gegen Adolf Hitler. Anfang 1945 floh sie auf dem Rücken ihres Pferdes durch klirrenden Frost 1200 Kilometer weit nach Westen.

Schriftstellerisches Können, eine klare politische Haltung, ein kluger analytischer Verstand, aber auch Zufälle waren im Spiel, bis sie zur führenden deutschen Publizistin, Chefredakteurin und Mitherausgeberin der “ZEIT” sowie Bestsellerautorin wurde. Eine Frau mit großem Einfluss. Der Verlust ihrer Heimat blieb für sie ein bewegendes Thema, aber auch die politische und menschliche Überwindung der Feindschaft zwischen Deutschen und Polen. Marion Dönhoff war preußisch-diszipliniert, weltgewandt, unkonventionell und kein bisschen brav, wie manche Anekdote zeigt. Immer blieb sie unabhängig in ihrem Urteil, großherzig im Umgang mit Menschen und bewies Mut.
Anlässlich ihres 100. Geburtstages rekonstruiert die aufwendig produzierte Dokumentation ihr ungewöhnliches Leben und zeigt dabei überraschende Zusammenhänge zwischen frühen Prägungen und ihrem "zweiten Leben" nach dem Krieg.

Nicht nur Marion Dönhoff selbst kommt dabei zu Wort. Mehr als zwanzig Zeitzeugen erinnern sich und kommentieren das ereignisreiche Leben, darunter prominente Weggefährten wie Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Henry Kissinger, Egon Bahr und Theo Sommer, aber auch der verstorbene Ralf Dahrendorf. Ihre Biografen Klaus Harpprecht und Alice Schwarzer schildern Persönliches von der Gräfin, ebenso wie Verwandte, Kollegen und Mitarbeiter. Der Film führt auch zu den Stätten ihrer Kindheit und macht Schlüsselszenen ihres Lebens erfahrbar. Es ist das Porträt einer Frau, die mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Haltung bis heute Vielen ein Vorbild ist.

Kritik
Marion Gräfin Dönhoff ist wohl die bedeutendste deutschsprachige Publizistin der Nachkriegszeit und hat “Die ZEIT”, die zweifellos bis heute Deutschlands besten Journalismus liefert, nachhaltig geprägt. «Die Gräfin aus Ostpreußen» wird ihrem spannenden Leben und ihren herausragenden Leistungen als Publizistin jedoch ganz und gar nicht gerecht. Hier fehlt es durchgehend an einer ordentlichen Struktur. In wirrer Reihenfolge werden episodenhaft ihre Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, ihre Position als Mitherausgeberin der “ZEIT” sowie Geschichten aus ihrer Kindheit dargestellt, die thematisch miteinander nur lose verknüpft sind. Ein chronologischer Ablauf hätte hier viel retten können.

Leider geraten die interessanten Passagen ihres Lebens in diesem Film von Ingo Helm auch immer wieder zu Gunsten von längeren, langweiligen Abhandlungen über ihr Privatleben, die nichts zur Sache tun, in den Hintergrund. Und so schwankt die Dokumentation immer zwischen triefendem Pathos und einer Beleuchtung von Dönhoffs herausragender Lebensleistung, ohne sich langfristig für eine Seite entscheiden zu können. Die vollkommen unnötigen nachgestellten Szenen, die man bedenkenlos für längere Interviews hätte streichen können, tragen natürlich einen erheblichen Teil zu dieser Bredouille bei. Wer sich wirklich ein Bild über das Leben und die Leistung der Marion Gräfin Dönhoff machen will, ist wohl besser damit beraten, ihre Biographie von Alice Schwarzer zu lesen, als sich Ingo Helms dilettantisches Wirrwarr anzusehen.

Das Erste zeigt «Die Gräfin aus Ostpreußen» am Mittwoch, den 2. Dezember 2009, um 23.30 Uhr.
01.12.2009 11:29 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/38791