«Kirschs Blüten»: Nachmittags-Schocker

Ist das TV-Programm am Nachmittag noch zu retten? ProSieben plant ein neues Reality-Format - Jürgen Kirsch kommentiert.

Das Fernsehen am Nachmittag ist verpönt. Schlagworte wie „Trash-TV“, niveaulose „Fake-Dokus“ oder „Unterschichtenfernsehen“ machen im Zusammenhang mit dem TV-Programm am Nachmittag die Runde. Da passt es geradezu ins Bild, dass ProSieben im Januar wohl wieder verstärkt auf Reality-Fernsehen setzen wird. Eine neue Show für den Sendeplatz um 16 Uhr ist geplant, doch der Inhalt lässt eines erahnen: Die Schiene, die derzeit in den Formaten nachmittags im TV-Programm gefahren wird, wird weiter erhalten bleiben. «50 pro Semester» soll die neue Reality-Show heißen – und egal ob gescriptet oder nicht: Studentinnen werden als Sex-Objekte fokussiert, denn fünf Jungs haben den Wettauftrag in einem Semester 50 davon rumzukriegen. Ein Vorbild für die Jugend, die nachmittags den Fernseher einschaltet – auf gar keinen Fall. Moral wie Niveau werden auf der Strecke bleiben, auch wenn die Protagonisten sicherlich ihren Spaß haben werden. Und auch diejenigen, die sich an solchen Formaten gerne belustigen, werden auf ihre Kosten kommen, der Rest darf einmal mehr die Augen rollen, ob solcher Formate.

Erst vor kurzem hatte ProSieben nicht nur sein Magazin «SAM», sondern auch die neu entworfene „Dokunovela“, eine Mischung aus Doku-Soap, die jedoch im Kurz-Telenovela-Charakter über eine Woche gestreckt wird, namens «Reality Affairs» aus dem Programm genommen. Denn die Quoten waren im Keller, was sich allein schon daran erklären lässt, dass der TV-Zuschauer mit ähnlichen Formaten schon von RTL zu genüge eingedeckt ist. Als dort auch der Nachmittag noch mit der «Oliver Geissen Show» nur noch mau lief, setzte man auf die gescripteten Doku-Soaps «Familien im Brennpunkt» und «Verdachtsfälle» sowie «Mitten im Leben», das schon länger Bestandteil des Programms ist. Doch dass man verstärkt auf solche (wenn auch von Redakteuren vorgeschriebene) Reality-Formate setzt, hat sich mittlerweile bezahlt gemacht. Obwohl nicht nur die Geschichten ähnlich dramaturgisch wie inhaltlich aufgebaut sind und auf dem selben geringen Niveau handeln, teilweise sogar die selben Schauspieler nur an verschiedenen Tagen agieren, stört die Zuschauer offenbar nicht.



Für ProSieben ist es folglich nicht leicht mit den gleichen, oder sagen wir besser ähnlichen Inhalten die Zuschauer abzugewinnen. Das hat der Absturz von «Reality Affairs» bewiesen. Doch warum schauen die Menschen über dieses „Trash-TV“? Und warum ist den Verantwortlichen die Qualität ihres Programms offenbar egal, wenn die Quote stimmt? Zumindest erste Frage lässt sich vielleicht dadurch beantworten, dass dem TV-Zuschauer am Nachmittag die Alternative fehlt. Die Court-Shows auf Sat.1 sind zu «Familien im Brennpunkt» & Co keine wirkliche Option. Einzig kabel eins, der kleine Sender bietet mit US-Sitcom Paroli – mit Erfolg. Und diese Formate kann man sich getrost einmal anschauen, wenn man einmal abschalten möchte oder lachen will. Apropos Lachen: Auch ein möglicher Grund für den Erfolg der Reality-Formate, da sich der Zuschauer einfach daran belustigt, wie es Raab bei «TV total» mit ähnlichen Erfolgsformaten wie «Schwiegertochter gesucht» und «Bauer sucht Frau» macht – oder viele andere Comedians. Schließlich sind die Doku-Soaps in aller Munde, jeder spricht darüber, auch wenn keiner zugeben mag, dass er es schaut. Doch die Zahlen kommen nicht ungefähr. Dass die Sendungen jedoch Einladungen zu Spott und Häme über ihren Sender auf dem Tablett servieren, macht den Verantwortlichen nichts aus. Aber wie das Beispiel ProSieben zeigt, klappt auch „Trash-TV“ nicht immer, wenn es ähnliches schon gibt. Da muss schon was Neues her: Ebenfalls auf seine US-Sitcoms wie «Malcom mittendrin» oder «Scrubs» zu setzen, wäre - meiner Ansicht nach - eine gescheitere Idee zur Lösung des Nachmittagsproblem als mit einem Format wie «50 Semester» beinahe eine Fortsetzung der «Abschlussklasse» auf RTL-Doku-Soap-Niveau zu starten.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf - Dienstags nur bei Quotenmeter.de!
08.12.2009 00:00 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/38906