«Kirschs Blüten»: Casting-Ohnmacht

Gesangstalent reicht in Castingsshows nicht mehr aus. Man muss ein Freak sein, sagt Jürgen Kirsch.

Der Erfolg von Castingsshows wie «Deutschland sucht den Superstar» ist sicherlich auch dadurch begründet, dass sie durch Skandale, Kuriositäten und aufsehenerregende Ereignisse von sich Reden machen. So gewinnen sie selbst dann die Aufmerksamkeit derjenigen, die grundsätzlich abschalten, wenn der Begriff „Casting“ auch nur ansatzweise fällt. Ja, selbst wenn man am Abend der Ausstrahlung aus Protest sein Gegenprogramm anhand von sorgfältig ausgesuchter DVDs startet, in der Absicht absolut nichts von dem Spektakel mitzubekommen, wird man am Tag darauf trotzdem damit konfrontiert. Man brauchte in der vergangenen Woche nur das Radio einschalten, eine beliebige Tageszeitung aufschlagen oder einen Blick ins Internet werfen. Überall wurde der Ohnmacht-Skandal bei «DSDS» in großen Lettern vermeldet. Falls jemand es wirklich geschafft hat, diese Information nicht zu bekommen: Zum ersten Mal hat es ein Kandidat hinbekommen, vor der Jury um Dieter Bohlen in Ohnmacht zu fallen.

Lampenfieber, die knallharte Jury, weiche Knie. Der Name des 25-jährigen Adam Piecha ist in aller Munde. Klar ist sein Ohnmachtsanfall eine Sensation, natürlich stürzen sich die Medien darauf und selbstverständlich ist das ein Gesprächsthema. Doch sind solche Kuriositäten auch Erfolgsbausteine für die RTL-Show, die damit umso mehr ausgeschlachtet werden als ohnehin schon die peinlichen Auftritte von Menschen, die glauben gut singen zu können, sich aber vollkommen zum Horst machen. Piecha kam doch noch in den "Recall", nachdem er vom Produktionsteam versorgt wurde, wieder auf beiden Beinen stand und seinen zweiten Song trällerte, den Bohlen unmittelbar vor seiner Ohnmacht noch gefordert hatte. Unglaublich! Das ist doch mal eine Story, die sich gewaschen hat! Happy End inklusive. Was möchte der Zuschauer mehr? Eben solche Geschichten sorgen für die Quote, die «Deutschland sucht den Superstar» glücklich macht. Denn dass ein Kandidat zusammenbricht, ist nicht das erste Mal. Wir erinnern uns: Zwar fiel der 17-jährige Raymund, der 2008 beim Lied der Band Juli «Die Perfekte Welle» nur schiefe Töne raus brachte, nicht in Ohnmacht, konnte die harte Kritik von Jurychef Dieter Bohlen sowie einen seiner markigen Sprüche nicht vertragen und ging zu Boden. Schnappatmung. Zittern. Auch diese Sendung brauchte man nicht gesehen zu haben, denn dieses Ereignis war auch so in aller Munde.

Schon damals wurde die Frage aufgeworfen: Darf man so etwas zeigen? Heute kann ich sagen: RTL muss so etwas zeigen! Denn so lenkt der Sender die Aufmerksamkeit einer breiten Masse auf sein quotenträchtiges Vorzeigeformat. So bleibt die Sendung ein Gesprächsthema – vor allem bei den Jungen aus der wichtigen Zielgruppe. Schlechte Publicity gibt es in dem Fall nicht. Gar keine würde auch die Quote sinken lassen - ein Worst Case. Aber nicht nur vereinzelte Skandale machen die Schlagzeilen, die den Höhenflug von «DSDS» weiter fortsetzen lassen, sondern eben auch die zahlreichen Diskussionen um die Inszenierung. Da werden gerne auch mal vom Pop-Titan mit der großen Klappe Statements in dieser Zeitung mit den vier großen Buchstaben abgegeben, die vor allem für eines sorgen sollen: Gesprächsstoff.

So ist mittlerweile mehr als deutlich, dass Formate wie «Deutschland sucht den Superstar» von Ereignissen wie solchen Ohnmachtsanfällen leben. Sie sind nur noch eine Freakshow ohne Gleichen und gerade die Pappnasen unter den zahlreichen Bewerbern werden mit ausgefeilten Schnitten und den fiesen Sprüchen der Jury vorgeführt. Das Publikum dankt es mit guter Quote. Der Rest von Fernseh-Deutschland erleidet dadurch weiter die Casting-Ohnmacht - sprich: Hat diesen Formaten absolut nichts entgegen zu setzen. Warum sonst, wenn es nicht mehr um die Lachnummern geht als um echte Talent, ist Kandidat Menderes bereits zum siebten Mal dabei? Wer sechsmal abgewiesen wurde und doch noch zum Casting zugelassen wird, dem sollte klar sein, dass er nur für den Spaßfaktor der Sendung vor die Jury treten darf. Entertainment sei Dank. Was beinahe zur Nebensache verkommt: Einige Kandidaten können auch singen. Doch ein kleiner Ratschlag an die zukünftigen Bewerber: Singen alleine reicht nicht mehr. Eine emotionale Vita sei auch geraten. Oder man macht sich eben zum Hampelmann.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf - Dienstags nur bei Quotenmeter.de!
19.01.2010 00:00 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/39671