Die Kritiker: «Tatort: Vergessene Erinnerung»

Story
Auf dem Heimweg nach Hannover sieht Kommissarin Charlotte Lindholm in der Nacht plötzlich auf einer abgelegenen Landstraße die Silhouette eines kleinen Jungen und den Schatten eines Mannes auftauchen. Sie weicht aus, knallt vor einen Baum und wird im nahe gelegenen Kreiskrankenhaus wieder wach. Ihr fehlen einige Erinnerungen, was in den vergangenen Stunden seit ihrem Zusammenprall am Straßenrand passiert ist. Der Junge, der unbekannte Mann, den sie glaubt angefahren zu haben, sowie eine Einstichstelle an ihrem Arm lassen die LKA-Beamtin an eine Verschwörung denken. Sie bleibt im nahegelegenen Dorf, um die Puzzleteile ihrer Erinnerungsfetzen mit Hilfe der Dorfbewohner, die sie gerettet haben sollen, zusammenzusetzen. Doch auch der dort stationierte Polizist vermutet eher Hirngespinste der übermüdeten Ermittlerin glauben als an eine Verschwörung durch die „Retter in der Not“.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit fährt Charlotte zurück zu ihrem persönlichen „Tatort“, in den kleinen Ort Volsum. Dessen Bewohner erschrecken, als sie LKA-Beamtin Charlotte Lindholm zum ersten Mal sehen: Wie ist kurz darauf erfährt, ist sie zudem offenbar einer Großbäuerin wie aus dem Gesicht geschnitten. Nämlich genau der Frau, die mit ihrer Familie an der gleichen Stelle tödlich verunglückte, an der Charlotte den Unfall hatte. Lindholm fühlt sich in ihrer Vermutung bestätigt, zumal sie von einem Streit um ein großzügiges Erbe erfährt. Die neuen Erkenntnisse geben aber weiter Rätsel auf. Bald darauf werden Menschen mit Gewehrschüssen ermordet. Einer der Toten ist ein europaweit gesuchter Großdealer.

Darsteller
Maria Furtwängler («Tatort») ist Charlotte Lindholm
Ingo Naujoks («Forsthaus Falkenau») ist Martin Felser
Thomas Thieme («Liebe Mauer») ist Horst Randers
Max Hopp («Doktor Martin») ist Holger Mommsen
Ute Willing («Liebe und andere Gefahren») ist Petra Borgmann
Margarita Broich («Eni») ist Helga Mommsen
Idil Üner («Zweiohrküken») ist Tamma von Heuven

Kritik

Der «Tatort: Vergessene Erinnerung» mit Maria Furtwängler, die in ihrer Rolle als hannoveraner LKA-Ermittlerin Lindholm einmal mehr überzeugt, schafft es eine spannende Geschichte zu erzählen, die auch überraschende Wendungen bereit hält. Da der Zuschauer stets den gleichen Wissenstands wie die von Gedächtnisverlust geplagte Hauptfigur Lindholm ist, kann er sich genau in ihre Lage versetzen und erlebt die Zusammensetzung der einzelnen Puzzleteile Schritt für Schritt, so als wäre er beinahe selbst davon betroffen. Natürlich wird Lindholm erneut als die ehrgeizige Beamtin gezeichnet, die hier und da auch mal die starke Frau spielen muss, um in ihrem Fall weiter zu kommen. Furtwängler schafft es den Spagat zwischen Opferrolle und Ermittlerrolle so zu kombinieren, dass es für den Betrachter von außen authentisch wirkt. Das Drehbuch von Dirk Salomon und Thomas Wesskamp hält nicht nur den schrittweise inszenierten Spannungsaufbau bereit, sondern hat auch noch Tiefgang. Denn so möchte es die Geschichte des Films, dass die Umstände dafür sorgen, dass gleich mehrere Interessen zwischen den Dorfbewohner aufeinander prallen. Dank der dramaturgisch gut gewählten Ausgangslage des fehlenden Erinnerungsvermögen der Ermittlerin Lindholm entwickelt sich der Fall im NDR-«Tatort» diesmal erst zu einem als diese beschließt noch länger im dem Dorf Volsum zu verweilen und sich dann mit der Zeit merkwürdige Dinge ereignen. Regisseurin Christiane Balthasar versteht es diese Dramaturgie filmtechnisch nahezu perfekt umzusetzen, so dass der «Tatort» letztlich zu überzeugen weiß. Vor allem dann, wenn die Dorfbewohner sich in Lügen verstricken, Ermittlerin Lindholm neuen Verdacht hegt oder neue Opfer zu beklagen sind.

Dabei ist die komplexe Geschichte im «Tatort» aus Niedersachsen auch leicht verwirrend erzählt, was in diesem Fall positiv gewertet werden darf, da man als Zuschauer genauso wenig durchblickt wie die Kommissarin Lindholm im Film. Die Desorientierung reizt also, gerade weil die Handlung mit skurrilen Charakteren im Dorf Volsum aufwartet. Der Krimi ist insofern gut inszeniert, dass er auch einige Mystery-Elemente mit aufnimmt. Denn der kuriose Unfallort, die Erinnerungsfetzen und die merkwürdigen Vorgänge im Dorf könnte auch einem Horror-Streifen entsprungen sein. Zumal die Tragweite durch die Leiche eines europaweit gesuchten Dealers in jedem Fall einen Thriller-Charakter bekommt, der dadurch erst dem Krimi seine ganz persönliche Note verleiht. Zwischendurch heitern witzige Momente und lockerere Dialoge den Spielfilm auf, ehe es dann wieder knallhart zur Sache geht und die Spurensuche immer wieder neue Fragen aufwirft. Alptraum-Visionen, Verwirrung und Verfremdung sind die Stichworte, die den «Tatort» aus Niedersachsen ausmachen.

Wesentlichen Anteil haben auch die Darsteller. Denn die verhelfen dem gut angelegten Grundgerüst aus Drehbuch und filmisch hervorragender Umsetzung erst zu einem rundum gelungenen Krimi, bei dem es zum einen stets spannend bleibt, zum anderen aber auch zum Nachdenken angeregt wird. Im Zentrum steht selbstverständlich Lindholm, gespielt von Maria Furtwängler, die als Kommissarin wie schon erwähnt die beste Figur macht. Aber auch der den mürrischen Dorfpolizisten gebenden Max Hopp brilliert in seiner Rolle. Auch sein Charakter fällt unter den Verdacht der LKA-Beamtin. Doch die großen Geheimnisse ranken sich um die weiteren Dorfbewohner, die den mysteriösen Unterton des «Tatort» bestimmen. Dem Anspruch einer zuweilen temporeichen wie gleichermaßen spannend, aber auch phasenweise ruhig erzählten Geschichte wird dieser «Tatort» vollends gerecht.

Das Erste zeigt den «Tatort: Vergessene Erinnerung» am Sonntag, den 31. Januar 2010 um 20.15 Uhr.
29.01.2010 13:20 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/39909