«Das Internat»: Good Morning, Vietnam!

Emma bloggt - und die deutsche Nation betrachtet fallende Skalen in den Mattscheiben antiker Flimmerkisten.

Geduld ist angeblich eine Tugend. Ehrlichkeit hingegen ist alles, was dem deutschen Publikum in Zeiten wie diesen erhalten bleibt. In diesem Sinne sei im Vorfeld der Tiraden und der Kritik preisgegeben: Die erste Episode der neuen ProSieben-Doku-Soap «Das Internat: Emma bloggt» konnte lediglich durch kontinuierliche Unterbrechungen und Verschnaufpausen tatsächlich bis zum bitteren Ende verfolgt werden, was eine gar irreale Laufzeit von drei Stunden zur Konsequenz hatte. Der fiktive Nachbarschaftsverein der Sicherheit und Ordnung wird mit großer Wahrscheinlichkeit bereits auf der Suche sein, nach dem Ursprung der qualvollen Schreie, die die Mauern der Stadt erschütterten.

Aus vollkommen ersichtlichen, aber in Wahrheit undefinierten Gründen sind Emmas Erzeuger fernab ihrer Tochter. Kristallklare, obgleich unbekannte Motive führen die junge Schülerin an ein neues Lehrinstitut, das Isar-Internat. Gehörte, doch unerwähnt gebliebene Tatsachen haben es zu verschulden, dass Emma Freunde in aller Welt besitzt. Die Ausgangsposition: Eine recht hübsche Teenagerin, die ohne Kontakte an eine neue Schule wechselt. Die Frage: Was wird die Konstante der Erzählung und wie wird eben diese verlaufen? Steigt Emma mit einem im Jugendslang versunkenen Chemiker in das Amphetamin-Geschäft ein, bekämpft sie fortan Terroristen im 24 Stunden Rhythmus oder übt sie sich im wiederholten Ausbrechen aus Bildungsstätten? Leider Gottes entsprechen nur Bruchteile dieser verwegenen Hoffnungen der schlussendlichen Wahrheit. Das unveränderliche Parameter ist im Übrigen die Kamera, die die Protagonistin stets mit sich trägt – hierbei sei auf die «Abschlussklasse» verwiesen, das offensichtliche Vorbild des neuen Formats.

Zu Beginn sieht der Zuschauer jedoch mehr Hand als Emma. Kein Schreibfehler, es handelt sich weder um Hans, noch Hanf. Die liebliche Auszubildende hält es schlicht für notwenig, alle 30 Sekunden in die Kamera zu winken sowie zusätzlich jede Person zu animieren, es ihr gleich zu tun – die Darstellerin wird vermutlich einen starken Muskelkater zu spüren bekommen haben. Wurde nun die Überraschung ruiniert? Emma und all ihre Kumpanen wie Tom, Sebi, Filiz und Ohrhan, von denen noch die Rede sein wird, werden von Laienschauspielern poträtiert. Lüge: Selbstverständlich ist umfassende Menschenkenntnis vonnöten, um dieses Faktum anzuerkennen. Wahrheit: Wer dies nicht registriert, sollte sich verpflichtet fühlen, eine unbezahlte Gastrolle im «Internat» zu übernehmen. Soziales Engagement hat noch keiner Menschenseele geschadet! Das war eine Lüge. Die ehrliche Seite: Emma hat es zutiefst benachteiligt.

Denn als die hilfsbreite Hauptfigur zum ersten Mal den Schulweg beschreitet, trifft sie auf Sebi, der verloren einen Platz der Landschaft einnimmt, bis er von diversen Rüpeln belästigt und bedroht wird. Retter der Stunde ist Max: “Was ist das für ein Niveau, Mann?! Was ist das für ein Niveau?“ Der Betrachter, der vergeblich seine Fernbedienung sucht und dessen Fernsehgerät auf Grund der heutigen Modernität weder über einen Ausschalt-, noch Selbstzerstörungsknopf verfügt, stellt sich unterdessen dieselbe Frage. Die folgenden Schritte geleitet die Gruppe zu einem Plakat, auf dem groß „Ihr werdet alle sterben!“ geschrieben steht. Irgendjemand scheint erkannt zu haben, dass man früher oder später gezwungen wird, abzutreten und wollte diese Erkenntnis wohl mit seinen Mitmenschen teilen. Wider Erwarten wird seine Geste missverstanden.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war es möglich, die zahlreichen Schwachstellen der Produktion ausfindig zu machen, wobei die Schauspielerei, insofern man sie als solche bezeichnen kann, keiner weiteren Erwähnung wert ist – ist man wahrhaftig enttäuscht, so hatte man definitiv die falsche Erwartungshaltung. Die ständigen Intermezzos, ergo die kurzen Einspieler Emmas, die das Geschehen in weiterem Maße dokumentieren sollen, wirken deplaziert und sollten künftig zweifellos anderen Inhalten weichen. Ein anderer Punkt ist die Zeichnung der Charaktere. Lena ist schwanger, das Kind ist jedoch nicht von ihrem Freund Jonas. Sebi ist ein Außenseiter, wird „gedisst“ und macht während des Spielens von Ego-Shootern „Ratatat“-Geräusche. Ohrhan bezeichnet sich selbst als Checker und ist wie auch Tom darauf aus, bei Neuling Emma zu landen. Sandra fühlt sich hingegen zu ihrem Lehrer Herrn Hanke hingezogen. Das größte Manko sind die störenden Wiederholungen, was bei einer enzigen Folge schwer ins Gewicht fällt. Zweimal wird Emma von ihrer neu gewonnenen Erzfeindin aus demselben Raum vertrieben, dreimal trifft sie nach dem Umlaufen einer Ecke auf den liebevollen Ohrhan und mehrmals sind ähnliche Drohbotschaften des Death Warrior zu lesen: „Auch du wirst sterben“, „Auch wenn du die Neue bist, du wirst auch sterben“ und last but not least „Ihr werdet wirklich alle sterben!“.

Dass am Rande Werbung für die Lokalisten betrieben wird, fällt bei all diesen Kehrseiten kaum auf – womöglich ein gerissener Masterplan seitens der roten Sieben. An dieser Stelle eine deutliche Empfehlung: «Das Internat – Emma bloggt» liegt fernab von Gut und Böse, es sollte unter allen Umständen gemieden werden. Abschließend einige Zitate aus Episode #1: „Das ist ja Stoff für ’ne Talkshow hier!“, „Die Typen hier sind eigentlich die totalen Vollspacken“ und „Das reicht mir für’s erste erstmal“. Das Rennen machte allerdings die Reaktion Jonas’, als er von den Adoptions-Plänen seiner hochschwangeren Freundin erfuhr: „Ey, was soll des?!“ Mal ehrlich: Was soll das?
02.02.2010 08:34 Uhr  •  Marco Croner Kurz-URL: qmde.de/39960