Fans, Blogs und Quoten

Warum Quoten aus der Sicht von Fans immer zu schlecht sind und was «Emma bloggt» mit «Lost» gemein hat.

Statistisch gesehen haben über 60 Prozent der Deutschen schon eigene Inhalte im Internet veröffentlicht. Eine entsprechende Umfrage auf einem sozialen Netzwerk würde wohl sogar auf 100 Prozent kommen.

Das Jahr ist gerade mal einen Monat alt und es wird schon wieder munter abgesetzt. Mitten in der Woche erwischte es am Dienstag sowohl ProSiebens «Abschlussklasse»-Wiedergeburt «Das Internat - Emma bloggt» sowie RTL IIs Japan-US-Remake-Import «Kamen Rider Dragon Knight». Der Grund wie immer: schechte Einschaltquoten. In diesen beiden Fällen sogar inakzeptabel schlechte Einschaltquoten. Und trotzdem fanden sich in den Fanforen und auch auf der ProSieben-Website gleich ganze Grüppchen zusammen, die sich über die Absetzungen echauffierten. Das alleine wäre bei einer nur zwei Tage alt gewordenen Serie wie «Emma bloggt» eigentlich schon eine Studie wert.

Schnell flammen zwei Argumente auf: „Die Sender sind ja alle nur noch quotengeil“ und „Die Quoten können gar nicht stimmen, alle die ich kenne gucken das“. Das erste Argument genauer zu beleuchten erübrigt sich bei den zwei genannten Sendungen glücklicherweise. Vielleicht sind die Sender manchmal wirklich ein wenig ungeduldig mit ihren Serien, aber diese beiden liefen wirklich so unterirdisch schlecht, dass es gar keine Alternative zum Absetzen mehr gab. Und «Emma bloggt» wäre am Ende der Woche sowieso vorbei gewesen und hätte somit damit ohnehin keine Zukunftsperspektive gehabt.

Sollte es wirklich an einer fehlerhaften Quotenmessung liegen, wären Absetzungen natürlich fatal. Allerdings ist eher anzunehmen, dass eine fehlerhafte menschliche Wahrnehmung zu diesen Annahmen verleitet. Erster Punkt: Natürlich gibt es Menschen mit vielen «Emma bloggt»-Zuschauern im Freundeskreis, genauso wie es welche gibt, die keinen einzigen kennen. Aber nur die erstere Gruppe tut ihre Beobachtungen online kund, der Rest, der selber gemerkt hat, dass außer ihnen wohl kaum jemand zuguckt, schweigt. Die Teilnehmer in den jeweiligen Internetdiskussionen sind also schon ordentlich vorselektiert und geben kein repräsentatives Bild mehr ab.

Doch auch wenn man wirklich jeden Zuschauer von «Emma bloggt» befragen würde, käme man zu einem ungleich höheren Quotenergebnis als es in den offiziellen Einschaltquoten ausgegeben wird. Das liegt daran, dass das Umfeld eines Menschen nicht repräsentativ für die ganze Gruppe der 14- bis 49-jährigen ist, sondern eher für feiner unterteilte Kernzielgruppen. Blicken wir auf das fiktive Beispiel «Stella bloggt»:



Für die Reichweiten habe ich grob Daten aus der aktuellen Bevölkerungspyramide (oder vielmehr: -Urne) herangezogen und durch Zwei geteilt, weil ja nicht jeder fernsieht. Dieser Faktor spielt hier ohnehin keine Rolle. «Stella bloggt» hat in diesem Beispiel einen Marktanteil von 20 Prozent bei den 14- bis 19-jährigen und dennoch springen am Ende nur magere 4 Prozent in der Zielgruppe raus, weil die Quoten in den älteren Schichten viel schlechter sind. Interessant ist aber: gut 55% der Zuschauer der Sendung stammen aus der Gruppe der 14- bis 19-jährigen (nämlich 800.000 von insgesamt 1,44 Millionen). Und wenn dieser Großteil der Zuschauer seine Freunde und Bekannten fragt, die gewöhnlich aus der gleichen Altergruppe stammen, stellen sie fest: 20 Prozent der Leute haben «Stella bloggt» gesehen!

Noch extremer wird dieser Effekt, wenn man Freundeskreise einbezieht. Es ist anzunehmen, dass unter Freunden gemeinsame Interessen vorherrschen und somit auch gemeinsame Lieblingsserien. Wenn wir davon ausgehen, dass unter Freunden die Wahrscheinlichkeit, die gleiche Lieblingsserie zu haben, doppelt so hoch ist, was ich für einen durchaus realistischen Wert halte, dann steigt die von den Fans in ihrem Umfeld beobachtete Einschaltquote schon auf 40 Prozent!

Läuft eine Reihe länger, also deutlich länger als die zwei Tage, auf die es «Emma bloggt» gebracht hat, dann kommt auch noch der Faktor Mundpropaganda hinzu. Wenn man im Laufe der Monate oder Jahre alle seine Bekannten nötigt, zumindest mal einen Blick auf die eigene Lieblingsshow zu werfen, ist es natürlich kein Wunder, wenn der eine oder andere tatsächlich daran hängen bleibt. «Lost» ist ein schönes Beispiel dafür. Wenn also «Lost» demnächst seinen Sendeplatz verlieren sollte und die Fans wieder auf die Barrikaden gehen, weil doch alle in ihrem Umfeld die Serie fleißig schauen: Die lügen nicht. Die übertrieben auch nicht unbedingt. Sie machen nur den Fehler, ihren privaten Fanclub für repräsentativ zu halten.

Emma bloggt nicht mehr. Gottseidank ist die Blogosphäre groß genug, um diesen Verlust zu verkraften, auch wenn es schwer wird, die qualitative Lücke zu schließen; da unten traut sich nämlich niemand hin. Vielleicht erbarmt sich ja ein Fan.

Oft steckt mehr hinter den Zahlen des TV-Geschäfts als man auf den ersten Blick sieht. Oder weniger. Statistisch gesehen nimmt sie unter die Lupe
05.02.2010 10:28 Uhr  •  Stefan Tewes Kurz-URL: qmde.de/40033