Die Kritiker: «Haltet die Welt an»

Story
In der Nähe von Bremerhaven lebt Katja Winzer, die als Krankengymnastin eine eigene Praxis leitet. Mit ihrem achtjährigen Sohn Tobias und ihrem Lebensgefährten Jürgen Behrendt lebt sie auf einem ehemaligen Bauernhof. Tobias ist ein aufgeweckter, selbstständiger und zuverlässiger Junge, der sowohl zu seiner Mutter als auch zu Jürgen ein sehr inniges und vertrauensvolles Verhältnis hat. Als er eines Abends nicht vom Spielen nach Hause kommt, startet Katja eine Rundrufaktion im Freundeskreis und fährt den Heimweg des Jungen ab - ohne Ergebnis. Schließlich schaltet sie die Polizei ein. Da in der Region erst wenige Monate zuvor ein gleichaltriges Mädchen von einem Unbekannten ermordet wurde, setzt ein Großaufgebot an Beamten und Freiwilligen umgehend eine aufsehenerregende Suchaktion in Gang.

Der verzweifelten Katja wird Hauptkommissar Roman Maartens zur Seite gestellt: Der erfahrene Polizist und Familienvater verfügt über eine psychologische Ausbildung, um bei solchen Fällen die Familienangehörigen zu betreuen und sie von der sensationslüsternen Presse abzuschotten. Tage vergehen, ohne dass Tobias gefunden wird. Aus Tagen werden Wochen und Katjas Leben wird ein Albtraum: Ihr Lebensgefährte Jürgen gibt sich dem Alkohol hin und sie muss sich wegen des psychischen Stresses aus ihrer Praxis beurlauben. Zur einzigen Konstante in Katjas Leben wird Maartens, der wegen seiner engen Bindung zum Opfer nicht nur kurz davor steht, vom Fall ausgeschlossen zu werden - sein starkes Engagement belastet auch seine eigene Familie.

Darsteller
Christine Neubauer («Löwengrube») ist Katja Winzer
Filip Peeters («Die Frau vom Checkpoint Charlie») ist Roman Maartens
Martin Feifel («Schtonk!») ist Jürgen Behrendt
Andrea Lüdke («Großstadtrevier») ist Silke Maartens

Kritik
Es war der 30. Oktober 2004, als der achtjährige Felix aus Neu Ebersdorf in Niedersachsen auf dem Heimweg entführt, vergewaltigt und ermordet wurde. Marc Hoffmann, der auch für das Verschwinden der ebenfalls achtjährigen Levke im Mai des selben Jahres verantwortlich gemacht werden konnte, wurde ein Jahr später zu lebenslanger Haft wegen zweifachen Mordes, Freiheitsberaubung mit Todesfolge in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger sowie schwerem sexuellen Missbrauch verurteilt. Die Mutter von Felix, Anja Wille, verarbeitete ihre Erlebnisse, Gefühle und Gedanken später in dem Buch «Und trotzdem lebe ich weiter», das als Filmvorlage für das Drama «Haltet die Welt an» diente.

Regisseur Hartmut Griesmayr und Annette Hess, die nach Willes Vorlage das Drehbuch erarbeitet hat, inszenierten gemeinsam mit starken Schauspielern ein Drama zu einem höchst emotionalen und sensiblen Schicksalsschlag. Christine Neubauer, die sich im Bereich rührseliger Kitschfilme einen Namen gemacht hat, erweist sich für den Film als großen Gewinn: Als betroffene Mutter lenkt sie größtenteils die Handlung durch ihre charakterliche Entwicklung, die in Mimik, Gestik und psychischer Verfassung schauspielerisch vorbildlich und glaubhaft übermittelt wird. Martin Feifel überzeugt als gebrochener Alkoholiker, während Filip Peeters als Roman Maartens den mitfühlenden Kommissar mimt, der sich etwas zu sehr in seinen Fall hineinsteigert.

«Haltet die Welt an» ist kein typischer Spielfilm, weil er sich mit Respekt vor den wahren Hintergründen weitestgehend nicht in Klischees, Kitsch oder Aufdringlichkeiten verliert. Vielmehr wurde ein höchstfeinfühliges Drama produziert, das dem Thema mehr als gerecht wird und dem der Spagat zwischen filmischen Möglichkeiten und gebotener Distanz gelingt. Die Handlung konzentriert sich stark auf die emotionale und psychische Entwicklung der Angehörigen und ihrer Begleiter und weniger auf den Suchprozess oder die Tätersuche. Den interessierten Zuschauer erwartet somit eine überzeugende Charakterstudie, auf dessen Thematik und Machart er sich allerdings mit vollem Herzen einlassen sollte, um nicht enttäuscht zu werden. Freunde klassischer Freitagabendunterhaltung oder spannender Krimis sollten das Drama lieber weiten Schrittes umgehen.

Das Erste zeigt «Haltet die Welt an» am 01. April 2010 um 20:15 Uhr.
31.03.2010 11:10 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/41076