Hingeschaut: «Dr. House» ist geheilt?

Die sechste Staffel der beliebten US-Serie beginnt mit dem Heilungsprozess des Gregory House in der psychiatrischen Anstalt und endet vor dieser.

Er hat sich selbst eingewiesen: Der mürrische Diagnostiker Gregory House (Hugh Laurie) verabschiedet sich von seinem Freund Wilson, steht dann vor den Türen der psychiatrischen Anstalt Mayfield, wirft noch einen Blick zurück, ehe er dahinter verschwindet. So endete die fünfte Staffel der beliebten US-Serie «Dr. House». Genau dort setzte die neue sechste Staffel, die in den vergangenen zwei Wochen in einer zweiteiligen Episode bei RTL gezeigt wurde, an. Dabei unterzieht die Arztserie seine Hauptfigur und die Serie selbst einem Heilungsprozess. Wegen seiner Vicodin-Abhänigkeit, die sich am Ende der fünften Staffel in Halluzinationen gipfelt, hat er sich in die psychiatrische Anstalt begeben, um wieder „normal“ zu werden. Zu Beginn der ersten Folge von „Einer flog in das Kuckucksnest“ sieht man Gregory House allerdings wie man ihn kennt: Als Einzelgänger, als Rebell und Jemanden, der seine Mitmenschen gerne demütigt und sich an keine Regel hält. Doch Dr. House ist nicht mehr der Diagnostiker im Princeton Plainsboro-Krankenhaus, sondern nun selbst der Patient. Nachdem er seinen Vicodin-Entzug erfolgreich überstanden hat – die Qualen dessen (ans Bett gefesselt in einer Zelle) sind zu Beginn der emotionalen Doppelfolge zu beobachten –, möchte er die psychiatrische Anstalt am liebsten schnell wieder verlassen.

Denn wie es ihm zu Eigen ist, wollte er dort auf freiwilliger Basis nur seinen eigenen Willen durchsetzen. Da er das Vicodin offenbar nicht mehr braucht und mit seinen Schmerzen im Bein klar kommt, fühlt er sich geheilt. Doch gehen lassen will man ihn noch nicht, ist doch die Gefahr eines Vicodin-Rückfalls nicht ausgeschlossen. Stationsarzt Dr. Nolan (André Braugher) will ihn erst richtig „heilen“. Da Gregory House auf dessen ärztliche Bestätigung angewiesen ist, um weiter als Diagnostiker zu praktizieren, bleibt der launische Mediziner widerwillig. Doch statt die Therapie mitzumachen, rebelliert er und schmiedet Pläne, um Nolan dazu zu zwingen, ihn offiziell zu entlassen.

Wer den Spielfilm «Einer flog über das Kuckucksnest» kennt, wird hier viele Parallelen erkennen, denn die sind von den Autoren vollkommen beabsichtigt. Den Part des aufrührerischen McMurphy, den im Film Jack Nicholson mimte, übernimmt Gregory House natürlich höchst persönlich. Auch die Kulisse ist durchaus ähnlich wie auch die weitere Handlung, so dass die Anlehnung an den Film offensichtlich wird. Doch zurück zu Dr. House selsbt: Er tut so, als würde er all das machen, was Dr. Nolan von ihm will. Doch spielt er insgeheim ein eigenes Spiel, in das nur sein neuer Zimmergenosse Alvie (Lin-Manuel Miranda), den er dennoch nicht leiden kann, eingeweiht ist. House holt seine Medikamente stets ab, schluckt sie aber nicht, sondern behält sie im Mund, um sie später auszuspucken. In den Gesprächsrunden ist er den anderen Patienten gegenüber gewohnt gemein und sarkastisch. Er verweigert jedes tiefgründige Gespräch, sorgt eher für Konflikte und bringt seine markanten Sprüche. Zuletzt zettelt er noch einen Aufstand an, als er den Mitinsassen aufzeigt, dass zu einer Tischtennisplatte auch Schläger gehören, nicht nur ein Netz und Ball, womit sie bis dahin klar kommen mussten. Gregory House fühlt sich als Sieger über Nolan, doch muss er bald erkennen, dass dem nicht so ist.

Denn Dr. Nolan hat dieses Spiel durchschaut und durchkreuzt die Pläne von Dr. House. Dass er die Medikamente nicht nimmt, wusste der Stationsarzt schon lange, trickst House bei einer Urinprobe aus und gibt beim Aufstand von House nach, was den Diagnostiker während seines größten Triumphs erstmals grübeln lässt. Die Wende in dieser Folge von «Dr. House» kommt erst als House einem jungen Mann zu helfen versucht, der glaubt er wäre ein "Superman". Dieser fühlt sich schuldig für den Tod seiner Frau und möchte einer stummen Patientin wieder zum Sprechen verhelfen. House fährt mit ihm auf den Rummel und lässt sich mit ihm in die Luft schießen. Der junge Mann denkt er könne fliegen wie "Superman" und stürzt ein Parkhaus hinunter. Er überlebt mit schweren Verletzungen und Dr. House erkennt erstmals, dass er Hilfe braucht.

Die sechste Staffel der beliebten US-Serie beginnt mit dem Heilungsprozess des Gregory House in der psychiatrischen Anstalt und endet vor dieser.

Zu Beginn der zweiten Folge von „Einer flog in das Kuckucksnest“ vertraut er sich dem Stationsarzt an. Seine eigenen Spielchen und rebellischen Pläne legt er auf Eis und möchte die Therapie nun durchziehen, um „geheilt“ zu werden. Als sein Zimmergenosse Alvie erkennt, dass House die Medikamente nun tatsächlich nimmt, fragt er ihn, ob man ihn gebrochen habe. „Nein, ich war schon gebrochen“, entgegnet House vielsagend. An dieser Stelle wird klar, dass wir in dieser zweiten Folge einen veränderten Gregory House erleben werden. Dem „Arsch“ ist der Zynismus leid geworden, er beugt sich und gibt zu, dass er „gerne glücklich wäre“, dass er es satt hat gemein und einsam zu sein. Infolgedessen nimmt er auch Kontakt zu den anderen Patienten auf, wo er sie zuvor noch gedemütigt und stets auf ihnen rumgehackt hat. Ein Wandel beginnt. Spätestens dann, wenn er sich Mitte der Episode in Lydia (Franka Potente) verliebt, die regelmäßig die stumme Patientin, ihre Schwägerin, besucht. Sie spielen Klavier, sie unterhalten sich und werden zunehmend vertrauter, später auch intimer. House baut eine Beziehung auf, wird verletzt als sie zerbricht. Dass House erstmals echtes Vertrauen zu einem Mitmenschen hat und Schmerz über den Verlust dessen empfindet, ist der Grund dafür, dass Dr. Nolan ihn am Ende der Folge als „geheilt“ aus der Anstalt entlässt.

Die Trennung mit Tränen macht House zu schaffen, während er sich für die anderen Patienten einsetzt und versucht sie aus der melodramatischen Stimmung in dieser Episode zu befreien. Er spendet Dr. Nolan am Sterbebett dessen Vaters Trost. Bei der Talentshow in der psychiatrischen Anstalt wird Dr. House aktiv Teil einer Gemeinschaft und hat Spaß ohne dabei seinen Mitmenschen auf den Schlips zu treten wie er es noch bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung getan hat. Dem gestürzten "Superman" kann geholfen werden, denn Dr. House bringt es über die Lippen sich bei ihm für seine Privattherapie auf dem Rummel zu entschuldigen, was ihm vorher schwer fiel. Ein weiterer Schritt zur Besserung. Im gleichen Zuge verhilft der junge Mann der stummen Schwägerin von Lydia wieder zum Sprechen. Es scheint sich alles zum Guten zu wenden. Doch die Besserung der einst Stummen bedeutet auch den Verlust der innigen Beziehung zu Lydia für House, da ihre Familie wegzieht.

Diese gefühlvolle Episode zeigt gänzlich einen anderen Dr. House, der eine dramatische 180-Grad-Wendung seiner selbst durchgemacht hat. Der Heilungsprozess, den House durchlebt, hat sicher auch der Serie an sich gut getan, denn die wöchentliche Schlechte-Laune-Dosis von «Dr. House» hatte für manchen Zuschauer möglicherweise ihren Anreiz verloren. Die frechen Sprüche von Gregory House fehlten auch im zweiteiligen „Einer flog in das Kuckucksnest“ nicht, sind sie neben den fachlichen Analysen der Fälle auf hohem Niveau doch genau das, was die US-Serie ausmacht. Der Wandel von der Melodramatik zur vorerst (fast) heilen Welt findet aufgrund dem Ende der Liaison mit Lydia nicht zu einem Happy End, doch auch das ist nicht untypisch für die Serie. Für den Charakter Gregory House war dieser Staffelauftakt dennoch ein großer Schritt zur Heilung. Denn auch seinen Mitinsassen hat er die Augen geöffnet, möchte auch sein ehemaliger Zimmerkollege Alvie nun die Medikamente nehmen. In der Schlusssequenz ist Gregory House zu sehen, wie er in einen Bus steigt und mit einem Grinsen im Gesicht davon fährt. Im Hintergrund ist die psychiatrische Anstalt zu sehen, die er hinter sich lässt.

Eine wunderbare Einstellung, die den Heilungsprozess, den House durchschritten hat, untermalt. Denn hier, vor den Toren von Mayfield, hat alles begonnen, was die Hauptfigur der „Dramedy“ hinter sich gelassen hat. Hier endet nun auch die Doppelfolge in der Psychiatrie. Doch „geheilt“ ist Dr. House nicht gänzlich, würde dies doch der US-Serie eine ganz andere Farbe geben. Auf dem guten Weg der Besserung befindet er sich aber, wenn er in den nächsten Episoden wieder auf seine Patienten trifft und seine Kollegen wieder um sich herum geschart hat. Nach diesen außergewöhnlichen Folgen muss die Serie «Dr. House» nun drauf bedacht sein, nicht direkt wieder zur Routine zurück zukehren. Man wird vor allem dann sehen, was Greg House dazu gelernt hat, wenn es um seine Beziehung zu Dr. Cuddy geht, die schon in der fünften Staffel (wenn auch nur im Traum) angeschnitten wurde.
14.04.2010 10:00 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/41326