Popcorn und Rollenwechsel: Zwei Seiten des Anspruchs
Anspruchvolles Kino muss nicht immer segensreich sein. Was gilt es zu beachten, wenn es gelingen soll?
Was werde ich nicht schief angeguckt, wenn ich in cineastisch bewanderter Runde die jüngeren Werke des unorthodoxen Filmemachers David Lynch kritisiere, obwohl ich auf der anderen Seite Christopher Nolan dafür lobe, dass es ihm gelingt, Anspruch und nonlineare Narrative erfolgreich ins Blockbusterkino zu integrieren. Anscheinend muss man jeden Jongleur mit Zeitebenen lieben, wenn man einen liebt. Woher sonst diese giftigen Reaktionen auf ein zu ausdifferenziertes Urteil?
Womöglich liegt es daran, dass sich manche Anhänger des vom expressionistischen sowie vom surrealistischen Film geprägten Lynchs schützend vor ihrem Idol stellen, um die feinen Unterschiede innerhalb des anspruchvollen Kinos zu sehen. Und wer kann es ihnen schon groß verübeln, schließlich entwickelt wohl jeder passionierte Liebhaber einer Sache oder einer Kunstform einen kleinen blinden Fleck in diesem Gebiet. Was die nonlineare Struktur in David Lynchs letzten paar Filmen, wie etwa den von «Mulholland Drive» und «Inland Empire», von Christopher Nolans Ansatz in «Memento», «Prestige» oder auch dem aktuell die Kinos erobernden «Inception» unterscheidet, ist dabei meines Erachtens ganz leicht zu erkennen. Sie verfolgen nämlich unterschiedliche Ansätze der nonlinearen Dramaturgie.
Nehmen wir als Beispiel den Thriller «Memento», der zum Teil rückwärts abläuft. Dieser dramaturgische Kniff erfordert vom Zuschauer eine höhere Konzentration, als etwa eine gradlinige Erzählweise, und lässt das Publikum dem gezeigten Stets Misstrauen, da ihm die für das Verständnis einiger Situationen und Charaktermotivationen wichtigen Informationsgrundlagen fehlen. Es ist für den Menschen ungewohnt und von daher schwierig, Ereignisse rückwärts erzählt zu bekommen. Darum sagt man etwas salopper auch, dass «Memento» „falsch herum läuft”. Das erzählerische Gimmick von «Memento» macht der Regisseur und Autor allerdings schnell klar, so dass dem Zuschauer früh bewusst wird, worauf er zu achten hat. Wer mit seiner Aufmerksamkeit beim Film bleibt, wird die Handlung verstehen und kann mit dem Erzählten mitfiebern. Etwaiger Diskussionsbedarf nach dem Filmgenuss ist dem Autor durchaus willkommen, allerdings gehört eine über das konzentrierte Zuschauen hinausgehende Beschäftigung mit dem Film nicht zur Grundvoraussetzung für das Verständnis oder das Gefallen des Films.
Lynchs zuweilen aufgesetzt künstlerisch wirkender Ansatz ist ein wenig anders. Aber der in diesem Detail steckende Teufel ist genug, um mich von Lynchs jüngerem Œuvre zu verjagen. Nolan sät Misstrauen in die Geschehnisse innerhalb der Handlung, legt aber gewisse Grundregeln für seine Narrative fest. Dies fehlt bei Lynch, so dass man selbst der Erzählweise nicht trauen kann. Die Natur der Erzählstruktur seiner letzten Filme bleibt im Dunklen verborgen. Diese stete Unsicherheit macht es ironischerweise schwer, sich während des Filmschauens auf den Film zu konzentrieren, da man in der Hoffnung, den Film vielleicht noch zu verstehen, von einer Theorie über das Gezeigte zur nächsten springt.
Man kann das anspruchsvolle Kino gewissermaßen in zwei Formen einteilen: Anspruchsvolle Filme, die Konzentration fordern und zu einer tiefer gehenden Beschäftigung einladen, und die Filme, bei denen es erforderlich ist sein Gehirn zu verrenken, um überhaupt zu verstehen, was man vielleicht gesehen hat. Und ich wage zu behaupten, dass dies der Grund ist, weshalb Lynch so geringen kommerziellen Erfolg genießt. Nicht weil das Publikum angeblich zu dumm ist. Der Erfolg von «Inception» beweist ja eindrucksvoll, dass der durchschnittliche Kinobesucher sehr wohl zu denken vermag und man ihm intellektuelle Filme nur schmackhaft genug machen muss. Und auch mit «Twin Peaks» konnte Lynch in den 90ern noch einen Fernseherfolg genießen. Dass Lynch an diesen Erfolg nicht wieder anschließen kann, und das auch so viele andere Kunstfilmer außerhalb ihrer Fankreise nur Unverständnis ernten, liegt viel mehr daran, dass das Publikum nicht für dumm gehalten werden möchte. Die künstlerische Geisteshaltung „das ist Kunst, wer das nicht versteht, dem ist nicht zu helfen“ ist schnell als größere Beleidigung an den eigenen Intellekt aufgefasst, als der hohlste Krawumm-Blockbuster, den sich Michael Bay und Konsorten ausdenken können. Wer sich «Armageddon» ansieht, möchte sein Hirn für eine gewisse Zeitspanne nicht nutzen. Wer sich «Mulholland Drive» ansieht und allein schon daran scheitert, zu verstehen was die Handlung ist (geschweige denn deren Bedeutung zu begreifen), der kommt sich schnell veräppelt vor, insbesondere, wenn der Künstler denjenigen, die nicht zu verstehen vermögen verächtlich begegnet.
Ich gehöre wenigstens noch zu den Kritikern der letzten Lynch-Filme, die dem Regisseur keine böse Absicht unterstellen. Ich denke schon, dass Lynchs Filme einen künstlerischen Wert haben und so gedacht waren, dass man sie verstehen kann. Nur denke ich, dass Lynch zu sehr in sich gekehrt ist, um sich bewusst zu sein, dass er am Adressaten vorbeikommuniziert. Er will etwas ausdrücken, macht es nur unverständlich. So meine Theorie. Manche wiederum unterstellen Lynch ja, er wäre ein hinterlistiger Spaßbär, der seine Freude daran hat, intellektuellen Cineasten undurchdachten, zusammen gewürfelten Kappes vorzusetzen und erfolgreich zu behaupten, es sei Kunst. Nein, so schätze ich Lynch nicht ein. Aber kann man es seinen Kritikern verübeln, solche Vermutungen zu entwickeln?
Ich finde, dass ein Filmemacher, egal wie anspruchsvoll er sein will, sich in dem Moment, indem er sich für einen narrativen Film entscheidet, auch verpflichtet, eine verständliche Geschichte zu erzählen. Wer Stimmungen einfangen will, der soll gar nicht erst den Anschein erwecken, er erzähle eine Geschichte.
Es muss ja nicht alles auf Anhieb überdeutlich klar sein. Nur genug, um zu wissen, was so grob passiert. Terry Gilliams «Das Kabinett des Doktor Parnassus» ist so ein Beispiel. Mit intuitivem Verständnis ausgestattet begreift man die Handlung als Ganzes, nicht aber das komplette Filmgeschehen. Einige Details, manche Motivationen eröffnen sich erst nach wiederholtem Ansehen und tiefergehender Auseinandersetzung mit diesem imaginativen Stück Film. Aber man weiß als Zuschauer immerhin, wo man steht. Da kann man auch verzeihen, wenn man die genaue Bedeutung einer Metapher nicht begreift.
«Inception» ist aus völlig anderen Gründen anspruchsvoll, funktioniert aber ähnlich: Wer irgendwann die Übersicht verliert, auf welcher Handlungsebene man sich gerade befindet, der weiß ja immer noch, was das Ziel der Protagonisten ist und wovon sie bedroht sind. Das genügt um mitzufiebern - die Details kann man ja später in einer gepflegten Diskussionsrunde mit seinem ins Kino mitgebrachten Freunden erörtern.