Glenns Gedanken: Ein Hoch auf «MTV Home»!
Unser Kolumnist schreibt über die MTV-Sendung mit Joko und Klaas.
Es gab mal eine Zeit, da galten die Musiksender Viva und MTV als die Ausbildungsstätten und Sprungbretter für talentierte Nachwuchsmoderatoren schlechthin. Vor allem in den 90ern und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends zeichneten sich die Sender durch zahlreiche innovative Eigenformate aus. Diese brachten einige heutzutage höchst prominente Gesichter heraus, wie Oliver Pocher, Sarah Kuttner, Tobias Schlegl, Charlotte Roche, Niels Ruf, Gülcan Kamps und natürlich Stefan Raab. Doch leider setzte sich in den vergangenen Jahren ein Trend hin zu eingekauften Reality-Dokusoaps aus den USA durch. Im Zuge dessen verschwanden moderierte selbstproduzierte Formate immer mehr aus dem Programm. Die Anzahl der VJs sank ähnlich wie der Anteil an Musikformaten bei MTV und Viva auf ein Minimum. Diese Entwicklung ist keineswegs zu begrüßen.
Doch es gibt eine Ausnahme - und die hat es in sich. Ein großartiger Lichtblick im Sumpf des vor sich hin vegetierenden Ex-Musiksenders MTV. Seit Juni 2009 läuft dort jeden Freitag «MTV Home», die laut eigenen Angaben beste Sendung der Welt. Moderiert wird die Show von Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt, begleitet werden sie von ihrer charmanten Assistentin Palina Rojinski. Der Untertitel der Show lautet "Die Sendung mit dem Haus", und der Name ist Programm: Das Studio ist eingerichtet wie das Wohnzimmer einer typischen WG; von Couch, Kommode und Kühlschrank bis hin zum obligatorischen HD-Fernseher mit Aquarium-Dauerrotation ist alles vorhanden. Das Konzept der Sendung: Man empfängt prominente Gäste und einen Musikact pro Show. Der Rest der Sendezeit wird durch amüsante Einspielfilme bestritten.
Das klingt simpel und wenig innovativ, und doch ist die Show einzigartig und extrem unterhaltsam: Alle Gäste müssen zunächst vor der Haustüre klingeln, bevor sie hereingelassen werden. Anschließend werden sie von Palina unter dem Lärm der Playback-Hausband der Woche empfangen. Die Gespräche sind interessant, locker und amüsant, da Joko & Klaas es verstehen, ironischen Spitzen gegen Gäste wie Sido, Jürgen Milski oder Daniela Katzenberger zu verteilen. Sie sind beide rhetorisch auf Zack und legen eine Spontanität an den Tag, die man etwa bei Oliver Pocher in seiner Show vermisst. Doch auch die Interviews laufen nicht normal ab: Klaas schlägt ab und an vor, mit dem Gast eine zu rauchen, geht dann mit ihm "auf 'ne Kippe" vor die Tür des Studios und führt das Gespräch dort weiter. Andere Promis werden nur in einer Kiste interviewt, die sich ebenfalls im Studio befindet. Joko oder Klaas ziehen sich zunächst einen Schutzanzug an und steigen anschließend zu den Promis, die vermeintlich schon die ganze Zeit darin warten, in die Kiste.
Die Einspielfilme sind jedoch das eigentliche Herzstück der Sendung. Da gibt es beispielsweise die Rubrik "Zuschauer Cribs", bei der Joko mitten in der Nacht an fremden Wohnungen klingelt, und die schläfrigen Bewohner auffordert, jetzt und sofort ihre Wohnung zu präsentieren. Jede Woche ist man aufs Neue verblüfft, unter welchen Umständen manche Leute doch wohnen - Fremdschämmomente sind vorprogrammiert. In anderen Kategorien wie "Aushalten" oder "Wenn ich du wäre" liefern sich Joko & Klaas absurde Rivalitätskämpfe, wie z.B.: Wer hält es länger aus, ein WM-Spiel der deutschen Mannschaft nicht zu sehen? Die beiden Moderatoren funktionieren perfekt zusammen, und es macht einfach Spaß zu sehen, wie sie sich in ihrer Hass-Liebe gegenseitig übertrumpfen. Selbst Show-Assistentin Palina hat inzwischen ihre eigene Rubrik: In "99 Dinge, die jeder Mann in seinem Leben getan haben sollte" muss sie Aufgaben erledigen, wie C-Promis anbaggern oder einen Furz anzünden.
Das alles ist skurril, außergewöhnlich, teilweise infantil, aber vor allem unglaublich kreativ und schlichtweg großartig. Die Show hätte auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient, denn leider läuft sie quotenmäßig bisher nur suboptimal. Doch gut Ding will Weile haben, und einige enttäuschte Ex-Zuschauer müssen erst wieder zu MTV zurückfinden. Bei «MTV Home» findet man jedenfalls all den Mut und die Experimentierfreude, die man bei den Produktionen der großen Sender inzwischen schmerzlich vermisst.