Popcorn und Rollenwechsel: Toy Story Why?

«Toy Story 3» schwächelt während Adam Sandler obsiegt: Kolumnist Sidney Schering findet etwas faul an Kinodeutschland.

Pressevorführung schön und gut. Aber was hat schon auf kuriose Weise mehr Stil, als «Toy Story 3» um 23 Uhr im Kino zu sehen? Als ich sah, dass eines meiner Stammkinos tatsächlich sogar unter der Woche eine (Fast-)Mitternachtsvorführung des grandiosen Pixar-Films anbietet, war mir verrücktem Kinogänger sofort klar, dass ich dort mit einem Kumpel rein muss. Völlig egal, dass ich «Toy Story 3» bereits für Quotenmeter gesehen habe. So etwas wollte ich einfach schon immer mitmachen.

Und so ging es zu später Stunde ins Kino, wo uns sofort ein unerwarteter Anblick überraschte: Verflixt voll, dafür dass es Werktag ist. Geschweige denn, dass jetzt «Toy Story 3» läuft. Doch unsere Augen trügten nicht: Der recht große Kinosaal füllte sich zu drei Vierteln mit aus Vorfreude sichtlich zitternden Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es war für mich als Liebhaber des Animationsfilms ein Bild für die Götter: Mitten in der Nacht sehen sich erwachsene Leute ohne die alten, ätzenden Vorteile für dieses Medium «Toy Story 3» an und sie lachen nicht nur über die zahlreichen Gags, sie fiebern auch hörbar mit den Figuren mit. Während des Abspanns träumte ich schon von einer besseren Kinowelt, in der Animationsfilme endlich ebenfalls Mitternachts-Previews erhalten, statt diese elendigen Sonntag-Morgen-Vorpremieren. Vor allem aber: Wenn der Film in der Spätschiene schon so gut läuft, dann muss er ja ein großer Erfolg in Deutschland werden. Oder?

Meine Hoffnungen wurden enttäuscht. Offenbar war ich Augenzeuge einer absoluten Ausnahme: Nach einem stattlichen ersten Tag brach der Film an den Kinokassen ein und den schwächsten deutschen Pixar-Start aller Zeiten hin. Zur Erinnerung: «Toy Story 3» ist auf bestem Wege der bis dato weltweit erfolgreichste Animationsfilm zu werden und brach in zahlreichen Ländern den Pixar- oder gar den Animationsfilm-Startrekord. Nun gut, dachte ich, vielleicht erholt sich «Toy Story 3» im Laufe der Woche. Leider nein: Die zweite Woche war ebenfalls schwach und es benötigt ein ungeheuerliches Besucherplus in den kommenden Wochen, um den Film während seiner Gesamtlaufzeit noch über die 3-Millionen-Besucher-Marke zu heben. Selbst 2,5 Millionen Kinogänger wären mittlerweile eine Überraschung. Womit «Toy Story 3» in Deutschland der zweitschwächste Pixarfilm überhaupt wäre, nur knapp über den Zahlen von «Cars».

Wenn so was geschieht, dann sucht man natürlich sofort nach den Ursachen. Anlaufpunkt Eins, wenn ein Film ausschließlich in wenigen, bestimmten Ländern scheitert: Der kulturelle Unterschied. Dass Pixars «Ratatouille», ein Film über eine französische Landratte, die Koch in der haute cuisine werden möchte, in Westeuropa erheblich erfolgreicher war als in den USA, verwundert nicht. Genauso wenig überrascht es, dass «Cars» in den USA besser ankam als in europäischen Nationen. Nicht jeder Europäer fühlt sich von der Route 66 und NASCAR angesprochen. «Toy Story 3» allerdings ist ein Weltphänomen. Wenn wir kurz ein paar osteuropäische Staaten ignorieren, in denen er ähnlich schwächelt wie bei uns.

Ein anderer Sündenbock ist die Synchronbesetzung. Sieht man sich Filmforen an, findet man einige erboste «Toy Stroy» -Fans, die den Film boykottieren wollten, weil Peer Augustinski als die Stimme der Cowboypuppe Woody durch Michael „Bully“ Herbig ersetzt wurde. Jedoch zeigte sich in vielen vergleichbaren Fällen, dass solche Aussagen kein Stückchen repräsentativ sind. Die «Fluch der Karibik»-Reihe beispielsweise wurde sein Riesenerfolg, trotz oder womöglich sogar wegen einer Stimmumbesetzung auf Johnny Depp. Hinzu kommt, dass der Tenor in vielen Foren umschwenkt, von „Bully soll dafür in der Hölle schmoren“ zu „Okay, Augustinski wäre noch immer besser, doch da es sollte nicht sein und Herbig macht seine Sache erstaunlich gut“. Sollten Internetforen also plötzlich sehr wohl repräsentativ sein, dann ändert sich weiterhin nichts daran, dass die Synchronbesetzung nicht am Flop schuld sein kann.

Sind es die für Familien zu großen 3D-Zuschläge? Pffff… Da verweise ich nur auf «Ice Age 3»…

Meine einzig verbleibende Vermutung: Der Starttermin. In Deutschland startete «Toy Story 3» parallel zu «Inception», der Garaus für die Spielzeugtrupe! Jetzt werden natürlich einige aufschreien: „Ja, klar, als wenn sich diese Filme um das gleiche Publikum streiten!“ Meine wagemutige Antwort darauf: „Durchaus.“ Dazu muss man lediglich für einen Moment das Vorurteil vergessen, dass Animationsfilme nur für Kinder seien. Das trifft generell nicht zu, und so langsam dringt es auch wieder ins Bewusstsein der Allgemeinheit ein. Wie auch die eingangs erzählte Geschichte über meinen «Toy Story 3»-Kinobesuch zeigt. Was dem Film fehlt um mit «Ice Age 3» und Konsorten zu konkurrieren (oder den internationalen Zahlen), sind nicht die Familien, sondern die älteren Kinogänger. Und die rannten vergangene Woche in «Inception». Die Zwickmühle, in der sich «Toy Story 3» und die Kinobesitzer jetzt befinden: Die Spätschienen für «Toy Story 3» werden mangels Erfolg langsam abgebaut, bis in wenigen Wochen erfahrungsgemäß nur noch die Mittagsvorführungen bleiben. Und welcher Erwachsene setzt sich freiwillig mit dem „Kindergarten Sonnenseite” in einen Animationsfilm? Noch dazu einem derart aufregenden wie «Toy Story 3»? Da platzen einem ja die Trommelfelle, während die Zahnfüllungen fröhlich schmelzen. Schwupps - schon fehlen die 500.000 jugendliche Pärchen, nostalgische Erwachsenen und groß gewordenen Gelegenheitskinogänger, die zur goldenen Leinwand geführt hätten, für die Filme mit drei Millionen Zuschauern prämiert werden.


Samstag Nacht hatte ich Lust erneut «Inception» zu gucken. Ich wollte einige meiner Theorien über den Thriller bestätigen. «Inception» lief um 22.45 Uhr ganz solide im größten Saal des Kinos. Der Saal nebenan war komplett ausverkauft. Was lief? Adam Sandlers «Kindsköpfe». Ein moderater Erfolg in den USA, in vielen anderen Ländern läuft die witzlose Komödie sehr schwach… und in Deutschland? Wenn das Startwochenende auf irgendeine Weise repräsentativ ist, wird «Kindsköpfe» Adam Sandlers erfolgreichster Film bei uns. Und somit greift er «Toy Story 3» weitere erwachsene Besucher ab. Während der Parallelstart zu «Inception» Disney Deutschland ganz klar vorzuwerfen ist (weshalb nicht eine Woche früher?), kann man niemanden beschuldigen, eine Woche vor «Kindsköpfe» zu starten. Wer konnte bitte mit diesem Erfolg rechnen? Vielleicht ist es ein unerwarteter «Inception»-Effekt: Nachdem sich Kinodeutschland vergangene Woche verausgabte, sollen die grauen Zellen nun ruhen. Dazu ist «Kindsköpfe» perfekt. Andere Filme wären es genauso, leider ist es aber «Kindsköpfe», der gerade frisch in die Kinos kam.

Oder aber meine ganzen Theorien sind für den Eimer und Kino-Deutschland ist einfach verrückt. Immerhin ist Deutschland der größte Auslandsmarkt der im Rest der Welt eiskalt aufgenommenen, grottigen Hundekomödie «Marmaduke».

Ich bin jedenfalls mit meinem Latein am Ende. Alles für die Katz… Und wie ich mein Glück kenne, wird diese Woche nicht «Toy Story 3» ein Kassenschlager, sondern «Cats & Dogs 2», schließlich habe ich meinen Lesern mit dem letzten Satz einen Katzenfloh ins Ohr gesetzt. Somit hätte ich zwar eine «Inception» betrieben, aber stolz wäre ich dann nicht gerade auf mich…
09.08.2010 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/43748