Wer hat die größten Tüten?

Kochende Fernsehstars, sich rekelnde Artisten, unmotiviertes Publikum und frische Waffeln: Christian Richter berichtet über einen ganz normalen Rundgang über die Internationale Funkausstellung in Berlin.

Rund eine Stunde bevor die „Internationale Funkausstellung“ in Berlin zum letzten Mal in diesem Jahr ihre Tore für die Besucher öffnet, bereiten die Aussteller ihre Stände vor. Mitarbeiter füllen Prospekte auf, legen Tüten bereit und prüfen den Salzstangenvorrat. Unentwegt hetzen kleine Gruppen von Hostessen durch die noch leeren Hallen. Im Untergeschoss gibt der Catering-Chef seinem Team letzte Anweisungen vor dem erwarteten Ansturm. Die ersten Besucher, die dann über das Gelände stürmen, sind hauptsächlich Kinder und Jugendliche, die zielstrebig auf die Gameshersteller zusteueren. Und das obwohl dieser Tag ein Mittwoch außerhalb der Ferien ist.

Auch in diesem Jahr brüstet sich die Leitung der weltweit größten Elektronikmesse damit, dass es mit 1.423 Ausstellern so viele wie nie zuvor waren. Kein Wunder, erinnert doch die Palette der vorgeführten Geräte von Waschmaschinen, Kühlschränken bis hinzu Massagekissen eher an das Sortiment eines MediaMarkts als an eine Messe für Unterhaltungselektronik. Man muss schon sehr zynisch sein oder einen ausgeprägten Putzfimmel haben, um einen Staubsauger als Unterhaltungsgerät zu bezeichnen.

Aber so passt es wenigstens, dass die Firma Bosch an ihrem Stand voll Geschirrspülmaschinen und Kaffeeautomaten viermal täglich eine Live-Kochshow mit den VOX-«Küchenchefs» Ralf Zacherl, Mario Kotaska, Matthias Ludwigs und Martin Baudrexel aufführen lässt. Insgesamt duellieren sich fünf solcher Koch-Veranstaltungen in den Hallen unter dem Berliner Funkturm. Ganz wie im Fernsehen.

Noch vor Jahren war die Funkausstellung auch ein riesiges Treffen der Medienschaffenden, auf dem sich die großen Fernsehsender mit ihren Stars präsentierten. In den Jahren 1989 und 1991 gab es zum Beispiel die legendäre Show «Die 2 im Zweiten» mit Günther Jauch und Thomas Gottschalk live von der Messe. Aber auch Harald Schmidt übertrug seine Sat.1-Late-Night-Show bereits aus Berlin. Doch die Buchhalter merkten bald, dass sich solche Aktionen kaum rentierten und so zogen sich die meisten Sender von der Messe zurück. Was davon noch übrig blieb, kann nur noch als kümmerlicher Rest bezeichnet werden.

Immerhin bietet der Newssender N24 mit seinem mobilen Nachrichtenstudio, in dem sich die Besucher als Anchorman ausprobieren können, einen kleinen Blick hinter die Kulissen an. Sport 1 präsentiert sich auf der „Young Area“ mit einer Sportsbar, einem Basketballkorb sowie einer Live-Talkshow mit Thomas Helmer und Trainer Peter Neururer. Den Messetag lassen sie zudem mit einem Public Viewing der Basketball-WM und der Live-Sendung «Bundesliga Aktuell» vom Messegelände ausklingen.

In unmittelbarerer Nachbarschaft erweitert auch SuperRTL die Hallen für die jüngeren Besucher. Dessen Stand gleicht einem Spielplatz, konzentriert sich der Kanal doch vollständig auf sein «Toggo»-Programm. Mit Hüpfburgen, einem Fußballplatz und Lümmelecke will man so das Publikum anlocken. Passend zur frisch gestarteten Serie «Zeke & Luther» zeigen Skateboarder einige Kunststücke auf einer Halfpipe. Moderator Paddy, der auch im Fernsehen zu sehen ist, versucht vergeblich die wenigen Besucher der Halle zu einem Spiel zu animieren. Am Ende opfern sich zwei junge Mädchen, die eine Auswahl an Fernsehgeräten in die richtige zeitliche Reihenfolge bringen sollen und dabei sichtlich Schwierigkeiten haben.

Unter den öffentlich-rechtlichen Sendern sticht ZDF_neo besonders hervor. Der Jugendsender erhielt seine eigene aufwendige und bunte Halle, auf dem sich Besucher beim Karaoke-Singen filmen lassen können. Die Aufnahmen werden anschließend zum sogenannten neoChor zusammengefügt und auf den großen Projektionsflächen aufgeführt. Schade nur, dass der Stand genauso wenig Besucher wie der Sender hat.

Das Erste überträgt sehr zur Freude der älteren Zuschauer auch in diesem Jahr das «ARD-Buffet» mit Moderator Florian Weber live von der IFA. Schon rund eine Stunde vor Beginn der Sendung sind die Plätze vor der Bühne restlos besetzt. Während der Show wird dann wieder live gekocht und sich damit dem allgemeinen Trend angepasst. Etwas abseits bieten die Landesrundfunkanstalten ein exklusives Fotoshooting mit «Grand Prix»-Gewinnerin Lena auf einem winzigen Roten Teppich an. Ein Glück für die Messearbeiter, dass es sich dabei nur um einen Pappaufsteller der Sängerin handelt. Sie hätten sonst wohl pausenlos ihren Song „Satellite“ hören müssen. Beim RBB ziehen riesige Figuren vom «Sandmännchen» und «Shaun das Schaf» die ganz kleinen Kinder in ihren Bann.

Nur am Rande ist der Auftritt von VIVA und Nickelodeon präsent. Dieser verbirgt sich in einer Kooperation mit einem Fabrikanten für Rasierer. An dessen Stand prangt ein großes Poster der Moderatorin Collien Fernandes, die beim Shooting eindeutig zu viel Selbstbräuner aufgetragen hatte. Davon unbeeindruckt sendet der Nachrichtensender n-tv seine «Telebörse» drei Mal täglich live aus Berlin.


Mehr Eindrücke von der IFA; auf der nächsten Seite.

Kochende Fernsehstars, sich rekelnde Artisten, unmotiviertes Publikum und frische Waffeln: Christian Richter berichtet über einen ganz normalen Rundgang über die Internationale Funkausstellung in Berlin.

Richtigen Spaß macht der diesjährige Rundgang über die IFA nicht mehr. Überall sind auf den großen Monitoren nur noch verschwommene Bilder zu erkennen – schließlich liegt der technische Fokus in diesem Jahr eindeutig beim 3D-TV. Alle großen Hersteller entwarfen ihren Stand rund um die dritte Dimension. Bei Sony gibt es beispielsweise nicht nur einzelne Bildschirme, sondern eine große 3D-Area, an deren Eingängen die Besucher ihre eigenen Brillen erhalten. Panasonic installierte diese klugerweise wie öffentliche Fernrohre fest und hat damit sicher weniger Schwund zu beklagen. Auf einer kleinen Bühne rekeln sich zudem Artisten vor 3D-Kameras, deren Bilder die Besucher auf den bereitstehenden Fernsehern direkt verfolgen können. So wirkt es, als ob die Tänzerinnen direkt vor den Besuchern stehen – was sie auch tatsächlich tun. Schade nur, dass alle Bildschirme in abgedunkelten Räumen stehen und man keine Chance hat, den Alltagstest der Geräte im Tageslicht zu machen.

Durch die meisten Hallen schleichen Hostessen mit mobilen PCs, die im Auftrag von Marktforschungsunternehmen ermitteln sollen, wie der jeweilige Stand auf die Besucher wirkt. Für eine absolvierte Umfrage verteilen sie Amazon-Gutscheine oder «James Bond»-DVDs.

Der Erfolg der Veranstaltung misst sich für den durchschnittlichen Messebesucher jedoch nicht nach Standatmosphären, Produktinnovationen oder gelungenen Image Showcases, sondern daran, wie viel er umsonst mitnehmen kann. Deshalb ist bei vielen Besuchern der typische Sammler-Blick in den Augen zu erkennen. Gezielt scannen sie die Tische und Stände danach ab, ob es einen Kugelschreiber, etwas Süßes oder auch nur eine Papiertüte mit Prospekten zu ergattern gibt. Die größten Tüten gibt es bei Sony, in denen locker der Wocheneinkauf einer Großfamilie Platz hat. Allerdings sind diese leer. Da lohnt sich ein Besuch bei ZDF_neo mehr, denn dort bekommt jeder Besucher gleich drei Stifte geschenkt. Offenbar hatten die Veranstalter mit einem wesentlich größeren Andrang gerechnet. Einige Haushaltsgeräteanbieter locken die Besucher sogar mit leckeren, frischgebackenen Waffeln an. Vielleicht ist es doch ganz gut, dass die Internationale Funkausstellung auch um Haushaltsgeräte erweitert wurde – zumindest für den kleinen Hunger zwischendurch.
09.09.2010 10:30 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/44435