Die Kritiker: «Tatort: Borowski und eine Frage von reinem Geschmack»

Story
Während eines Volleyballspiels bekommt der 15-jährige Florian plötzliche Krämpfe und leidet unter Atemnot, nachdem er zuvor den Energy Drink «Vitanale» getrunken hat - wenig später ist der Schüler tot. Erste Untersuchungen ergeben, dass dem Getränk eine wesentlich höhere Menge an Lebensmittelfarbstoff zugesetzt war als gesetzlich vorgeschrieben und die normalerweise nur zu Übelkeit führende Überdosis bei dem Allergiker Florian eine tödliche Wirkung hatte. Noch unschlüssig, ob die Mordkommission in diesem Fall überhaupt ermitteln muss, stattet Klaus Borowski der Molkerei Kallberg einen Besuch ab: Seit Einführung von «Vitanale» verzeichnet das Getränk nicht nur eine erhebliche Nachfrage auf dem Markt, sondern beschert dem Familienunternehmen auch immer wieder Ärger mit radikalen Umweltaktivisten. Spätestens, als Borowski beim Rundgang in der Molkerei eine aufgebrochene Tür entdeckt, steht fest, dass ein Unbekannter die Molkerei sabotiert hat.

Der junge Aktivist Mauvier gerät ins Visier der Ermittler, hetzt er doch schon längere Zeit mit zweifelhaften Methoden gegen «Vitanale». Doch der Umweltaktivist ist nicht der einzige Verdächtige und nachdem sich Sarah Brandt, mit der Borowski eher unfreiwillig in Kontakt gerät, als hilfreiche Informantin über die Kallbergs anbietet, steht fest: Die Kallbergs haben keinen familiären Zusammenhalt und ebenfalls schlüssige Motive für die Tat. Denn während Firmenchefin Liane Kallberg aggressiv den gewinnbringenden Energy Drink vermarktet, stellen sich Senior Alfons und Tochter Melinda gegen den Ausverkauf des ehemaligen Bauernhofes und Lianes Bruder Paul, vom Vater um das Erbe betrogen, lebt mehr schlecht als recht und mit Hass auf die Familie auf einem eigenen Biobauernhof. Als sich bei den Kallbergs ein Erpresser meldet, fängt die Jagd nach dem Täter erst an und Borowski merkt, dass hinter dem Verbrechen ein familiäres Drama steht, in dem der Vater des toten Florians eine unfreiwillige Schlüsselrolle eingenommen hat.

Darsteller
Axel Milberg («Doktor Martin», «Stauffenberg») ist Klaus Borowski
Markus Hering («Das Leben ist zu lang») ist Andreas Hölzel
Esther Schweins («RTL Samstag Nacht») ist Liane Kallberg
Sonja Gerhardt («Schmetterlinge im Bauch») ist Melinda Kallberg
Joachim Bißmeier («Napola - Elite für den Führer») ist Alfons Kallberg
Thomas Scharff («Die Kommissarin») ist Paul Kallberg
Sibel Kekilli («Gegen die Wand») ist Sarah Brandt

Kritik
Nach einem halben Jahr ohne Axel Milberg kehrt dieser in Form von Klaus Borowski auf das Spielfeld des Sonntags-«Tatort» zurück. Maren Eggert, die sich in der vergangenen Folge aus der Rolle der Polizeipsychologin Frieda Jung nach 14 gemeinsamen Fällen von Borowski verabschiedet hat, wird durch Sibel Kekilli ersetzt - im aktuellen «Tatort» gelangt der «Gegen die Wand»-Star allerdings vorerst eher unfreiwillig an Borowskis Seite: Als Wirbelwind Sarah Brandt fährt sie dem notorisch quengelnden Borowski in sein Auto, als dieser nach einem Besuch bei der Molkerei Kallberg auf dem Heimweg ist. Keck schleppt Brandt das Auto nebst Kommissar ab, bietet ihm an, den Schaden zu beheben und überlässt ihm ihren Zweitwagen. Nebenbei kann sie mit allerlei Informationen zur Molkerei Kallberg aufwarten, aus deren Produktion der mit einer Überdosis an Lebensmittelfarbstoff versetzte Energy Drink «Vitanale» stammt, an dem ein 15-jähriger Allergiker gestorben ist.

Fast schon konventionell ist eine derart unkonventionelle Handlung beim «Tatort», denn das Klischee der klassischen Krimiserie bedient das Format schon lange nicht mehr. Und spätestens seit Gammelfleisch in deutschen Supermärkten verkauft, vergiftetes Babymilchpulver in China entdeckt und dioxinverseuchter Mozzarella aus Süditalien medienwirksam zurückgerufen wurde und damit selbst der minimalinteressierte Bürger für die breite Thematik irgendwo zwischen chemischen Zusatzstoffen, Bio-Lebensmitteln und gesunder Ernährung sensibilisiert ist, war die Thematisierung im auf stete Aktualität bedachten «Tatort» nur noch eine Frage der Zeit - und im Hinblick auf die ARD-Themenwoche «Essen ist Leben» wahrscheinlich auch Kalkül. Neben der dem Thema oktroyierten Ernährungslehre, die sich durch die gesamte Handlung zieht, es aber glücklicherweise schafft, statt mit erhobenem Zeigefinger mit herrlicher Situationskomik zu glänzen, geht es schlussendlich dann aber doch wieder nur um das Eine: Einen Mord.

Der stellt in diesem Fall allerdings kein berechnendes Verbrechen dar, sondern scheint fatale Nebenwirkung einer gezielten Kampagne gegen das Familienunternehmen Kallberg zu sein - denn mit Ausnahme des Allergikers Florian ruft die Überdosis bei gesunden Menschen nur Übelkeit aus und schadet so dem Ruf der Firma. Und so taucht Borowski statt in eine Welt kaltblütiger Krimineller in einen obskuren Familienstreit dreier Generationen und einiger Querulanten ein, der auf Missgunst, Neid und Profitgier aufbaut. Von Regisseur Florian Froschmayer ungewöhnlich, aber überaus passend besetzt, verkörpert ausgerechnet Esther Schweins die Molkereichefin Liane Kallberg, die nicht nur im Designerfummel zwischen Kühen und Abfüllanlage stolziert, sondern auch zwischen augenscheinlichen Schuldgefühlen und eiskalter Berechnung des Marktwertes ihres Unternehmens schwankt - und die sich letztendlich nicht scheut, den Todesfall zum eigenen Vorteil zu nutzen. Wirklich überzeugend spielt auch Markus Hering, der als Vater von Florian die stellvertretende Opferrolle einnimmt und den zwar tobenden, dabei aber weitestgehend unterkühlten Kallbergs mit Brillanz die tiefen und echten Gefühle einer menschlichen Tragödie entgegensetzt.

Kaum emotionale Identifizierung bietet hingegen Klaus Borowski, der von Axel Milberg zwar weiterhin in Perfektion als kauziger Norddeutscher verkörpert wird, den Zuschauer aber noch weniger als in vorherigen Folgen an seinem Seelenleben teilhaben lässt. Mit dem Weggang von Frieda Jung fehlt zudem die oftmals treibende Kraft für tiefere Einblicke in die Gefühle des raubeinigen Kommissars - und so bleibt ein der Handlung nicht näher dienlicher Brief von Frieda Jung die einzige und leider auch allzu plumpe Gefühlsregung in besagte Richtung. Dennoch zeichnet sich bereits ab, dass Sibel Kekilli als Sarah Brandt, die in den kommenden Folgen mehr als Borowskis Unfallgegnerin ist, für frischen Wind in Kiel sorgen wird. Die technikaffine und handwerklich begabte Vegetarierin mit monatlichen Gelüsten nach einem Steak hat das Potential, als herrlich konträre Figur zum Ermittler Borowski für viele Konflikte zu sorgen und damit im besten Falle nicht nur die Handlung, sondern auch die charakterliche Entwicklung des eigentlichen Protagonisten zu beleben und so frischen Wind in die norddeutsche Pläne zu bringen.

Was die schauspielerische Höchstleistung der Besetzung etwas schmälert, ist letztendlich die eigentliche Handlung: Der Krimi stellt die Frage nach Ethik und Moral, der Verantwortung und den Konsequenzen des eigenen Handelns - der Film brilliert in diesem Bereich mit stark inszenierten zwischenmenschlichen Szenen, wirkliche Spannung mag letztendlich allerdings nicht aufkommen. Erfreulich ist hingegen die weitestgehend stereotyparme Thematisierung der Lebensmittelindustrie und der Ausbruch aus den gewöhnlichen Gut-Böse-Schemata: Weder Industrie noch Bio-Bauern werden verteufelt oder gegenteilig zu Gutmenschen stilisiert - ein bemerkenswerter Ansatz, der in der Debatte um Ernährung und Skandale oftmals fehlt. So liefert «Borowski und eine Frage von reinem Geschmack» einen interessanten und kurzweiligen Krimi mit geringer Spannungskurve, der aber reinen Gewissens als gelungene Abendunterhaltung bezeichnet werden darf.

Das Erste zeigt «Tatort: Borowski und eine Frage von reinem Geschmack» am Sonntag, den 24. Oktober 2010, um 20:15 Uhr.
23.10.2010 12:00 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/45362