Bei «X Factor» geht es endlich um die Musik

Das VOX-Großprojekt «X Factor» ist beendet – zumindest vorerst. Die erste Staffel war für den Kölner Privatsender ein voller Erfolg, auch wenn man sich aus Quotensicht eventuell mehr erhofft hatte. Quotenmeter.de blickt zurück.

Ohne Frage: Mit einer eigenproduzierten Castingshow ging man bei VOX ein großes Risiko ein. In der Vergangenheit floppten viele der neuen Shows, wie etwa die Quizsendung «Power of 10» mit Dirk Bach. Doch mit «X Factor» sollte alles anders werden. Die international beliebte Talentsuche wurde von Simon Cowell entwickelt und flimmerte 2004 in Großbritannien zum ersten Mal über die Bildschirme. Derzeit läuft auf der Insel bereits die siebte Staffel. Bei der RTL-Gruppe sicherte man sich die Rechte zwar früh, an eine Umsetzung wagte man sich aber nicht.

Offenbar wollte man nur verhindern, dass die Konkurrenz das Format in die Finger bekommt. Da die Lizenzrechte auszulaufen drohten und Show-Erfinder Cowell auf einer Ausstrahlung in Deutschland beharrte, setzte die RTL-Gruppe das Projekt schließlich um. RTL hatte aber mit «Deutschland sucht den Superstar» und dem «Supertalent» bereits zwei sehr erfolgreiche Castingshows im Programm. Deshalb gab man die Sendung an den Schwestersender VOX weiter. Als Einstiegshilfe sendete RTL die ersten beiden Folgen des neuen Formats. So sollten schon zum Start möglichst viele Zuschauer erreicht werden.

Der Auftakt erzielte bei RTL freitags schließlich 16,4 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen, die zweite Folge kam einen Tag später dann schon auf 21,3 Prozent. Die ersten Folgen bei VOX lagen dann bei 15,0 und 17,0 Prozent, bei den Gesamtzuschauern lag man am Dienstagabend sogar noch vor den beiden ersten Episoden. Anschließend gaben die Quoten nach (detaillierter Quotencheck). Doch VOX kann zufrieden sein, insgesamt fuhr man mit der Castingshow mehr als gut. Vor allem überzeugte «X Factor» aber bei der Qualität der Sängerinnen und Sänger. Endlich ging es um die Musik und nicht um Schicksalsschläge der Kandidaten.

Auch auf Bloßstellungen der Teilnehmer hatte man in den Casting-Sendungen weitestgehend verzichtet. Damit hob sich das VOX-Format deutlich positiv von «Deutschland sucht den Superstar» und «Das Supertalent» ab. Viele verglichen die Sendung mit «Unser Star für Oslo», aber auch hier zeigten sich Unterschiede. Bei Raabs Oslo-Suche wurde fast durchgehend gelobt, selten fielen kritische Anmerkungen. Anders bei «X Factor», wo sich die Juroren durchaus trauten, einen Auftritt auch zu kritisieren. Als Mentoren waren sie zudem viel näher an ihren Kandidaten dran - ein Wohltuendes Alleinstellungsmerkmal der neuen Casting-Sendung. Den Verantwortlichen gefiel die Sendung letztendlich offenbar so gut, dass sie das Format schon vor dem Finale für eine weitere Staffel verlängerten.

Im kommenden Jahr kann dann aber auch einiges verbessert werden. Vor allem an dem Tempo der Show sollte man bei VOX und Grundy Light Entertainment arbeiten. «X Factor» zog sich hin und wieder schlicht zu sehr in die Länge. Ein Beispiel waren hier die Ankündigungen der Mentoren. Ein bis zwei kurze Sätze sollten hier reichen. Beim Zuschauer wurde durch die langen Strecken der Eindruck erweckt, als hätten sich Sarah Connor, Till Brönner und George Glueck nicht vorbereitet und würden sich noch während ihrer Ankündigungen Gedanken über ihre Worte machen.

Vor allem George Glueck rang einige Male nach Worten und versuchte sich verständlich auszudrücken. Im Publikum sorgte dies in den ersten Shows noch für Gelächter. Darüber hinaus redete er manchmal so leise, dass die Zuschauer vor Ort ihn lautstark dazu aufforderten, lauter zu sprechen – vor laufenden Kameras wohlgemerkt. Ansonsten erwies sich die komplette Jury als durchaus kompetent und sympathisch. Mit den Erfahrungen aus der ersten Staffel sollte es, vorausgesetzt die Besetzung der Jury ändert sich nicht, in Runde zwei im neuen Jahr deutlich reibungsloser ablaufen. Die ständigen Aufrufe zum Anrufen für die Kandidaten sollten indes auch zurückgefahren werden. Es reicht, wenn Moderator Jochen Schropp diesen Part übernimmt.

Lesen Sie auf der kommenden Seite, was VOX bei der zweiten Staffel noch verbessern kann. Außerdem: Ist der Dienstag der geeignete Sendeplatz für ein Format dieser Art?

Das VOX-Großprojekt «X Factor» ist beendet – zumindest vorerst. Die erste Staffel war für den Kölner Privatsender ein voller Erfolg, auch wenn man sich aus Quotensicht eventuell mehr erhofft hatte. Quotenmeter.de blickt zurück.

Optimierungspotential gibt es auch beim Beginn der Show. Das temporeiche Intro sollte besser genutzt werden - der Schwung muss in die ersten Minuten der Sendung hinübergerettet werden. Hier wäre es durchaus denkbar, dass alle Kandidaten am Anfang einer jeden Show einen Song zusammen performen. Erst im Anschluss würde Moderator Jochen Schropp auf die Bühne kommen und verkünden: "Ihr «X Factor»-Abend startet jetzt!" Schropp selbst meisterte seinen ersten großen Moderationsjob mit Bravour. In den Castings wirkte er zu Anfang noch etwas unbeholfen, während den Live-Shows überzeugte er dagegen voll und ganz. Die Emotionen auf und hinter der Bühne nahm man dem Moderator ab. Und anstatt sich mit der Jury anzulegen, schlug er oft sanftere Töne an und hielt sich im Hintergrund.

Das große Manko der ersten Staffel war sicherlich das Studio. Natürlich konnten keine XXL-Investitionen getätigt werden, denn man wusste schließlich nicht, wie das Format beim Publikum ankommen würde. Aus dieser Sichtweise war das Studio angemessen. Bei der zweiten Staffel muss deutlich mehr Platz für Zuschauer geschaffen werden, bei etwa 20.000 Bewerbern und den nun erzielten Quoten sollte das Interesse sicherlich vorhanden sein. Einer Show dieser Art gebührt schlicht ein großes Studio, welches ein Event-Gefühl beim Publikum und den Zuschauern auslöst. Auf der Bühne zeigten die Acts bereits, dass man bei der Choreographie sehr kreativ sein kann. Viele Auftritte wirkten frisch, lebendig und einfach gut durchorganisiert. Bei «Deutschland sucht den Superstar» steht die Bühnenshow dagegen eher im Hintergrund.

Bei der zweiten Staffel im Jahr 2011 sollte man vor allem auch ein Auge auf die Technik haben. Diese erwies sich nicht immer als ganz so zuverlässig. Von der Decke fallende Kameras, schrillende Pieptöne und Künstler-Einspieler ohne Sound – alles kam bei «X Factor» vor. Bei den Auftritten der Stars musste sich VOX dagegen nicht verstecken. Mit unter anderem Shakira, Enrique Iglesias, Usher, Gossip und Flo Rida hatte man bekannte Künstler zu bieten.

Insgesamt zeigte sich, dass das «X Factor»-Konzept deutlich vor «Popstars» oder «Deutschland sucht den Superstar» liegt. Ohne die Altersbegrenzung kann die Sendung aus dem Vollen schöpfen und auch älteren Menschen die Chance geben, sich zu beweisen. Für die Zuschauer bedeutet dies mehr Abwechslung. Da die Juroren gleichzeitig auch Mentoren sind, entsteht zwischen ihnen eine enge Verbundenheit. Vor allem aber ist es dem Sender und der Produktionsfirma hoch anzurechnen, dass man aus «X Factor» kein Krawallformat gemacht hat. Gute Unterhaltung in einer Castingshow kann auch ohne die Leitfigur Dieter Bohlen funktionieren.

Eine spannende Frage wird sein, auf welchem Sendeplatz VOX die neue Staffel auf Sendung schicken wird. Der Dienstag erwies sich mit den ProSieben und RTL-Serien als harte Konkurrenz beim jungen Publikum. Hinzu kamen Fußball-Spiele, die auch immer sehr beliebt waren. Ein wichtiger Aspekt wird außerdem sein, für wann der Sender überhaupt die neue Staffel einplant. Eine Ausstrahlung am Samstag, wenn auch bei RTL gleichzeitig eine Castingshow läuft, scheint ausgeschlossen und auch sonst sind andere in Frage kommende Sendetage wie beispielsweise der Donnerstag die meiste Zeit im Jahr über mit Konkurrenz-Casting-Shows belegt.
12.11.2010 08:00 Uhr  •  Timo Niemeier Kurz-URL: qmde.de/45746