Die Kino-Kritiker: «Unstoppable – Außer Kontrolle»
Tony Scott schickt Denzel Washington in «Unstoppable» auf Kollisonskurs mit einem führerlosen Güterzug voller Chemikalien.
Der Brite Tony Scott drehte Filme wie «Top Gun», «Last Boy Scout» und «Der Staatsfeind Nr. 1», aber das letzte halbe Jahrzehnt verlief für ihn eher passabel. Nach «Mann unter Feuer» folgte der völlig verschnittene «Domino», der mehr einem hyperaktiven Musikvideo, denn einem Film glich und letztes Jahr unterlag das Remake «Die Entführung der U-Bahn Pelham 123» sämtlichen Erwartungen. «Déjà Vu – Wettlauf gegen die Zeit», eindeutig der beste Film, den Scott die letzten Jahre drehte, war auch sein erfolgreichster seit langer Zeit, blieb aber mit nicht einmal 200 Mio. US-Dollar Einspielergebnis weltweit dennoch eine Enttäuschung für seinen erfolgsverwöhnten Produzenten Jerry Bruckheimer.
Mit der unglaublichen, jedoch wahren Geschichte eines unbemannt durch mehrere US-Staaten rasenden Güterzuges, versucht Tony Scott wieder an frühere Erfolge anzuknüpfen. Ob «Unstoppable – Außer Kontrolle» tatsächlich einen unaufhaltsamen Wiederaufstieg begründen kann?
Stanton, Pennsylvania: Es ist der erste Arbeitstag für den jungen Will Colson (Chris Pine), dem seine neuen Kollegen direkt Vetternwirtschaft unterstellen: Die Eisenbahngesellschaft beschäftigt mehrere Colsons in namhaften Positionen, zudem ersetzt sie unentwegt erfahrene Zugarbeiter durch jüngere Arbeitskräfte mit niedrigeren Lohnvorstellungen. Wirklich kein guter Start für Will. Der ihm zugeteilte Partner Frank Barnes (Denzel Washington), ein erfahrener Veteran im Güterverkehr, bemüht sich dennoch um Objektivität, nimmt seinen Schützling zugleich aber streng ran und spart nicht mit Kritik an seiner Arbeitshaltung. Als Zuschauer kann man sich nur ausmalen, wie Frank zwei seiner Kollegen ausschimpfen würde, wäre er zugegen, während sie eine erschreckende Reaktionskette aus menschlichem Versagen und Pech auslösen: Durch ihre Schusseligkeit gerät ein umzurangierender Güterzug voller gefährlicher Chemikalien unbemannt auf die freie Strecke. Kontinuierlich nimmt er an Fahrt auf und rast auf einen gefährlichen Streckenpunkt in dicht besiedeltem Gebiet zu. Rangiermeisterin Connie Hooper (Rosario Dawson) versucht von ihrer Zentrale aus, eine spontane Rettungsmission zu leiten und schickt den Schweißer Ned (Lew Temple) los, eine Weiche so zu stellen, dass die Lok auf ein weniger gefährliches Nebengleis fährt. Die Aktion misslingt und die Geschäftsleitung schaltet sich dazwischen. Die Bürohengste nehmen das Szepter an sich, um kosteneffiziente Mittel durchzusetzen, den Zug zu stoppen. Währenddessen befinden sich Frank und Will unwissend auf Kollisionskurs mit dem führerlosen Gefahrenguttransport.
Wahrscheinlich steht irgendwo im goldenen Buch der Filmrezensionen, dass man als Kritiker die Trailer vollkommen ignorieren sollte. Wenn dem so ist, dann hat das goldene Buch keine Ahnung davon, wie sehr ein Trailer das Publikum bezüglich eines Films eichen kann. Die Trailer zu «Unstoppable – Außer Kontrolle» sind nämlich dermaßen überdramatisiert, dass es sicherlich einige potentielle Kinobesucher Augen rollend in die Ferne schlägt. Zwei gegensätzliche Bahnmitarbeiter, ein Giftmülltransport, ein außer Kontrolle geratener Zug, hilflose Kinder auf der Strecke –
oh, die aufgesetzte, schwere Dramatik!
Damit tut das Marketing Tony Scotts neuem Action-Thriller ganz und gar unrecht. Mit der überdramatischen und effekthascherischen Inszenierung aus den Trailern hat «Unstoppable – Außer Kontrolle» kaum etwas gemeinsam. Statt ununterbrochen auf den Gefahren des führerlosen Güterzugs herumzureiten, entfaltet Mark Bombacks Drehbuch den Charakter eines Hochgeschwindigkeits-Action-Kammerspiels. Im Grunde ließe sich «Unstoppable – Außer Kontrolle» als subtileres «Speed» auf Gleisen bezeichnen. Wobei man „subtil“ wirklich lediglich in Relation zu Jan de Bonts Blockbuster oder anderen explosiven Actionfilmen auf «Unstoppable – Außer Kontrolle» beziehen sollte. Denn Tony Scott fährt wieder sämtliche Geschütze auf und verwendet rasante Schnitte sowie schnelle, durchchoreographierte Zooms und Kameraschwenks, um seine Geschichte zu erzählen. Dabei nutzt Tony Scott außerdem sehr effektiv Fernsehnachrichten als dramaturgisches Mittel. Immer wieder schwenkt er auf eines der Kamerateams über und schneidet vom sich anbahnenden Zugunglück auf eine Live-Reportage. Anders als beim Kopfschmerzen verursachenden «Domino» setzt Scott seine Markenzeichen aber gezügelt ein. Die Inszenierung überlagert nicht den Film, sondern macht ihn erst sehenswert.
Durch die holzschnittartigen Figuren mit den archetypischen kleinen Geheimnissen und privaten Problemchen, verlieren die persönlichen Momente des Films sehr viel an Zugkraft. Bloß Denzel Washington und Rosaria Dawson vermögen es, trotz Unterforderung ihren Figuren eine Seele zu verleihen. Was dem Drehbuch aber an Menschlichkeit fehlt, holt Tony Scott durch die physische Charakterisierung der Bahn wieder auf. Er schafft es, die Gewalt und Schwere der riesigen Lokomotive auf Film zu bannen und das Kinopublikum sowohl die schwerfällige Majestät der Züge, als auch ihre Bedrohlichkeit spürbar zu machen. Dadurch kann «Unstoppable – Außer Kontrolle» trotz dem Zuschauer eher unwichtigen Handlungsfiguren sehr viel Spannung generieren. Diesbezüglich ähnelt der Action-Thriller sehr der unaufhaltsamen Zeitbombe auf Schienen: Es benötigt seine Zeit, bis er ins Rollen kommt, aber sobald alle Hebel in Gang gesetzt sind und er etwas ausholen konnte, nimmt er ein beachtliches Tempo an und wird auch nicht wieder langsamer. Spätestens die zweite Hälfte fesselt einen an den Rand seines Kinosessels und lässt einen gebannt beobachten, wie die Leinwandhelden verzweifelt versuchen, den Zug aufzuhalten.
Fazit: Trotz formelhafter Figuren und eines langsamen Starts ist «Unstoppable – Außer Kontrolle» von Tony Scott ein hochspannender Action-Thriller. Während der Filmbeginn und einige Dialoge schwerfällig sind, ist der ausgedehnte Höhepunkt des Films dank Tony Scotts herausragender Inszenierung rasant und äußerst packend. Für Genrefreunde ein eindeutiger Kinotipp.
«Unstoppable – Außer Kontrolle» ist seit dem 11. November in vielen deutschen Kinos zu sehen.