Neidfaktor RTL – wie Erfolg zum Bumerang wird

RTL ist bei den jungen Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren der klare Marktführer. Seit etwa 18 Jahren. Zurecht? Besonders in den sozialen Netzwerken sagen die Menschen: "Nein!". Doch woher kommt die Antipathie gegen RTL?

Für den Kölner Privatsender läuft es in den vergangenen Monaten so gut wie lange nicht mehr. Durch die Fake-Dokus am Nachmittag konnte ein letztes großes Loch gestopft werden; der Tagesmarktanteil liegt seitdem nicht selten über 18 Prozent. Doch der neue Nachmittag brachte bei Kritikern das Fass zum Überlaufen. "Jetzt holt RTL auch noch in der Daytime Quoten von bis zu 30 Prozent" – so oder so ähnlich denkt manch interessierte Bundesbürger. "Und das mit gescripteten Serien. Das geht doch nicht." Geht doch! In Köln beweist man es jeden Tag aufs Neue.

Kritiker bemängeln die Qualität im RTL-Programm, doch was meinen sie damit genau? Etwa die US-Serien am Dienstag und Donnerstag? Die deutschen Serien, die in vergangener Zeit mehr wurden und angesichts der vielen Pilotprojekte wohl auch 2011 zahlreicher vertreten sein werden? Die Nachrichten mit Peter Kloeppel? Günther Jauch mit seiner Quizshow oder etwa «Stern TV»? Oder doch die Coaching-Formate von Christian Rach, Peter Zwegat und Katharina Saalfrank?

Die Antwort ist einfach: alles. Besonders jetzt, in der Zeit in der «Das Supertalent» von Rekord zu Rekord eilt, steht das ganze Programm unter Beschuss. Die Quoten sind fantastisch, aber niemand will es gesehen haben. So ähnlich ergeht es auch einer großen deutschen Boulevardzeitung. Natürlich kann man lange und ausgiebig über das RTL-Programm und insbesondere den Nachmittag diskutieren und streiten. Aber einem Privatsender, der auf möglichst hohe Quoten angewiesen ist, weil er sich ausschließlich durch Werbung finanziert, vorzuwerfen erfolgreiche Formate zu zeigen – das ist absurd!

Was wäre überhaupt die Alternative am Nachmittag? Vielleicht eine schlecht laufende US-Serie, die schon bei ProSieben am Senderschnitt scheitert und schon gefühlte 100x gesendet wurde? Oder doch wieder eine Gerichtsshow, die man auch heute noch immer bei Sat.1 sehen kann? Nein, auch bei der Konkurrenz ist nicht alles Gold was glänzt. Erinnern wir uns nur an sämtliche Doku-Flops am ProSieben-Nachmittag oder die Ermittler-Serien im Sat.1-Vorabend.

Die «Familien im Brennpunkt» sind bei Kritikern aber längst nicht der einzige Punkt des Anstoßes: Thema Castingshows. RTL hat davon zwei im Programm, «Deutschland sucht den Superstar» und «Das Supertalent». Beide laufen auf hohem Niveau, «Das Supertalent» erzielte Woche für Woche neue Rekorde, knapp neun Millionen Menschen sehen die Show mit Dieter Bohlen. Doch auch hier: unzählige Unkenrufe, die Qualität sei schlecht. Aber kann man das wirklich glauben? Schauen sich Millionen Menschen Woche für Woche wirklich ein qualitativ minderwertiges Programm an? Das klingt fast wie Ironie.

Schaut man in die europäischen Nachbarstaaten sieht man, dass sich alle "Big Player" diese Castingshows gesichert und diese regelmäßig im Programm haben. Wieso? Weil sie erfolgreich sind und die Zuschauer sie sehen wollen. Es ist oft einfach nur gute Unterhaltung. Das einzige, was man der Talentsuche vorwerfen kann, ist die Nachhaltigkeit. Kein Sieger hat es bis jetzt wirklich geschafft international erfolgreich zu sein. Aus den USA oder England kommen dagegen vereinzelnd immer wieder Teilnehmer aus den Castingshows nach Deutschland geschwappt und sind hierzulande erfolgreich mit ihren Liedern. Natürlich kann darüber gestritten werden, ob in Deutschland Kandidaten mit diversen Cartoon-Einspielern verunglimpft werden müssen. Vor allem in Großbritannien, dem Mutterland der Castingshow «X Factor», ist davon nichts zu sehen, die Zuschauer schalten trotzdem ein. Diese Zurschaustellung der Kandidaten ist nicht hinnehmbar und sollte schnellstens von der Bildfläche verschwinden.

Gibt es aber wirkliche Alternativen im Genre Casting zu RTL-Formaten? «Popstars» bei ProSieben? «Deutschlands Meisterkoch» in Sat.1? Dort bekommt man dann höchstens Stoff aus der Konserve geliefert. Samstagabendunterhaltung? Fehlanzeige. Und ob die Qualität der genannten Sendungen höher ist als bei den RTL-Pendants, das sei einmal dahin gestellt. RTL ist mit seinen Castingshows der einzige Sender, der am Samstag durch Unterhaltung auftrumpfen und über einen langen Zeitraum viele Zuschauer bei Laune halten kann - «Wetten, dass..?» im ZDF und diverse Raab-Events inklusive «Schlag den Raab» einmal ausgenommen.

Am Sonntag, den 31. Oktober, war es dann wieder soweit. RTL kündigte an, bald sein ganzes Programm auch auf dem iPhone zu senden. Als erstes Vollprogramm überhaupt. Doch Gratulationen zur Weiterentwicklung eines neuen Standards? Fehlanzeige! In sozialen Netzwerken wie Twitter häuften sich abfällige Bemerkungen gegenüber dem Kölner Sender. "Wieder etwas, wofür ich mein iPhone nicht verwenden werde" oder "Wer will denn schon RTL gucken?" war dort zu lesen.

Erfolg ruft eben auch viele Neider auf den Plan, die sich gerne über das gesamte Programm pauschal beschweren. Erfolgreiche Bereiche, hier sind insbesondere die Nachrichten gemeint, werden mit über den Kamm geschoren. Wenn dann mal ein wirkliches Trash-Format auf Sendung geschickt wird, welches es auch sicherlich im RTL-Programm zu sehen gibt, ist der Aufschrei umso größer: "Schon wieder sowas!" Die Konkurrenz kann sich in diesem Fall freuen. Sie steht im Schatten von RTL, ihre qualitativen Schwachstellen im Programm werden gerne einmal übergangen und nur die guten Inhalte erwähnt. Ohnehin müssen sie ja gegen den Branchenprimus RTL ankämpfen, der mit unlauteren Mitteln kämpft und mit vermeintlichen Trash-Formaten den Markt überschwemmt. Nur damit stehen die Mitbewerber auch oft genug im Quoten-Schatten des Marktführers.
20.11.2010 10:47 Uhr  •  Timo Niemeier Kurz-URL: qmde.de/45930