Die Krimi-Reihe im Ersten feiert ihr Jubiläum: Konstantes Zuschauerinteresse hält den Kriminalfilm der ARD-Anstalten auch weiterhin jung.
Jeder kennt sie. Die Krimi-Reihe im Ersten. Und jeder Bundesbürger hat bestimmt schon mal die eine oder andere der mittlerweile genau 793 Erstausstrahlungen gesehen. Heute auf den Tag genau feiert der «Tatort» sein Jubiläum und wird 40 Jahre alt. Einen Tag zuvor gab es mit der hessischen Ausgabe der langlebigen Reihe im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gleich noch eine Premiere dazu: Mit dem «Tatort: Wie einst Lily» war gleichzeitig auch der erste Auftritt von Ulrich Tukur als Ermittler in Wiesbaden. Seine Kommissar-Figur des Felix Murot hat nicht nur einen Hirntumor, sondern sorgt als hessischer LKA-Beamter auch dafür, dass es künftig drei «Tatorte» aus Hessen geben wird, denn die Nachfolge von Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf werden voraussichtlich ab Herbst 2011 die Schauspieler Nina Kunzendorf und Joachim Król übernehmen, welche zwei Krimi-Filme aus Frankfurt beisteuern. Jede Menge Veränderungen also, die den «Tatort» auch über 40 Jahre begleiteten.
Am 29. November 1970 strahlte man den ersten «Tatort» aus. Der NDR-Krimi mit dem Titel «Taxi nach Leipzig» ging damals als allererster «Tatort» über den Bildschirm und sollte vor allem ein Mittel gegen die ZDF-Serie «Der Kommissar» darstellen, welche damals ein Straßenfeger war. Die Notlösung mehrere ARD-Anstalten an der Produktion der Krimi-Reihe teilhaben zu lassen, sollte zum Erfolgsrezept werden. Denn auch heute wird das noch so gehandhabt. Heute ist «Der Kommissar» bei den älteren Zuschauern allenfalls noch als Fernseh-Erinnerung ein Begriff, doch der «Tatort» im Ersten ist in aller Munde. Seine Schöpfer waren der beim WDR angestellte Gunther Witte, später besser bekannt als «Tatort»-Koordinator, und sein Chef Günter Rohrbach, die Idee zur Krimi-Reihe reifen ließen.
Dass dabei die erfolgreichste Krimi-Reihe im deutschen Fernsehen – bis heute noch – herauskommen würde, hatte man zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst. Zunächst kam der «Tatort» jeweils einmal im Monat. Heutzutage werden in der Regel vier Folgen pro Monat ausgestrahlt. Der Erfolg blieb dabei über die Jahre weitgehend konstant. Mit ihm erreicht die ARD vor allem beim jungen Publikum Einschaltquoten, wie man sie sich dort sonst nur erträumen kann. Auch räumt die Krimi-Reihe reihenweise Preise ab. Erst kürzlich wurde der HR-«Tatort: Weil sie böse sind» mit Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Ein wunderbares Abschiedsgeschenk für das scheidende Ermittler-Paar beim Hessischen Rundfunk. Die Folge hatten 7,54 Millionen Menschen am Sonntagabend verfolgt, was den ungebrochenen Erfolg der Reihe verdeutlicht. Mit 16,7 Prozent Marktanteil der 14- bis 49-Jährigen war es auch beim jungen Publikum eine erfolgreiche Ausgabe.
Zu den erfolgreichsten Kommissaren in den ersten beiden Jahrzehnten beim «Tatort» gehörten Hans-Jörg Felmy als Haferkamp in den 1970er Jahren und Götz George als Schimanski in den 1980er Jahren. Die «Tatorte» hatten jeweils ein regionales Profil, das zwar die Einheitlichkeit der Reihe herab setzte, aber zu einer Identifikation der Zuschauer mit ihren Lieblingsermittlern führte. Auch macht diese Tatsache die teils unterschiedlichen Konzepte möglich, die auch heutzutage beim «Tatort» vorhanden sind. So zum Beispiel hat man sich in der jüngsten Vergangenheit immer wieder an neuen Wegen des Krimis versucht und dabei auch einigen Mut bewiesen. Einen Mut, den auch Höhen und Tiefen in vier Jahrzehnten stets begleiteten. Flexibilität und Vielfalt standen oft im krassen Gegensatz zu Langatmigkeit und mauen Drehbüchern, die auch mal zu eher durchwachseneren Folgen führte, die dann als gescheitere Experimente in die Geschichte gingen. So wurde auch mancher Kommissar mal zur Eintagsfliege. Denn zumindest eine Konstante wollte man stets wahren: Die Beliebtheit beim Zuschauer. Denn das Publikum blieb der Krimi-Reihe über alle Jahre mal mehr, mal weniger treu.
Und noch etwas ist beständig beim «Tatort»: Der seit Jahren immer gleiche Beginn. Der Vorspann zeigt Augen, die von einem Fadenkreuz eingekreist werden und anschließend ein Beine, die davon laufen. Sein Erfinder ist Peter Hoheisel, ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks, der in München 1970 den Vorspann entwarf, der auch heute noch vor jeder Folge der «Tatort»-Reihe zu sehen ist. Die Titelmusik hierfür hat übrigens Klaus Doldinger komponiert, Udo Lindenberg spielte Schlagzeug. Ein Wiedererkennungsmerkmal schlechthin, hat er sich in das Gedächtnis seiner Fans eingemeißelt. Schauspieler Horst Lettenmayer hatte dem «Tatort»-Einstieg seine Augen und Beine geliehen, wurde aber nur für den einmaligen Drehtag in München bezahlt. Einige Jahre später, als der «Tatort» zum großen Erfolg geworden war, verklagte er die ARD aufgrund der häufigen Wiederholungen seiner Aufnahmen auf eine Zahlung von Wiederholungshonoraren, hatte damit aber keinen Erfolg gehabt. Später spielte er in einem Schimanski-«Tatort» nochmal mit, 1989 bei der Folge „Der Pott“ mimte er einen Gewerkschaftsboss, eher er heute in der Lampenbranche Millionen verdient. Hat es für ihn nicht zum Schauspieler gereicht, so gaben sich bereits eine Reihe von erstklassigen Schauspielern im «Tatort» die Ehre.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Quoten-Entwicklung des «Tatort» und einen Ausblick in die Zukunft der Reihe.
Die Krimi-Reihe im Ersten feiert ihr Jubiläum: Konstantes Zuschauerinteresse hält den Kriminalfilm der ARD-Anstalten auch weiterhin jung.
In den 40 Jahren kam der «Tatort» allein auf 102 Ermittler, die teilweise sogar in Teams zusammenarbeiteten. Die meisten Fälle haben die Hauptkommissare Batic und Leitmayr, gespielt von Miro Nemec und Udo Wachtveitl für den BR in München. Sie kommen auf 57 Einsätze. Den zweiten Rang belegt Ulrike Folkerts, die die SWR-Kommissarin Lena Odenthal spielt und auch nach 53 gelösten Fällen heute noch aktiv ist. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Kölner Ermittler Max Ballauf und Freddy Schenk, die von Klaus J. Berendt und Dietmar Bär seit 47 Fällen verkörpert werden. Somit kann man auch hier etwas Kontinuität etwas Kontinuität verzeichnen, wenngleich die größte Konstanz beim Zuschauerinteresse liegt. In den vergangenen Jahren konnte der «Tatort» seine Zuschauerzahlen wieder kontinuierlich steigern. In der aktuellen TV-Saison schauten am Sonntagabend bis zu 9,88 Millionen Menschen zu, als mit «Tatort: Spargelzeit» mi Axel Prahl und Jan-Josef Liefers eine weitere Erstausstrahlung über die Bühne ging. Die WDR-Inszenierung war eine der Erfolgreichsten und kam selbst beim jungen Publikum auf 25,0 Prozent Marktanteil.
Im vergangenen Jahr sah sich jeder «Tatort»-Zuschauer 17 verschiedene Fälle an. Die Reihe kam auf rund 44 Millionen Zuschauer insgesamt, rechnet man alle Ausstrahlungen im Ersten und den Dritten zusammen. Durchschnittlich wurden 8,02 Millionen Zuschauer jeweils begrüßt. Somit war auch im Schnitt ein Marktanteil von 22,9 Prozent Marktanteil gemessen worden. Ein klares Zeichen für den anhaltenden Erfolg des «Tatort», der diese Werte auch 2010 bestätigten konnte. Eine klare Linie ist erkennbar: Sahen die Erstausstrahlungen 2007 durchschnittlich 7,33 Millionen Zuschauer (20,8 Prozent Marktanteil), so nahm das Interesse am «Tatort» in 2008 (7,51 Mio./21,9 % MA) und 2009 (8,02 Mio./22,9 % MA) ständig zu. 2010 liegt die durchschnittliche Zuschauerzahl bei 8,34 Millionen, das entspricht einem Marktanteil von 23,5 Prozent. Weitere erfolgreiche Fälle der jüngsten Vergangenheit waren außerdem die WDR-Folgen «Der Fluch der Mumie» am 16. Mai 2010, die 10,26 Millionen Zuschauer hatte und 28,6 Prozent Marktanteil aller Zuseher verbuchte, «Kaltes Herz» am 21.März 2010, welche auf 9,90 Millionen Zuschauer kam und starke 26,6 Prozent Marktanteil des Gesamtpublikums geholt hatte. Auch «Tempelräuber» (WDR) , «Vergessene Erinnerung» (NDR) uns «Klassentreffen» (WDR) waren mit zwischen 9,86 und 9,67 Millionen Zuschauern beliebt. Auch die Wiederholungen am Freitagabend um 21.45 Uhr laufen gut und hatten es sogar gegen die leider schwache Dominic-Graf-Serie «Im Angesichts des Verbrechens» nicht schwer den Sendeplatz zu behaupten.
Ein starker Trend also für eine Krimi-Reihe, die mit erfolgreichen Ermittler-Folgen wie Schimanski begann, und bis heute einen hohen Stellenwert beim Fernsehpublikum hat. Selbst dann, wenn der «Tatort» neue Wege geht, sei es in der Gestaltung des Kriminalfilms oder aber in Sachen Veränderungen im Ermittlerteam. So sind nicht nur frische Protagonisten wie Nina Kunzendorf und Joachim Król im hessischen «Tatort» dabei, sondern auch einige junge Teams, die wieder für den Mut der Krimi-Reihen stehen. Denn die straffen Regeln der ersten beiden Jahrzehnte, in denen es galt, dass die Erzählung aus der Sicht der Kommissaren zu erfolgen habe und der Zuschauer an der Aufklärung des Mordes teilhaben kann sowie am Ende immer ein Mörder stehen musste, dessen Motive stets vorstellbar und nachvollziehbar sein sollten, sie alle dürfe heute auch mal gebrochen werden.
Denn nur so bleibt der Zuschauer auch interessiert, wenn es eine gewisse Varianz im Erzählstil möglich ist. Unterschiedlichste Ansätze konnten in der jüngsten Vergangenheit verwirklicht werden. So ist zum Beispiel Maria Furtwängler als sie Hannoveraner LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm von der ersten schwangeren zur ersten alleinerziehenden Kommissarin geworden. Derzeit sind 30 Kommissare, teils in traditionellen Teams, teils neuzeitlich, für den «Tatort» im Einsatz. Gestern bereits spielte Ulrich Tukur zum Jubiläum erstmals den LKA-Kommissar Felix Murot, der die ohnehin schon unkonventionellen Kommissare Sänger (Andrea Sawatzki) und Dellwo (Jörg Schüttauf) aus Frankfurt ablöste und ab 2011 Król und Kunzendorf zur Unterstützung bekommt. Der BR plant ab 2012 einen «Tatort» im Allgäu mit Schauspieler Herbert Knaup als Kommissar Kluftinger.
Dann ist auch 2011 wieder die Schweiz beim «Tatort» dabei, gibt es derzeit nur aus Wien einen «Tatort», der über die Landesgrenze hinausgeht. Die Schweizer, die mit dem von Stefan Gubser gespielten Kommissar Reto Fluckiger aufwarten, waren 2001 aus dem Projekt ausgestiegen, weil sie am Sonntagabend lieber Spielfilme zeigen wollten. Denn die feste Sendezeit für Erstausstrahlungen am Sonntagabend um 20.15 Uhr ist eine weitere Regel der Krimi-Reihe, die sich im Wandel der Zeit von ihrem Grundgerüst der Anfänge der 1970er Jahre kaum verabschiedet hat, aber dennoch in Sachen Kriminalfilme stets einen Schritt in die Moderne voraus war. Da passt es gut ins Bild, dass den Regisseuren von den ARD-Anstalten doch sehr viel Freiraum gegeben wird, den sie für ihre neuwertigen Film-Inszenierungen ausreizen. Das hält den «Tatort» frisch und die Krimi-Reihe trotz dem Alter von 40 Jahren immer noch jung und zeitgemäß – denn nicht zuletzt drehte der NDR ja bei einem Hannover 96-Spiel und auch DFB-Chef Theo Zwangziger stand für einen «Tatort» vor der Kamera. Es bleibt also auch in nächster Zeit noch spannend.